Die meisten Kanadier hängen außerordentlich an ihrem landesweiten System der universellen, öffentlich verwalteten Gesundheitsfürsorge, mit ihren staatlich versicherten Krankenhäusern und ärztlichen Diensten. Gleichzeitig machen sich die Kanadier aber auch Sorgen, dass diese Gesundheitsfürsorge finanziell unhaltbar werden könnte – durch steigende Erwartungen der Patienten, die Proliferation neuer und kostspieliger Technik und die alternde Bevölkerung. Weiterhin wird befürchtet, dass Pünktlichkeit und Qualität der Versorgung bereits im Niedergang begriffen sind.

Beim Aufbau des Gesundheitswesens in den vergangenen Jahrzehnten spielten die Mechanismen des fiskalischen Föderalismus eine bedeutende Rolle. Auch in den gegenwärtigen Diskussionen um die Zukunft von Medicare, wie das kanadische Gesundheitssystem heißt, gibt es Fragen darüber, wie diese Mechanismen beim Erhalten und Stärken der geschätzten Gesundheitsversorgung eingesetzt werden können.

Geburt des Systems

Die kanadische Verfassung von 1867 spricht den Großteil der legislativen Machtbefugnis für das Regulieren des Gesundheitswesens den Regierungen der Provinzen zu. Während des Zweiten Weltkrieges, beim Planen des Nachkriegsfriedens und des Wiederaufbaus, verpflichtete sich die Regierung Kanadas zum Aufbau eines Krankenversicherungssystems für ganz Kanada. Aufgrund der verfassungsrechtlichen Teilung der Autorität zwischen den föderalen und provinziellen Regierungen erkannte die föderale Regierung, dass sie ihre Pläne nur dann durchsetzen konnte, wenn sich die Provinzen zur Implementierung einverstanden erklärten. Um sich die Unterstützung auf provinzieller Ebene zu sichern, offerierte Ottawa das Zuckerbrot der Kostenteilung.

Mitte der 50er Jahre waren die meisten Provinzen sehr an einer Teilung der Kosten mit der föderalen Regierung interessiert, und 1957 wurde ein entsprechendes Gesetz verabschiedet. Die föderale Regierung verpflichtete sich, die Hälfte der qualifizierten Betriebskosten provinzieller Notversorgungsbetten in den Krankenhäusern zu übernehmen. Um sich für die föderalen Zuwendungen zu qualifizieren, mussten die Provinzen die universelle Absicherung, öffentliche Verwaltung, eine öffentliche Krankenversicherung und Portierbarkeit gewährleisten.

Im Jahre 1961 hatten sich alle Provinzen angeschlossen. 1966 wurde ein ähnliches Gesetz verabschiedet, dass die Arztleistungen abdeckte, und bis 1970 waren alle Provinzen der Vereinbarung zwischen der föderalen Regierung und den Provinzen zur Verwendung bedingter Kostenteilungszuwendungen beigetreten, um in ganz Kanada ein Versicherungssystem für Krankenhäuser und medizinische Leistungen aufzubauen.

Defizite und Schulden

Dann begannen sich die politischen Prioritäten zu ändern. Mitte der 70er Jahre machte sich die föderale Regierung nicht unerhebliche Sorgen darüber, dass ein Großteil des Föderationsetats durch die Ausgabenentscheidungen der Provinzen bestimmt wurde, unter anderem aufgrund der Kostenteilungsmechanismen für Gesundheits- und andere Programme. Diese Sorgen trafen dann mit dem größeren Problem des jährlichen Defizits und der wachsenden Schulden zusammen. Den Provinzen auf der anderen Seite missfiel die Bevormundung durch die föderale Kostenteilung und die Verzerrung der provinziellen Ressourcenzuteilung, die durch diese Kostenteilung verursacht wurde.

Das Ergebnis waren langwierige Verhandlungen zwischen der föderalen Regierung und den Provinzen sowie eine Reihe wichtiger Veränderungen in den fiskalischen Vereinbarungen. Zuerst wurde die Kostenteilung mit einer Blockfinanzierung ersetzt. In der ersten Hälfte der 70er Jahre hatte Ottawa vier größere Kostentransferprogramme mit den Provinzen unterhalten – für Krankenhausdienste, die medizinische Versorgung, höhere Bildung und das Sozialwesen. Im Jahre 1977 wurden die ersten drei zu einem einzigen Blockfinanztransfer zusammengefasst. 1996 wurde das vierte Programm hinzugefügt, sodass ein einziger, größerer Finanztransfer für alle vier Verwendungszwecke entstand.

Die Blockfinanzierung führte dazu, dass die Transferzahlungen von Ottawa an die Provinzen nicht länger direkt mit den provinziellen Ausgaben verknüpft waren. Und durch Aufheben dieser Verbindung hatte die föderale Regierung keine Grundlage mehr, die Ausgaben der Provinzen für das Gesundheitswesen zu überprüfen und herauszufordern. Darüber hinaus wurden alle Missverhältnisse bei der provinziellen Ressourcenzuteilung beendet.

