USA: Eine föderale Regierung mit begrenzter Macht

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Internationale Entwicklungen haben einen signifikanten Einfluss auf die Art und Weise, wie Regierungen funktionieren – und die Vereinigten Staaten bilden da keine Ausnahme. Diverse Welthandelsabkommen, die Forderung nach der Einhaltung der Menschenrechte und selbst der Kampf gegen den Terrorismus haben Druck erzeugt, die Aufgaben der Regierung stärker zu zentralisieren. In den Vereinigten Staaten bewirkt dieser Druck erneute Veränderungen am Kernstück der verfassungsrechtlichen Struktur, dem amerikanischen Föderalismus.

Der amerikanische Föderalismus basiert darauf, dass eine begrenzte Anzahl von Befugnissen und Zuständigkeiten an die Bundesregierung abgetreten werden, während alle anderen Kompetenzen den Bundesstaaten vorbehalten bleiben. Vor der Ratifizierung der Verfassung waren die ursprünglichen amerikanischen Bundesstaaten alle voll funktionsfähige Verfassungseinheiten. Nach der Erklärung der Unabhängigkeit von England im Jahr 1776 schafften elf der dreizehn Kolonien ihre kolonialen Chartas ab und führten eigene Verfassungen ein, die den Rahmen für die Struktur und die Arbeit der Regierung sowie für den Schutz der Rechte des Einzelnen vorgaben. Die einzelnen Bundesstaaten waren gemäß dem

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Statut der Konföderation in einem Staatenbund miteinander verbunden. Als sich diese begrenzte Vereinigung in den ersten Jahren der Unabhängigkeit angesichts der internationalen und ökonomischen Herausforderungen jedoch als unzureichend er wies, haben die Bundesstaaten eine Tagung zur Schaffung einer Verfassung einberufen, deren Ziel es war, "eine perfektere Union zu schaffen".

Die in der Verfassung der Vereinigten Staaten von 1788 verankerte "perfektere Union" schafft eine mächtige Bundesregierung mit einer aus zwei Kammern bestehenden Legislative, einem starken Staats- und Regierungschef und einem obersten Gericht (Supreme Court). Gleichzeitig stattet die Verfassung die Bundesregierung mit begrenzten, allerdings sehr wichtigen Befugnissen aus, die diese im Statut der Konföderation nicht hatte. Dazu zählen das Steuerrecht und die Sozialausgaben sowie das Recht, den Handel zwischen den einzelnen Bundesstaaten und den Außenhandel zu steuern. All Befugnisse, die nicht der Bundesregierung übertragen werden, verbleiben bei den Bundesstaaten, also genau da, wo sie auch vor der Ratifizierung der Verfassung waren.

Diese Verteilung der Zuständigkeiten – nach der die Bundesstaaten für innenpolitische Angelegenheiten nahezu allein verantwortlich waren – hat sich über die Jahre geändert. In einigen Fällen erfolgten diese im Rahmen einer formalen Verfassungsänderung, häufiger jedoch beruhten sie darauf, dass der Supreme Court die Steuer- und Ausgabenklausel sowie die Klausel über den zwischenstaatlichen und internationalen Handel zugunsten der Befugnisse des Bundes interpretierte. Der 1868 nach Beendigung des amerikanischen Bürgerkriegs verabschiedete vierzehnte Verfassungszusatz übertrug der Bundesregierung eine wichtige Rolle beim Schutz des Rechtsstaats. Der 1913 verabschiedete sechzehnte Verfassungszusatz erweiterte das Recht der Bundesregierung, Einkommen zu besteuern. Darüber hinaus erlaubte er ihr, ein System von Bundeszuschüssen zu entwickeln, das heute einen Umfang von mehr als 600 Milliarden Dollar aufweist und praktisch jeden Bereich der Innenpolitik betrifft. Der Supreme Court der USA hat die Reichweite der Bundesbefugnisse im Rahmen der Steuer- und Ausgabenklausel und der Klausel über den zwischenstaatlichen und internationalen Handel sehr großzügig interpretiert. Dies erlaubt es der Bundesregierung, nahezu alle Formen wirtschaftlicher Betätigung zu steuern und eine große Vielfalt innenpolitischer Projekte finanziell zu unterstützen. Seit Mitte der 90er Jahre hat es einige Entscheidungen des Supreme Court gegeben, die die Befugnisse der Föderation einschränken und uns daran erinnern, dass die Bundesregierung eine Regierung mit begrenzten Befugnissen ist. Dennoch bleibt abzuwarten, ob diese Entscheidungen eine wirksame Bremse gegen die weitere Ausdehnung der Befugnisse des Bundes darstellen.

