Kann Föderalismus ein Modell sein, das politische Spannungen entschärft und dem Wiederaufbau von post-konfliktären Ländern dient? Die Antwort scheint ja zu sein.

Nach dem Zweiten Weltkrieg hatten die westlichen Verbündeten auf eine föderale Verfassung für Deutschland gedrängt. Sie erhofften sich, dass dies Ausgleichsmechanismen schaffen und Kontrollen einfügen würde, die politische Stabilität garantieren und das Wiederaufflackern von missbrauchter Macht und Diktatur verhindern könnten. Der Friedensvertrag von Dayton (DPA), der am 14. Dezember 1995 unter Aufsicht internationaler Beobachter unterzeichnet wurde, stellte nicht nur Frieden in einem konfliktbeladenen Territorium des früheren Jugoslawiens her, Bosnien und Herzegowina, sondern er legte zugleich auch die Grundlagen für einen neuen föderalen Staat. Wird sich das Föderalismusmodell wiederum als Instrument zum Wiederaufbau einer post-konfliktären Gesellschaft bewähren wie im Falle Deutschlands?

Ähnlichkeiten und Unterschiede

Es gibt eine Reihe von Ähnlichkeiten zwischen beiden Situationen.

Beidesmal war es das Ziel, weiteren Konflikt zu verhindern und dem Wiederaufbau und der Versöhnung nach einem Krieg Beistand zu leisten. In beiden Fällen war es erforderlich, die Folgen verheerender Zerstörungen zu verarbeiten: psychische Wunden und Hass; zertrümmerte Wohnungen und demolierte Infrastruktur; große Zahlen von Flüchtlingen und Vertriebenen; politische und ökonomische Schwäche; Armut und sozialer Notstand. Und beidesmal erwartete man, dass eine dezentralisierte politische Struktur besser zum Wiederaufbau der Gesellschaft und ihrer Wirtschaft geeignet sei, als jede Art von Zentralgewalt, da lokale Autoritäten nun einmal näher am Volk und seinen unmittelbaren Bedürfnissen agieren.

Trotz solch oberflächlicher Ähnlichkeiten werden die Ergebnisse der föderalen staatlichen Strukturen sehr unterschiedlich zwischen beiden Ländern ausfallen. Das liegt zum einen an der Verschiedenartigkeit der Ausgangslage und der Natur der Konflikte; zum anderen gibt es deutliche Unterschiede in politischen und ökonomischen Verhaltensweisen.

Deutschland besaß, trotz seiner politischen Teilung, nach dem Krieg ein ausgeprägtes Zusammengehörigkeitsgefühl als Nation. Dies förderte wirtschaftliche Kooperation und erleichterte die Fortentwicklung sozialen Zusammenhalts. Zudem konnte das Land auf Humankapital, Unternehmergeist und Verwaltungswissen zurückgreifen, die mit zeitgemäßen Technologien und Marktprozessen vertraut waren.

Bosnien und Herzegowina ist hingegen weiterhin ein ethnisch gespaltenes Gemeinwesen, und das Verhalten seiner politischen und wirtschaftlichen Akteure bleibt zudem von Werten und Verhaltensmustern des früheren sozialistischen Systems geprägt.

Komplexe Architektur der Dezentralisierung

Bosnien und Herzegowina hat eine erheblich dezentralisierte Struktur der Regierungsgewalten. Es gibt einen schwachen Zentralstaat, Bosnien und Herzegowina, sowie darunter zwei föderale Einheiten: die Föderation Bosnien und Herzegowina (Föderation) und die Republika Srpska (Serbische Republik). Im März 2000 wurde außerdem das Territorium von Brcko zum autonomen Distrikt erklärt. Bis auf weiteres bleiben der Staat, die Einheiten und das Distrikt von Brcko unter der Aufsicht des Büros des Hohen Vertreters (BHV) der Vereinten Nationen (siehe Diagramm 1).

