Spanien: Ein einzigartiges Modell bundesstaatlicher Autonomie

XA VIER BERNADÍ GIL / CLARA VELASCO

Das föderale Modell, das mit der spanischen Verfassung 1978 eingeführt wurde, wird heute umfassend hinterfragt. Alle politischen Parteien stimmen darin überein, dass eine Verfassungsreform notwendig ist, es herrscht jedoch keine Übereinstimmung über den Umfang der Reformen. Einige der "Autonome Gemeinschaften" (so werden in Spanien die Bundesstaaten bezeichnet) haben damit begonnen, Änderungen in ihren "Autonomiestatuten" vorzunehmen, in denen die Befugnisse und Verantwortungsbereiche der föderalen Einheiten definiert werden. Manche dieser Reformen sind nicht nur sehr ambitioniert – besonders in Katalonien und im Baskenland – sondern auch ziemlich kontrovers.

Die spanische Verfassung ist in mehrerer Hinsicht ungewöhnlich. Obwohl Spanien dem Namen nach keine Föderation ist, führte die Verfassung von 1978 zu einer stärkeren Dezentralisierung der politischen Macht als dies in vielen, dem Namen nach föderalen Ländern der Fall ist. Die Gesamtstruktur ist als der "Staat der Autonomien" oder einfach "der Staat" bekannt. Dem spanischen System sind durch Mechanismen, die

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Änderungen der verfassungsmäßigen Gewaltenteilung erlauben, als auch durch die Auslegung undefinierter Verfassungsbestimmungen große Entwicklungsmöglichkeiten gegeben. Keine der das Land begründenden Autonomen Gemeinschaften wird in der Verfassung definiert. Auch ihre Befugnisse werden nicht in der Verfassung

festgesetzt, sondern vielmehr nachträglichen Gesetzen überlassen. Alle diese Faktoren berechtigen zur Aussage, das spanische Modell sei ein

subkonstitutionelles" Modell.

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Bis 1978 haben 40 Jahre totalitärer Diktatur den traditionellen Zentralismus in Spanien zunehmend gefestigt. In jenem Jahr verwandelte sich das Land jedoch von einem einheitlichen Staat in einen Staat mit 17 Autonomen Gemeinschaften, die erhebliche politische, administrative und finanzielle Befugnisse besitzen. Das Inkrafttreten der Verfassung von 1978 hat die längste Periode regionaler Autonomie in der

Geschichte Spaniens eingeleitet.

Zwar haben die praktische Umsetzung der Verfassung und besonders der Umfang der Befugnisse der Zentralregierung in quantitativer Hinsicht zu einer umfassenden Autonomie der Autonomen Gemeinschaften geführt, die Qualität der Autonomie ist jedoch fragwürdig. Die Unabhängigkeit ist umfassend, aber sehr oberflächlich, und es ist dem System nicht gelungen, Einheit und Vielfalt zufriedenstellend auszugleichen. Spanien ist eine pluralistische Gesellschaft, die eine stärkere Ähnlichkeit mit der belgischen oder Schweizer Erfahrung aufweist als mit der amerikanischen oder deutschen. Einige Regionen haben eine starke Tradition der Selbstbestimmung mit eigener Sprache und eigenem Zivilrecht. Diese Gemeinschaften vertreten die Ansicht, dass es zum Beispiel in den die lokalen Regierungen und die öffentliche Verwaltung betreffenden Angelegenheiten ein aufgezwungenes und überhöhtes Maß an Einheitlichkeit gibt.

Am stärksten ausgeprägt ist die Asymmetrie zwischen den Autonomen Gemeinschaften in der Finanzpolitik. Zwei Autonome Gemeinschaften, das Baskenland und Navarra, genießen aus historischen Gründen finanzielle Privilegien. In anderen Gemeinschaften – Katalonien zum Beispiel – sind die finanzpolitischen Beziehungen im Wesentlichen durch ein Ungleichgewicht zwischen den öffentlichen Aufgaben und finanziellen Mitteln gekennzeichnet, denn die Zentralregierung kontrolliert nicht nur die Haupteinnahmequellen, sondern übernimmt auch die Verwaltung des Finanzsystems. Letzteres findet in der Verfassung kaum Erwähnung.

