Die Vorschläge für eine Reform des schweizeirischen Föderalismus waren im November 2001 eingerichtet worden. Sie haben eine gute Chance vom eidgenössischen Parlament angenommen zu werden. Trotzdem können sie weder seine internen Kritiker befriedigen noch internationalem Druck widerstehen.

Die Vorschläge legen eine grundlegende Neuverteilung der Aufgaben zwischen Bund und Kantonen einerseits sowie um eine Neugestaltung des Finanzausgleichssystems dar. Die Reform strebt eine klarere Zuordnung der Kompetenzen nach den Prinzipien der Subsidiarität und der fiskalischen Äquivalenz an (siehe Kasten, S. 43). Damit soll die unübersichtliche Kompetenzordnung entflochten werden. Gleichzeitig will die Reform mit einer Neuregelung des vertikalen Finanzausgleichs die Disparitäten effizienter abbauen. Die Autonomie der Kantone soll gestärkt, der Föderalismus revitalisiert werden.

Dieser Reformversuch ist nicht der erste Anlauf zu einer Neugestaltung des schweizerischen Föderalismus. Nach weitgehend gescheiterten Reformbemühungen in den 1960er Jahren wurde die letzte grosse Anstrengung in den 1980er Jahren unternommen. Einfache Evaluationen zeigten damals, dass sich nur ganz wenige Vorschläge zur Entflechtung der Aufgaben in einzelnen Politikbereichen durchsetzen liessen. Zwar hatten die Ansätze zur Reform des fiskalischen Föderalismus etwas grösseren Erfolg, aber die Bilanz der Reform blieb bescheiden. Von den hochfliegenden Plänen zur grundlegenden Umgestaltung des schweizerischen Föderalismus blieben einige Retuschen bei den Finanzströmen. Die föderalismustheoretischen Grundlagen und die daraus abgeleiteten politischen Ideale reichten nicht aus, um dem schweizerischen Föderalismus ein neues Gesicht zu geben.

Der neue Anlauf heisst „Neugestaltung des Finanzausgleichs und der Aufgaben zwischen Bund und Kantonen (NFA)“ und wurde sorgfältiger vorbereited als seine Vorläufer. Die gute Vorbereitung verdankt man der gemeinsamen Strebung des Bundes und der Kantone.

Die Vorschläge, die der Bundesrat in Übereinstimmung mit den Kantonen dem eidgenössischen Parlament unterbreitet, sind denn auch von interessierten Kreisen wie auch von zahlreichen führenden Medien gut aufgenommen worden. Sie haben deshalb auch grössere Aussichten auf Erfolg. Das Reformpaket bleibt indessen weder politisch noch wissenschaftlich unbestritten. Erste Diskussionen im Vorfeld der Parlamentsdebatte haben eingesetzt. Sie spiegeln gewissermassen paradigmatisch die Probleme der Ausgestaltung föderalistischer Ordnungen in hoch entwickelten Bundesstaaten. Sie sollen deshalb hier zusammengefasst und kritisch reflektiert werden.

Finanzausgleichssystem

Die Neuordnung des Finanzausgleichs unterscheidet zwischen einem Ressourcenund einem Lastenausgleich. Der Ausgleich zwischen den starken und den schwachen Kantonen soll gegenüber dem heute geltenden System ausgebaut werden. Dies geschieht auf der Grundlage eines neuen Ressourcenindexes, der die finanzielle Leistungsfähigkeit der Kantone misst und bewusst auf die Berücksichtigung der geltenden Steuerbelastung verzichtet. Daneben sollen auch besondere Lasten der Kantone ausgeglichen werden, die diesen aufgrund der geografischen Situation (Bergkantone) oder der Bevölkerungsstruktur und der Zentrumslasten (Stadtkantone) erwachsen. Schliesslich ist für die Übergangszeit ein so genannter Härteausgleich vorgesehen, der den besonders schwachen Kantonen zukommen soll.

An diesem Modell ist vor allem an drei Punkten Kritik angebracht worden:

• Erstens zeigt die Gesamtbilanz ein höchst unausgewogenes Ergebnis. Nur gerade vier Kantone (ZH, ZG, SZ, GE) und ein Halbkanton (NW) werden zur Kasse gebeten, in einem Kanton ist der Saldo praktisch ausgeglichen (GL), während die übrigen Kantone nach den Modellrechnungen profitieren. Das hat zwar abstimmungstechnisch unbestreitbar den Vorteil, dass Mehrheiten gesichert sind.