Die politischen, verwaltungsmäßigen und fiskalischen Strukturen sind in beiden Einheiten sehr unterschiedlich. Die Föderation umfasst zehn Kantone und achtzig Gemeinden, und sie stellt fast drei Viertel des konsolidierten Budgets von Bosnien und Herzegowina dar. Die Serbische Republik zählt

zweiundsechzig Gemeinden und ist verwaltungstechnisch und fiskalisch zentralisiert. Auf sie entfällt das restliche Viertel des konsolidierten Budgets von Bosnien und Herzegowina.

Der Staat Bosnien und Herzegowina hat nur begrenzte politische Macht und ist im wesentlichen von den Einheiten abhängig. Letztere haben sich ihre eigenen Verfassungen gegeben und sind politisch, administrativ und fiskalisch autonom. Auf ihrem jeweiligen Hoheitsgebiet üben sie alle öffentlichen Funktionen aus, die durch die Verfassung nicht explizit dem Staat zugewiesen sind.

Die Einheiten haben sich sogar Souveränität in Politikbereichen vorbehalten, die in anderen Föderationen typischerweise der Zentralgewalt zugewiesen sind. So sind sie beispielsweise autorisiert

Aufgrund des hohen Grads an administrativer und fiskalischer Dezentralisierung ist der Staat Bosnien und Herzegowina in seinem Handeln stark eingeschränkt, weil es zwischen den Gebietskörperschaften keine Kooperation gibt. In der Föderation hat dies zu einer fast kompletten vertikalen und horizontalen Segmentierung des Regierungshandelns geführt, was sich auch in den Finanzbeziehungen und den Budgetstrukturen widerspiegelt. Die relativ besser gestellte Minderheit der Kroaten zieht geteilte Regierungen ohne jede zwischenstaatliche Solidarität vor. Die vergleichsweise ärmere Mehrheit der Bosniaken tendiert zu einer stärker zentralistisch organisierten Bereitstellung von öffentlichen Leistungen—ggf. mit Finanzausgleich zwischen den Gebietskörperschaften. In der Serbischen Republik ist die überwiegend serbische Bevölkerung etwas homogener zusammengesetzt, aber die Solidarität zwischen Gebietskörperschaften ist ebenfalls nur sehr schwach ausgeprägt.

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Eine Finanzverfassung, die Kooperation blockiert...

Der Staat ist finanziell abhängig von den Einheiten und besitzt weder fiskalische Autonomie noch eigenständige Einnahmequellen—außer unbedeutenden Verwaltungsgebühren. Dadurch ist der Anteil der Ausgaben nachgeordneter Gebietskörperschaften an den gesamten Staatsausgaben extrem hoch (98,7 Prozent). Dies spiegelt die besonderen Arrangements wider, wonach alle Einnahmequellen des Staates (einschließlich der Zölle) den nachgeordneten Gebietskörperschaften zugewiesen sind.

Bis hin zu den Kantonen weist die Föderation eine der am stärksten dezentralisierten Strukturen der Welt auf. Auch die Regierungen der Kantone besitzen erhebliche Entscheidungsbefugnisse hinsichtlich ihrer Budgets, zumindest auf der Ausgabenseite. Der Anteil der Ausgaben der Regierungen unterhalb der Einheit (Kantone und Gemeinden zusammen) beträgt ungefähr drei Viertel der Gesamtausgaben der Einheit. Allerdings besitzt die Föderation unterhalb dieses Niveaus, zu den Gemeinden hin, eine stärker zentralisierte Finanzstruktur: nur etwa 8 Prozent des aggregierten Budgets der Einheit wird auf kommunaler Ebene ausgeführt. In der Serbischen Republik ist der Anteil der lokalen öffentlichen Ausgaben (ohne Brcko) ähnlich niedrig. In beiden Einheiten haben die kommunalen Gebietskörperschaften nur sehr geringe Entscheidungsbefugnisse in fiskalischer Hinsicht.

