Im April 2002 eskalierte ein langwieriges Problem zwischen Mexiko und den USA über die Zuteilung des Wassers des Rio Bravo/Rio Grande und führte Mitte Juni zu einem ausgedehnten politischen Konflikt zwischen den beiden Ländern. Dabei ging es um das Problem, dass Mexiko die Bedingungen des Vertrages der gemeinsamen Wassernutzung von 1944 nicht einhalten konnte.

Nach diesem Vertrag ist Mexiko verpflichtet, ein Drittel des Wasserstromes, der den Hauptkanal des Flusses Rio Grande vom Fluss Rio Conchos und fünf kleineren Zuflüssen aus erreicht, an die USA abzugeben. Dieser Transfer muss jährlich etwa 431.721 Millionen Liter betragen und in fünfjährigen Zyklen beglichen werden. Im Austausch ist die USA verpflichtet, Mexiko mit einer garantierten Jahresmenge von 1.850.233 Millionen Liter Wasser aus dem Colorado-Fluss sowie in Jahren mit einem Überschuss mit zusätzlichen 200.000 Morgen-Fuß jährlich zu beliefern.

Aufgrund einer schweren und anhaltenden Dürre entlang der texanisch-mexikanischen Grenzregion war Mexiko nicht in der Lage, seinen Anteil Wasser in die USA zu liefern. Mexiko hat seit 1996 ein Defizit von

1.356.837 Millionen Liter angehäuft. Es wird geschätzt, dass dieses Defizit im September 2002 2.096.930 Millionen Liter erreichen wird.

Obwohl der Vertrag von 1944 hinsichtlich der jeweils gelieferten Wassermengen klar zugunsten Mexikos ausfällt (insgesamt erhält Mexiko mehr als viermal die Wassermenge, die es in die USA liefert), sind die Nutznießer dieses Vertrages nicht gleichmäßig entlang der mexikanischen Grenze verteilt. Die Wasserempfänger sind die Staaten Baja California und Sinaloa, deren Farmer stark von den Wasserströmen aus dem Colorado-Fluss abhängig sind. Im Kontrast dazu stammt mehr als die Hälfte des Wassers, das Mexiko in die USA liefert, aus dem Conchos-Fluss im Staat Chihuahua.

Dürrebedingungen

Diese regionale Unausgeglichenheit führte zu keinen größeren Problemen in Mexiko, solange der Strom vom Conchos-Fluss die Farmer Chihuahuas (die mehr als 80% des Wassers für die Bewässerung verbrauchen) ausreichend mit Wasser versorgte, und die erforderlichen Wassermengen an die USA geliefert wurden.

Die anhaltende Dürre der letzten 10 Jahre hat jedoch die Situation drastisch verändert. Die Wasserknappheit hat nicht nur Mexikos Kapazitäten zum Erfüllen der vertraglichen Wasserlieferungen an die USA beträchtlich reduziert, sondern hat auch zu enormen Spannungen zwischen sowohl den beiden Nationen als auch zwischen dem Staat Chihuahua und der föderalen Regierung Mexikos geführt.

Seit 1993 wird das Becken des Rio Grande/Rio Bravo von einer verheerenden Dürre heimgesucht. Dies ist die schlimmste Dürreperiode seit 1969. Der Staat Chihuahua wurde besonders von den fortgesetzt spärlichen Regenfällen beeinträchtigt, die sich auf die Wasserströme vom Conchos-Fluss zum Rio Grande auswirken. Da die zunehmend knappen Wasservorräte vorwiegend von den Farmern Chihuahuas verwendet werden, ist Mexiko in seinen Wasserlieferungsverpflichtungen gegenüber der USA zurückgefallen. Obwohl der Wasserlieferungsvertrag von 1944 festlegt, dass Wasserlieferungsdefizite im darauffolgenden Fünfjahreszyklus beglichen werden können, schuldet Mexiko kurz vor dem Zyklus 1997-2002 der USA immer noch 1.381.507 Millionen Liter Wasser.

Im Jahre 2002 erklärte die mexikanische föderale Regierung 50 der 62 Städte in Chihuahua zum Notstandsgebiet und berechtigte sie damit zum Erhalt von föderalen Hilfefonds. Momentan sind die Reservoirs des Conchos-Beckens auf 20% ihrer Speicherkapazität gesunken. Die Farmer Chihuahuas haben bereits mit dem Pumpen von Grundwasser begonnen, um ihre Felder zu bewässern; diese Methode ist jedoch äußerst kostspielig und nicht von allen Farmern bezahlbar.

In Texas bemerkten die Farmer im Jahre 1996 einen Rückgang der Bewässerungskapazitäten und drängten ihre staatliche Regierung, sich dieses Problems anzunehmen. Nach Meinung der Farmer in Texas hortete Chihuahua Wasser, um es den eigenen Farmern zugute kommen zu lassen, anstatt seinen internationalen Verpflichtungen nachzukommen.