Siehe auch „Föderalismusreformen in der Schweiz: EU-Bereit?“, Seite 13

Staatspolitisch ist dieses Ergebnis allerdings schon deshalb fragwürdig, weil die starken Kantone von den schwachen „erpresst“ und zu immer grösseren Ausgleichszahlungen gezwungen werden könnten. Die betroffenen Verlierer haben denn auch nach entsprechenden Sicherungen gerufen. Aber auch gesamtwirtschaftlich ist der Umstand nicht unproblematisch, dass die zusätzliche Umverteilung zu 96 Prozent von zwei Kantonen getragen wird. Man kann nur hoffen, dass der Neue Finanzausgleich selbst dazu beitragen wird, dass weitere Kantone über den Strich kommen und zu Nettozahlern werden.

  • Das ursprüngliche Modell sieht auch einen horizontalen Ausgleich zwischen den Kantonen vor. Dabei sollen Kantone, die für umliegende Kantone Zentrumsleistungen erbringen, entsprechende Abgeltungen erhalten. Diese werden allerdings in der Verfassung nicht festgeschrieben. Zahlerkantone, die über den horizontalen Ausgleich allenfalls wieder leicht begünstigt werden könnten, kennen zwar sehr wohl ihre neuen Verpflichtungen, sind sich ihrer Rechte indessen keineswegs sicher.

  • Ein dritter Kritikpunkt wird vor allem von der politischen Linken vorgebracht. Sie bemängelt, dass mit dem Neuen Finanzausgleich die Unterschiede zwischen den Kantonen in der Steuerbelastung zu wenig ausgeglichen würden. Im jetzigen Zeitpunkt schwankt der Steuerbelastungsindex zwischen 58 und 128 Punkten, nach Modellrechnungen würde sich die Spannweite nach der Reform reduzieren und die Indices kämen zwischen 69 (Zug) und 125 (Jura) Punkten zu liegen. Hier sind ideologische Konflikte zu erwarten. Wer sich für eine

Federations Dreifache Sonderausgabe: Themen der Internationalen Föderalismuskonferenz 2002

Harmonisierung der Belastungen einsetzt,

dem geht die vorgesehene Annäherung zu

wenig weit. Für die Verfechter der reinen

Lehre des Steuerwettbewerbs dürfte der

Eingriff in den Steuermarkt eher schon zu

stark sein.

Entflechtung der Aufgaben

Mit der Neuordnung der Finanzen eng verbunden ist die in der NFA angestrebte Entflechtung der Aufgaben und Kompetenzen. Die Reformen gehen in vier Richtungen: In erster Linie soll eine Übertragung von Aufgaben an die Kantone deren Eigenstaatlichkeit stärken. (Dezentralisierung). Zweitens ist dort, wo die Kantone je für sich allein ihre Aufgaben nicht lösen können, eine substanziell ausgebaute interkantonale Zusammenarbeit vorgesehen. (Horizontale Kooperation). Drittens gilt es in jenen Bereichen, in denen die Aufgaben auch nach der Reform sinnvollerweise nur von Bund und Kantonen gemeinsam erfüllt werden können, neue Formen der Zusammenarbeit einzuführen (Vertikaler Verbund). Viertens schliesslich sind in gewissen Teilbereichen auch Übertragungen von Kompetenzen an den Bund vorgesehen, was allerdings aus der Übersicht und dem Gesamtkonzept nicht hervorgeht (Zentralisierung).

Das Modell erscheint auf den ersten Blick ausgewogen und ist im Vergleich zu den ersten Entwürfen der wirtschaftswissenschaftlichen Experten im Reformanspruch moderater ausgefallen. Dennoch dürfte auch hier Kritik nicht ausbleiben. Die Diskussionen dürften sich vor allem um folgende Punkte drehen:

  • Die politische Linke ist gegenüber der Strategie der Dezentralisierung skeptisch bis ablehnend eingestellt. Sie befürchtet, dass vor allem finanzschwache Kantone die ihnen neu in voller Verantwortung übertragenen Aufgaben überhaupt nicht mehr erfüllen würden, was insbesondere im Sozialbereich zu einem Abbau der staatlichen Leistungen führen könnte. Es werden deshalb in verschiedenen Aufgabenbereichen Mindesstandards des Bundes gefordert. Dies würde indessen der reinen Entflechtungsstrategie widersprechen. In diesem Zusammenhang ist auch auf einen Einwand der dritten Stufe des Bundesstaates hinzuweisen. Die Gemeinden befürchten, die Kantone könnten die ihnen neu übertragenen Aufgaben an die kommunale Ebene weiter delegieren. Diese hätte dann letztlich die finanziellen Lasten zu tragen.