Nach den Verfassungen sind die Erträge von Zöllen, spezifischen Verbrauchsteuern und Gewinnsteuern (außer von kleineren Unternehmen in der Föderation) ausschließlich den Einheiten zugewiesen. Die Umsatzsteuer und die persönliche Einkommensteuer (sowohl die Lohnsteuer als auch die sogenannte Bürgersteuer) sind die wichtigsten Gemeinschaftssteuern in beiden Einheiten. In der Föderation werden die Vermögensteuer (eine Steuer auf Grund und Boden), die Grunderwerbsteuer (auf Verkäufe, Erbschaften und Geschenke) und die „Straßensteuer“ (einschließlich der Kraftfahrzeugsteuer) ebenfalls zwischen den Kanonen und Gemeinden aufgeteilt.

Das Steueraufkommen wird grundsätzlich nach dem Aufkommens- (Ursprungs-)Prinzip zugewiesen. Das gilt in der Föderation für alle drei Regierungsebenen (Einheiten, Kantone und Kommunen) bei einheitlichen Aufteilungssätzen. Dasselbe findet man auf beiden Regierungsebenen der Serbischen Republik, allerdings gibt es dort eine gewisse Differenzierung der Gemeindeanteilssätze zu Gunsten der ökonomisch weniger entwickelten Gebietskörperschaften.

Die Umsatz- und Lohnsteuern machen ungefähr fünf Sechstel der Budgeteinnahmen der Kantone in der Föderation aus. Und die kommunalen Budgets werden in hohem Maß von Einnahmen aus den Umsatz- und persönlichen Einkommensteuern bestimmt—in beiden Einheiten zu mehr als 80 Prozent.

Lokale Steuern (über die die kommunalen Autoritäten eine gewisse Verfügungsgewalt besitzen) sind in Bosnien und Herzegowina nur wenig entwickelt. Ihre Bedeutung als ein Politikinstrument zur Verbesserung der Ressourcenausstattung auf lokaler Ebene und zur Finanzierung kommunaler Budgets wurde noch nicht erkannt.

Die lokalen Gebietskörperschaften sind gewohnt, von den Gemeinschaftssteuern abhängig zu sein. Diese Abhängigkeit schafft perverse ökonomische Anreize, denn weder fühlen sich die kommunalen Entscheidungsträger für diese Ressourcen zuständig, noch fördert dies ihre Verantwortlichkeit gegenüber Bürgern und Bürgerinnen.

... schafft Ungleichgewichte...

Das Problem fiskalischer Ungleichgewichte ist vor allem deshalb so gravierend, weil jeder Versuch, finanzielle Kompensationsmechanismen zwischen den Einheiten und Kantonen zu schaffen, wegen des politisch angespannten Klimas und ethnischer Spannungen zum Scheitern verurteilt ist. Das vertikale Ungleichgewicht wird dadurch verschärft, dass steuerpolitische Entscheidungen von den Regierungen der Einheiten getroffen werden und die Kantonsregierungen dazu tendieren, Sozialausgaben nach unten zu delegieren, was die Budgets sowohl der Kantone als auch der Kommunen negativ berührt.

Vertikale Ungleichgewichte wirken sich insbesondere gegen den Staat (die Zentralregierung) und die Kommunen aus. Die eigenen Einnahmen des Staats decken nur ungefähr die Hälfte seiner ohnehin geringen laufenden Ausgaben, und die Kommunen sahen sich im Jahre 2000 einem kollektiven Defizit von etwa einem Drittel ihrer Ausgabenverantwortlichkeiten gegenüber. Nicht gedeckte Mandate auf der niedrigsten Regierungsebene ziehen entweder erhebliche Zahlungsrückstände nach sich, oder es kommt zu Ausfällen bei der Grundversorgung mit öffentlichen Leistungen.

Was die horizontalen fiskalischen Ungleichgewichte angeht, so gibt es große Unterschiede zwischen den Einheiten hinsichtlich ihrer Fähigkeit, Einnahmen zu erzielen. Ihr ökonomisches Potenzial (z.B. Ausstattung mit natürlichen Ressourcen, landwirtschaftliche Aktivitäten, industrielle Entwicklung, Beschäftigung, Faktorproduktivität) verteilt sich sehr unausgewogen auf die Regionen. So ist beispielsweise die Wertschöpfung pro Kopf im Kanton Sarajevo viermal höher als im Kanton Gorazde. Auch die Anforderungen auf der Ausgabenseite verteilen sich sehr unterschiedlich—aufgrund von Kostenunterschieden (z.B. öffentliche Ordnung, Wasser, Energie, Wohnung, Transport) und dem Anteil von Bevölkerungsgruppen mit besonderem Bedarf (z.B. Flüchtlinge und Vertriebene, Kinder, ältere und ärmere Menschen).