Zweitens bezahlte Ottawa nur die Hälfte der neuen Blockfinanzierung in Bargeld. Der Rest wurde in Form eines übertragenen Einkommenssteuerraums gewährt. Ottawa senkte die föderalen Einkommenssteuern und ermöglichte damit den Provinzen, ihre Steuern in der gleichen Höhe anzuheben, ohne die Gesamtbelastung der Steuerzahler zu vergrößern. Die föderale Regierung verband diesen „Steuerraum-Transfer“ mit entsprechenden Ausgleichszahlungen, sodass der Pro-Kopf-Nutzen der Steuerpunkte in der ärmsten Provinz genauso hoch war wie in der reichsten.

Was den Umfang der gesamten Transferzahlungen an die Provinzen 1977 betrifft, entsprach dieser in etwa dem unter der vorherigen Kostenteilungsformel erwarteten - mit der gesetzlichen Auflage, dass der Bargeldanteil um eine dem Wirtschaftswachstum angemessene Rate erhöht werden sollte. Die finanziellen Vereinbarungen von 1977 repräsentieren einen weitgehenden Konsens zwischen der Regierung und den Provinzen, wenn auch keine formelle Vereinbarung.

Einzeltransfer, 30% Reduzierung

In den frühen 80er Jahren hatte sich die finanzielle Situation in Ottawa dramatisch verschlechtert. Die Föderation lag weit hinter den Provinzen zurück. Als sich die Provinzen unwillig zeigten, ihr Einverständnis mit Änderungen an der föderalen Blockfinanzierungsformel zu erklären, ging die föderale Regierung eigenhändig vor und nahm Anfang 1982 an der geplanten Erhöhungsrate der Bargeldüberweisungen unilaterale Reduzierungen vor. Dieser Prozess kulminierte in einer föderalen Budgetentscheidung des Jahres 1995, nach der die föderalen Bargeldzahlungen an die Provinzen für die neue Einzelblockfinanzierung um über 30% im Vergleich zu den geplanten Zahlen gekürzt werden sollten. Diese Reduzierung sollte von 1996 an beginnen.

Die Bargeldzahlungen, die im Jahre 1977 etwa 25 Prozent der erlaubten Krankenhaus- und Gesundheitsausgaben der Provinz entsprachen, waren 1997 auf einen Wert von etwa 10 Prozent der gesamten provinziellen Ausgaben für das Gesundheitswesen gefallen. Für diesen Niedergang waren teilweise die von Ottawa vorgeschriebenen finanziellen Einsparungen verantwortlich. Ein weiterer Grund für diese Entwicklung lag darin, dass die Kosten für die provinzielle Gesundheitsversorgung rapide

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angestiegen waren – darunter auch in Bereichen, die früher nicht von der föderalen Kostenteilung betroffen waren, wie zum Beispiel verschreibungspflichtige Medikamente und die Heimfürsorge.

Das föderale Budget von 1995 enthielt außerdem keine gesetzlichen Verpflichtungen darüber, ob und wann die reduzierten Bargeldüberweisungen wieder erhöht würden. Die Provinzen mussten daher ihre Reformen des Gesundheitswesens ohne jede Gewissheit über zukünftige föderale Zahlungen planen.

Durchsetzen von Prinzipien?

Eine weitere wichtige Änderung betraf die landesweit herrschenden Bedingungen. Nach dem Ende des Kostenteilungsplans im Jahre 1977 wurde es für die föderale Regierung ständig schwieriger, die mit der Krankenversicherung verbundenen Prinzipien durchzusetzen. Als verschiedene Provinzen Ärzten und Krankenhäusern erlaubten, Patientenzuzahlungen über die von der provinziellen Regierung gezahlten Beiträge hinausgehenden zu erheben, verabschiedete das föderale Parlament im Jahre 1984 das Kanadische Gesundheitsgesetz (Canada Health Act). Dieses Gesetz konsolidierte die Prinzipien, die bereits zuvor in der föderalen Gesetzgebung für Krankenhäuser und die Gesundheitsfürsorge eingebettet waren, und fügte ein so genanntes Zugangsprinzip hinzu. Weiterhin ermächtigte dieses Gesetz die föderale Regierung, Provinzen finanziell zu bestrafen, deren Organe diese Prinzipien nicht durchsetzten. Obwohl sich die Provinzen im Allgemeinen bemühten, der Gesetzgebung Folge zu leisten, haben manche Provinzen diese neuen Gesetze übelgenommen – besonders, als der föderale Anteil an der provinziellen Gesundheitsversorgung ständig zurückging.

Von einer Perspektive aus gesehen, wurden die Mechanismen des fiskalischen Föderalismus in der Periode von 1977 bis 1995 erfolgreich eingesetzt, um den finanziellen Druck insgesamt zu meistern, ohne die breiten Prinzipien, von denen Kanadas Gesundheitswesen landesweit geregelt wurde, zu unterhöhlen. Für diese Erfolge wurde jedoch ein hoher Preis gezahlt – in Form von Spannungen in den Beziehungen zwischen der föderalen Regierung und den Provinzen.