Mexiko bestand darauf, dass es wegen der Dürre nicht genügend Wasser hatte und dass der Vertrag von 1944 festlegte, dass niedrige Wasserlieferungen in Fällen „außergewöhnlicher Dürre“ keine Vertragsverletzung darstellen. Daraufhin fanden mehrere Treffen zwischen den mexikanischen und US-amerikanischen Teilen der Internationen Grenz- und Wasserkommission statt, um das Problem zu lösen.

Bemühungen um eine Vereinbarung und wachsende Spannungen

Im Jahre 1998 erzielten Mexiko und die USA eine Vereinbarung über den Gesamtumfang des Defizits. Mexiko bot einen Plan zum Begleichen dieses Defizits an, unter der Voraussetzung, dass die Wasserspiegelhöhe durch Regenfälle eine bestimmte Höhe erreichte. Die USA andererseits wollten, dass Mexiko Wasser aus seinen Reservoirs ablassen sollte, um seine Wasserschulden zu begleichen. Mexiko behauptete weiterhin, dass die schweren Dürrebedingungen kein solches Ablassen zuließen, da die mexikanischen Reservoirs nur zu 20% ihrer Kapazität gefüllt waren.

Im Jahre 2002 wurde, unter dem wachsenden Druck der Farmer von Texas und fortlaufenden Behauptungen der Regierung von Chihuahua, dass kein Wasser vorhanden sei, zwischen Mexiko und den USA endlich eine Vereinbarung unterzeichnet.

Am 16. März unterzeichneten beide Länder die so genannte „Minute 307“, eine Vereinbarung zur kurzfristigen Lösung des wachsenden Konflikts. Mexiko verpflichtete sich, 740.093 Liter zum Begleichen des Defizits zu liefern, und beide Länder verpflichteten sich, in Zusammenarbeit gemeinsame Wege zum Management der Dürre im Rio Grande-Becken zu suchen.

Federations Dreifache Sonderausgabe: Themen der Internationalen Föderalismuskonferenz 2002

Im Februar 2002 lieferte Mexiko insgesamt

527.370 Liter zur Begleichung der im „Minute 307“ vereinbarten Lieferung von

740.093 Liter. Im März dieses Jahres jedoch, als die Bewässerungssaison begann, übten die Farmer von Texas erneut Druck aus. Gouverneur Perry von Texas, der im November zur Wiederwahl antritt, verschärfte seine Position und verlange die sofortige Lieferung des Wassers.

Der Konflikt über die Wasserzuteilung spitzte sich zu und bedrohte die Strategie des Präsidenten Fox, mit den USA engere Beziehungen einzugehen. Am 14. Mai 2002 versprach Präsident Fox Präsident Bush, dass Mexiko seine Wasserlieferungsverpflichtungen erfüllen würde. Diese freundschaftliche Geste des mexikanischen Präsidenten gegenüber der USA wurde in Mexiko mit extremer Feindseligkeit aufgenommen. Der mexikanische Kongress, in dessen die Partei von Fox keine Mehrheit hatte, verabschiedete eine Resolution, in der verankert wurde, dass Mexiko der USA aufgrund der schweren Dürre kein Wasser liefern würde, und dass die mexikanischen Farmer Vorzugsansprüche auf die Wasservorräte haben.

In ähnlicher Weise hielten die Gouverneure der Staaten Chihuahua, Coahuila und Tamaulipas daran fest, dass eine Wasserlieferung an die USA unter den extremen Dürrebedingungen „antipatriotisch“ sei und die mexikanischen Farmer zuerst versorgt werden müssten.

Zur gleichen Zeit überlegte Präsident Bush in den USA, ob Mexiko wegen Nichterfüllung der im Wasservertrag von 1944 festgelegten Verpflichtungen mit Sanktionen belegt werden sollte. In Mexiko wurde befürchtet, dass diese Sanktionen das Zurückhalten von Wasserlieferungen vom Colorado-Fluss beinhalten könnten – ein nichtauszudenkendes Szenario für die Staaten Baja California und Sinaloa.

Am 28. Juni 2002 kamen Mexiko und die USA endlich über Maßnahmen überein, den hitzigen Streit beizulegen. Mexiko erklärte sich bereit, sofort 111.014 Liter Wasser an die USA zu liefern. Diese Menge repräsentiert nur 6 Prozent des gesamten Wasserdefizits. Wenn die erforderlichen Regenfälle nicht ausreichen, die für die städtischen Bedürfnisse der Bürger Chihuahuas erforderlichen Wasserpegel anzuheben, ist die USA zur Rückführung der nötigen Wassermenge nach Mexiko verpflichtet.

Zusätzlich vereinbarten beide Regierungen zusammen mit der Nordamerikanischen Entwicklungsbank (eine unter dem Nordamerikanischen Freihandelsabkommen etablierte finanzielle Institution), während der nächsten vier Jahre 210 Millionen Dollar zur Verbesserung der Bewässerungsstruktur und für Wasserkonservierungsprojekte zur Verfügung zu stellen.

Wasser und Föderalismus

Unter der Oberfläche des Wasserdisputs schwelt ein intensiver, politischer Streit zwischen dem neuen, demokratisch gewählten Präsidenten Fox – von der PAN Partei - und den staatlichen Regierungen, die von der Partei beherrscht werden, die Mexiko vor Fox’ Wahl dominiert hatte – die PRI.