Der Anteil von Vertriebenen beträgt in der Föderation 20 Prozent und in der Serbischen Republik 30 Prozent, allerdings mit erheblicher Streuung zwischen den Kommunen. In einigen Gemeinden bestehen zwei Drittel der Bevölkerung aus Vertriebenen, in anderen ist der Anteil geringer als 5 Prozent.

...und lässt ärmere Regionen zurück.

Das gegenwärtige System der Zuweisung öffentlicher Einnahmen nach dem Aufkommensprinzip tendiert dazu, die horizontalen Ungleichgewichte zwischen den Regionen zu verschärfen, weil sich die regionale Steuerkapazität invers zu den regionalen Armutsindikatoren verhält. Die ärmeren und ökonomisch stagnierenden Regionen bleiben im Entwicklungsprozess tendenziell zurück, und die ökonomische Konvergenz wird dadurch stark gefährdet. Dies erweist sich als entscheidendes Hindernis auf dem Weg zur Nation und zur sozialen Kohäsion in Bosnien und Herzegowina.

Horizontale fiskalische Ungleichgewichte werden üblicherweise durch Finanzausgleich reduziert, aber infolge der aus ethnischen Gründen betriebenen Segmentierung der Budgets und des Fehlens von zwischenstaatlicher Kooperation gibt es nahezu keine ausgleichenden Finanzzuweisungen im Land.

Die Situation ist in der Serbischen Republik geringfügig besser als in der Föderation, weil es hier kleinere Unterstützungsleistungen an die Gemeinden gibt (speziell für Investitionen). Auch mildert die Differenzierung der Anteilssätze im Steuerverbund die fiskalischen Unterschiede etwas, allerdings nur sehr schwach. Finanzzuweisungen auf der gleichen Regierungsebene sind in beiden Einheiten unüblich.

Vor dem Hintergrund einer erheblichen Streuung der Besteuerungskapazität zwischen den Regionen muss das Aufkommensprinzip bei der Zuweisung von Steuereinnahmen die gegenwärtigen Unterschiede bei öffentlichen Ausgaben und Leistungen zwischen Kantonen und Kommunen, und natürlich auch zwischen Einheiten, zwangsläufig zementieren. Dies kann die Unausgewogenheit des wirtschaftlichen Wachstums zwischen Regionen in absehbarer Zukunft nur verschärfen.

Neue Initiativen erforderlich

Föderalismus kann durch Dezentralisierung und Wettbewerb zwischen den Gebietskörperschaften Ressourcen und Wachstum erschließen helfen, aber dieses Potenzial ist rasch vergeudet, wo es keine oder nur geringe Bereitschaft zur zwischenstaatlichen Kooperation und Fairness gibt. Da wo Föderalismus als fiskalische Segregation und Budgetsegmentierung verstanden wird, werden vorhandene regionale Ungerechtigkeiten bestehen bleiben, ja sich sogar verschärfen müssen; soziale Kohäsion bleibt illusorisch, und latente Konflikte arten weiter aus.

Die Herausforderung für Bosnien und Herzegowina und die internationale Gemeinschaft besteht darin, behutsam die erforderlichen Anreize für eine zwischenbehördliche Kooperation zu schaffen, die Elemente einer Nationenbildung zu stärken und durch zwischenstaatliche Finanzzuweisungen nicht nur ökonomische und soziale Chancengleichheit herzustellen, sondern auch ein regional ausgewogeneres wirtschaftliches Wachstum zu erzeugen. Sollten Bosnien und Herzegowina und die internationale Gemeinschaft an dieser Aufgabe scheitern, so scheint letztlich nur eine Lösung zu bleiben: Die politische Teilung. Deutschland wählte die Einheit.

Federations Dreifache Sonderausgabe: Themen der Internationalen Föderalismuskonferenz 2002