Der aktuelle Kontext

Mitte der 90er Jahre hatten sich diese Meinungsverschiedenheiten zu den am heftigsten debattierten Schwerpunkten in den föderalprovinziellen Beziehungen entwickelt. Dazu gehörten:

Seit dieser Zeit hat sich die finanzielle Lage der Föderation dramatisch verbessert. Die föderale Regierung hat die Summe ihrer Bargeldzuweisungen beträchtlich erhöht. Obwohl der Anteil der Kosten, der durch den Bargeldtransfer im Rahmen der Kanadischen Gesundheits- und Fürsorgetransfers (CHST) für die provinzielle Gesundheitsfürsorge abfällt, umstritten ist, belaufen sich konservative Schätzungen auf etwa 15 Prozent.

Zweitens hat die föderale Regierung ein Gesetz verabschiedet, das das Ausmaß der Erhöhungen in den CHST-Zahlungen bis 2006 festlegt. Drittens wurde die effektive Freiheit der föderalen Regierung, die Auflagen des Kanadischen Gesundheitsgesetzes zu interpretieren und durchzusetzen, in jüngster Zeit durch eine föderale-provinzielle Vereinbarung reduziert, in der im Falle eines Disputs eine Drittpartei einbezogen werden kann. Die Untersuchungsberichte dieser Drittparteien sind zwar für die föderale Regierung nicht bindend, werden jedoch veröffentlicht. Darüber hinaus haben die Regierungen der Föderation und der Provinzen einen Akkord des Gesundheitswesens in September 2000 vereinbart, der sich als Sprungbrett für eine notwendige Reform das Gesundheitswesen erweisen könnte.

Blick in die Zukunft

Mitte des Jahres 2002 bleiben die Beziehungen zwischen der föderalen Regierung und den Provinzen weiterhin gespannt. Einer der Gründe ist das unaufhaltsame Anwachsen der provinziellen Gesundheitsfürsorgekosten, die andere wichtige provinzielle Programme ausstechen. Die Provinzen fordern, dass Ottawa die Gesundheitsfinanzierung auf den früheren Stand aufstocken und durch föderale Verpflichtungen auf eine vorhersehbare Weise erhöhen soll, die das Anwachsen des Kostendrucks in den Provinzen reflektiert.

Die föderale Regierung zweifelt die provinziellen Zahlen an (wobei ein Großteil des Streits darum geht, ob die Steuertransfers von 1977 noch als föderale Zuweisung gezählt werden sollten). Es wird ohnehin nicht erwartet, dass Ottawa weitere Schritte unternimmt, bevor der Untersuchungsbericht der Kommission über die Zukunft der Gesundheitsfürsorge in Kanada – eines 2001 berufenen Organs – vorliegt. Dieser Bericht wird gegen Ende 2002 erwartet.

Die Kommission wird sich in ihrem Abschlussbericht wahrscheinlich von Werten und Prinzipien leiten lassen, und nicht von Mechanismen. Gleichzeitig ist es jedoch auch wahrscheinlich, dass sie erneut die Mechanismen des fiskalischen Föderalismus bemühen muss, um einige der Ziele in die Tat umzusetzen. In Sachen der Fähigkeit des Systems des fiskalischen Föderalismus in Kanada, sich den neuen Herausforderungen zu stellen – sowohl hinsichtlich des Gesundheitswesens als auch der Beziehungen zwischen den Regierungsebenen – müssen folgende Hauptschwerpunkte beachtet werden:

  • Die Frage, ob die Zahlungen für die Gesundheitsfürsorge vielleicht in einem gesonderten Paket anstatt als Mehrzweckfonds erfolgen sollten.

  • Die Frage, ob der Verantwortungsbereich des

Kanadischen Gesundheitsgesetzes

ausgeweitet werden soll, um unversicherte

Leistungen einzuschließen, und wenn ja, wie

das finanziert werden soll.

  • Die Frage, ob die Bedingungen der föderalen Transfers erweitert, beibehalten oder eingeschränkt werden sollten.

  • Wie auf die Forderungen der Provinzen nach geplanten Erhöhungen der föderalen Finanzierung mit einem vorausschaubaren Rechenmuster geantwortet werden kann.

  • Ob Vorschläge für einen finanziellen Entscheidungsfindungsmechanismus gemacht werden sollten, die auf engere Zusammenarbeit hinzielen.

  • Wie die Konfliktresolutionsmechanismen für Dispute zwischen den einzelnen Regierungsebenen verbessert werden können.

Wie die Kommission auf diese Fragen antworten wird, ist noch nicht vorauszusehen. Die Mechanismen des fiskalischen Föderalismus können an eine breite Auswahl von Antworten angepasst werden. Sie beinhalten hochflexible Instrumente, die auch für sich ständig weiterentwickelnde und sich ändernde Probleme eine Lösung bereithalten.

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