  • Gegenüber der horizontalen Kooperation werden vor allem staats- und demokratietheoretische Vorbehalte vorgebracht. Zunächst wird kritisiert, dass neben den

drei bestehenden Ebenen des Bundesstaates faktisch eine vierte institutionalisiert würde, was die Komplexität und damit die Intransparenz des schweizerischen politischen Systems weiter erhöhen würde. Gleichzeitig würde wegen der Schwerfälligkeit der Verfahren die Effizienz beeinträchtigt. Dann wird aber auch auf die Gefahr der verstärkten Entwicklung zu einem Exekutivföderalismus hingewiesen. Die in den interkantonalen Gremien von Regierungs- und Verwaltungsvertretungen getroffenen Entscheide seien nicht ausreichend an Parlamente rückgekoppelt und schon gar nicht an direkt-demokratische Prozesse gebunden. Besonders schwerwiegend präsentierten sich die Probleme dort, wo interkantonales Recht – wenn auch nur in Ausnahmefällen – allgemein verbindlich erklärt werden könnte. Insgesamt sind die Kritiker der Auffassung, Probleme welche die ganze Schweiz betreffen würden, seien am besten auch durch den Bund zu lösen.

• Gegen neue Formen der vertikalen Kooperation sind bisher keine grundlegenden Einwendungen gemacht worden. Dies ist auch nicht weiter

verwunderlich, entspricht diese Form des Föderalismus doch am ehesten dem bisher gängigsten Lösungsmodell. Es stellt sich indessen die Frage, ob die relative Unbestrittenheit der vertikalen Verbünde nicht dazu führen wird, dass all jene Bereiche, bei denen Dezentralisierungen oder Modelle der horizontalen Kooperation nicht zum Durchbruch gelangten, dann doch wieder nach dem Vorbild der vertikalen Zusammenarbeit organisiert werden. Damit würde das Modell, von dem eigentlich abgerückt werden und auf das nur im Notfall zurückgegriffen werden sollte, doch wieder in den Mittelpunkt gerückt. Die eigentliche Entflechtungsstrategie wäre dann im Kern doch ein weiteres Mal gescheitert. Es ist deshalb sehr wohl verständlich, dass sich der Bundesrat gegen weitere Verzichte auf Dezentralisierungen und horizontale Kooperationslösungen zur Wehr setzt.

Insgesamt stellen wir fest, dass das Vorhaben einer schweizerischen Föderalismusreform unter dem Titel der „Neugestaltung des Finanzausgleichs und der Aufgaben zwischen Bund und Kantonen“ als in sich geschlossenes Gesamtpaket auf ein gutes Echo stösst. Im Einzelnen werden aber doch in mehreren Dimensionen gewichtige Einwendungen vorgebracht. Das Vorhaben dürfte es schon deshalb in den bevorstehenden parlamentarischen Debatten und in den zahlreichen notwendig werdenden Verfassungsabstimmungen nicht leicht haben.

Dem langfristigen Erfolg der Föderalismusreform steht indessen auch noch eine bisher nicht thematisierte Schwierigkeit entgegen. Die wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Entwicklungen weisen nicht in die Richtung, welche die angestrebte Reform einschlägt. Die Schweiz ist als höchst entwickeltes Land im Innern in immer stärkerem Masse verflochten. Die politischen Grenzen, nicht zuletzt jene der Kantone, verlieren für die rund 70 Prozent der Einwohnerinnen und Einwohner, die in Städten und Agglomerationen leben und arbeiten, immer mehr an Bedeutung. Die Probleme, für die regional unterschiedliche Lösungen sinnvoll sind, werden immer seltener. Auch als Nicht-Mitglied der Europäischen Union ist die Schweiz zudem in stärkstem Masse international integriert. Die Probleme des Verkehrs – in der Luft wie zu Lande – sowie etwa der Bildung (ein ursprünglich rein kantonal geregeltes Politikfeld) zeigen mit aller Deutlichkeit, dass Lösungen in wichtigen Fragen eher auf internationaler Ebene als auf kantonaler Ebene getroffen werden müssen. Alle Ebenen werden daran zu beteiligen sein.

Eine Föderalismusreform, die sich Entflechtung als oberstes Ziel setzt, ist zwar aus ökonomischer Sicht viel versprechend. Sie versucht indessen im Grunde, das Rad der Zeit zurückzudrehen. Aus sozialwissenschaftlicher Perspektive dürfte dies auf lange Sicht gesehen aussichtslos sein. In den nächsten Jahrzehnten wird es deshalb wohl nur eine Alternative zu weiterer Zentralisierung geben: Vertikale Verbundlösungen, bei denen die Akteure auf allen Ebenen – Gemeinden, Kantone, Bund und übernationale Gremien - in wenig hierarchischen Netzwerken ernst genommen werden. Wenn es der vorliegenden Föderalismusreform gelingt, dazu neue, intelligente Formen der Zusammenarbeit und des finanziellen Ausgleichs zu finden, dann wird sie einen wichtigen Schritt in die richtige Richtung darstellen.

Federations Dreifache Sonderausgabe: Themen der Internationalen Föderalismuskonferenz 2002