In der Verfassung werden die Befugnisse der Zentralregierung einzeln benannt, aber die Befugnisse der Autonomen Gemeinschaften werden

Xavier Bernadí Gil / Clara Velasco

nicht definiert. Diese werden in den Autonomiestatuten der Autonomen Gemeinschaften bestimmt, die damit eine beinahe verfassungsmäßige Aufgabe erfüllen und nur durch die für den Staat vorbehaltenen Kompetenzen beschränkt werden. Die Anzahl und der Umfang der Befugnisse können sich von Gemeinschaft zu Gemeinschaft unterscheiden, gegenwärtig verfügen jedoch alle etwa über das gleiche Maß an Befugnissen.

Obwohl das spanische System auf der Ausschließlichkeit der Befugnisse beruht, werden diese in vielen Fällen gemeinsam ausgeübt. So kann es vorkommen, dass die Zentralregierung ein Gesetz erlässt und die Autonomen Regionen verpflichtet sind, dieses Gesetz umzusetzen und auszuführen. Zwar stehen alle Restbefugnisse dem Staat zu, aber dieser kann einen Teil seiner Befugnisse an die Autonomen Gemeinschaften delegieren oder abtreten. Die mangelnde Definition einiger Schlüsselaspekte der Gewaltenteilung und die unzureichende Zahl von Mechanismen zur Förderung der institutionellen Beziehungen haben dazu geführt, dass eine große Zahl von Fällen vor das Verfassungsgericht gebracht wurde.

Das gegenwärtige Modell sieht sich weiteren Schwierigkeiten gegenüber. Die Autonomen Gemeinschaften beklagen sich darüber, dass sie nur einen sehr geringen Einfluss auf die zentralen Institutionen des Staates und deren Entscheidungsprozesse haben. Obwohl die Verfassung ihm diese Rolle zuschreibt, hat der Senat es unglücklicherweise nicht vermocht, als Parlamentskammer der territorialen Repräsentation zu fungieren. Die Integration in die Europäische Union im Jahr 1986 verschärfte die Probleme noch, die sich aus dieser unzureichenden Beteiligung ergeben. Nicht nur die Macht des Staates, sondern auch die der Autonomen Gemeinschaften wird durch die Aufgabe von Souveränität zugunsten der europäischen Institutionen beeinträchtigt. Die Gemeinschaften spielen in den Entscheidungsprozessen zu europäischen Angelegenheiten keine wichtige Rolle und sind in den europäischen Institutionen nicht direkt vertreten.

Die Globalisierung hat das Kräftegleichgewicht in anderer Weise beeinflusst. Die ausschließliche Hoheit des Staates über die Immigration war nie als Problem betrachtet worden, bis die Autonomen Gemeinschaften, die im Wohlfahrtsstaat für das Gesundheits-, Bildungs- und Wohnungswesen verantwortlich sind, gezwungen wurden, in diesem Bereich, in dem sie keine politische Macht besitzen, wichtige politische und finanzielle Aufgaben zu übernehmen. Eine vergleichbare Situation existiert im Fall der Informations- und Kommunikationstechnologien – zwei wachsenden Bereichen, deren politische Rückwirkungen in der Verfassung nicht berücksichtigt wurden. Weitere wichtige, noch zu lösende Probleme sind die Gewährleistung und die Stabilität des Finanzierungssystems sowie die Anpassung des Rechtssystems an die komplizierte Struktur des Landes.

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Die Verfassung von 1978 hat Spanien den Wechsel von einem einheitlichen und zentralen Staat zu einer neuen, anderen föderalen Systemen vergleichbaren Ordnung ermöglicht. Ein Prozess der Konsensbildung führte zur Niederschrift eines offenen und flexiblen Verfassungstextes. Die darauf folgenden Entwicklungen haben jedoch unter den verschiedenen Akteuren, die das System in stark voneinander abweichender Weise interpretieren, viele Debatten ausgelöst. Die gegenwärtige politische Szene legt den Schluss nahe, dass sich Spanien möglicherweise dafür entscheidet, nicht die Schwächen des Systems zu beheben, sondern das ganze System zu ersetzen.