Wasser wird von der Verfassung – wie alle natürlichen Rohstoffe in Mexiko – als der gesamten Nation gehörend anerkannt und daher vollständig von der föderalen Regierung kontrolliert. Präsident Fox jedoch hat keine Befugnis, in direkt die Staaten betreffenden Angelegenheiten zu entscheiden, ohne vorher mit den Staatsgouverneuren zu verhandeln.

In der Vergangenheit haben sich die mexikanischen Präsidenten wie „Kaiser für 6 Jahre“ aufgeführt. Gouverneure und Bürgermeister ordneten sich dem Diktat der föderalen Regierung unter. Ohne effektiven politischen Wettbewerb hingen ihre zukünftigen politischen Karrieren stark von den Entscheidungen des Präsidenten ab.

Bis zu dem Zeitpunkt, an dem die Oppositionsparteien in den staatlichen und lokalen Regierungen an die Macht gelangten, war der Föderalismus in Mexiko nur eine Formalität. Heute ist die Situation genau umgekehrt. Die Partei von Fox – die PAN – beherrscht die föderale Regierung, aber die meisten staatlichen und lokalen Regierungen werden von der PRI kontrolliert.

Aufgrund der neuen Machtkonfiguration im Lande wurde die Manövrierfähigkeit des Präsidenten stark eingeschränkt. Die PRI hat nicht nur dabei versagt, mit der PAN im Kongress zur Einführung wichtiger Reformen zusammenzuarbeiten; sie hat sogar jede Gelegenheit dazu benutzt, sich von der PAN und dem Präsidenten zu distanzieren, um ihre politische Identität neu zu definieren. Mexikos Verhältnis mit den USA ist in dieser politischen Debatte zum zentralen Schwerpunkt geworden.

Seit dem Antreten seines Amtes hat sich Präsident Fox für das Gestalten einer engeren und eindeutigeren Beziehung mit den USA eingesetzt und damit Mexikos „neutralere“ Position in internationalen Angelegenheiten verlassen und sich von nicht-demokratischen Ländern wie beispielsweise Kuba distanziert. Der Wasserdisput zwischen Mexiko und der USA sowie die Bereitschaft des Präsidenten Fox zum Erzielen einer Vereinbarung lieferte den PRI-Gouverneuren und Gesetzgebern eine ausgezeichnete Gelegenheit, ihre Differenzen mit dem Präsidenten zu demonstrieren und gegen die föderale Regierung zu stimmen.

Chihuahuas Gouverneur nahm dabei den aggressivsten Standpunkt ein, indem er die Bereitschaft der föderalen Regierung, eine Vereinbarung mit den USA ohne vorherige Berücksichtigung der Situation der Farmer in Chihuahua zu erzielen, angriff. Die Farmer in den Staaten Tamaulipas und Coahuila protestierten gegen die Wasserlieferungen an die USA, die unter „Minute 307“ vereinbart wurden. Da diese Wasserlieferungen vollständig der Kontrolle der föderalen Regierung unterliegen, können sich Interessengemeinschaften auf Ebene der Staaten nur durch eine starke Organisation bemerkbar machen.

Die negative und potenziell explosive Reaktion des Kongresses und der Gouverneure der Staaten, nach dem Präsident Fox Präsident Bush versprochen hatte, dass Mexiko den Verpflichtungen des Vertrages von 1944 nachkommen würde, überzeugte Präsident Fox davon, dass er vor dem Unterbreiten von Angeboten an die USA zuerst mit den Gouverneuren der Staaten verhandeln musste.

Am 5. Juni unterzeichneten die föderale Regierung und die Gouverneure der Staaten eine Vereinbarung, ihre Wasserreserven optimal zu nutzen und Aktionen zur Lösung des Wasserdisputs mit der USA zu koordinieren. Diese Vereinbarung bereitete den Grund für die endgültige Vereinbarung zwischen Mexiko und der USA, die am 28. Juni 2002 unterzeichnet wurde.

Obwohl der Wasserdisput zwischen Mexiko und der USA im Moment gelöst ist, hat die Krise die Schranken des Wasservertrages zu Tage gebracht, der im Jahre 1944 unterzeichnet wurde – zu einer Zeit, als in den texanischen Grenzgebieten ganz andere demographische und wirtschaftliche Bedingungen herrschten.

Und was noch wichtiger ist: Die Krise hat die Grenzen einer extrem zentralisierten Kontrolle über natürliche Rohstoffe aufgedeckt. Ohne Mitspracherecht bei der Kontrolle und beim Besitz der Wasservorräte haben die Gouverneure der Staaten kein Interesse an der effizienten Verwendung von Wasser. Obwohl Mexiko ganz sicher seine autoritäre und zentralisierte Vergangenheit hinter sich gelassen hat, ist der Großteil seines gesetzlichen und verfassungsrechtlichen Rahmens noch eine Hinterlassenschaft dieser Periode.

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