Ein Effekt der zunehmenden Einflussnahme des Bundes auf innenpolitische Angelegenheiten besteht in der Entwicklung eines komplexen

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Netzes zwischenstaatlicher Beziehungen, in dem die Behörden der lokalen Ebene, der Bundesstaaten und der Bundesebene über die Gestaltung und die Umsetzung politischer Maßnahmen verhandeln. Diese Entwicklung wird häufig als kooperativer Föderalismus bezeichnet. Einige Kommentatoren behaupten, dass die Verhandlungsposition der Bundesregierung so dominant geworden ist, dass der kooperative Föderalismus durch eine Art Zwangsföderalismus ersetzt wurde, in dem die Bundesregierung zunehmend ihren Gesetzesvorrang gegenüber den Bundesstaaten geltend macht, die Steuerbemessungsgrundlagen der Bundesstaaten schmälert und die Bundesstaaten zwingt, politischen Maßnahmen der Bundesregierung zu entsprechen.

Historische, soziale und wirtschaftliche Kräfte haben den amerikanischen Föderalismus in den letzten 200 Jahren geformt: der Kauf Louisianas von Frankreich im Jahr 1803, die anschließende Eroberung des amerikanischen Westens, der Bürgerkrieg und die von ihm verursachten Verfassungsänderungen, Industrialisierung, Immigration und Verstädterung, die Weltwirtschaftskrise und Präsident Roosevelts Programm des New Deal sowie der 2. Weltkrieg und der sich daran anschließende Kalte Krieg. Zwar haben diese Ereignisse der Bundesregierung im föderalen System eine größere Rolle zugewiesen, aber alle Regierungen – die des Bundes, der Bundesstaaten und der Gemeinden – erfüllen heute mehr Aufgaben als vor 200 Jahren. Zunehmend befinden sich bestimmte politische Bereiche nicht mehr im alleinigen Kompetenzbereich einer einzelnen Regierung, sondern erfordern die

Kooperation aller Regierungsebenen.

Es ist wahrscheinlich, dass die Globalisierung, der internationale Terrorismus und die Forderung nach Einhaltung der Menschenrechte den amerikanischen Föderalismus in sehr ähnlicher Weise beeinflussen und dabei die Macht der Bundesregierung stärken und dem kooperativen Föderalismus zusätzlichen Auftrieb geben werden. Die Vereinigten Staaten gehören zu den Unterzeichnern des Nordamerikanischen Freihandelsabkommens (Nafta) und des Allgemeinen Zoll- und Handelsabkommens (GATT). Dies sind bindende internationale Handelsabkommen, die die USA unabhängig von ihren internen politischen Arrangements erfüllen müssen. Deswegen konnte der Supreme Court der USA bundesstaatliche Gesetze für ungültig erklären: nicht weil sie der Verfassung der USA widersprachen, sondern weil sie internationale Abkommen verletzten.

Wegen der Bedrohung durch den internationalen Terrorismus hat die Rolle des Bundes bei der Verbrechensbekämpfung an Bedeutung gewonnen. Diese wichtige Rolle des Bundes wird die Verbrechensbekämpfung

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vor Ort nicht ersetzen - im Gegenteil: die Befugnisse der lokalen Behörden werden auch zunehmen. Dies bedeutet jedoch, dass die Verbrechensbekämpfung wie die meisten anderen Regierungsaufgaben zunehmend zu einer gemeinsamen Aufgabe wird und dem amerikanischen Muster des kooperativen Föderalismus neue Schwierigkeiten erwachsen werden. Schließlich üben die weltweiten Forderungen nach Einhaltung der Menschenrechte zusätzlichen Druck auf die Bundesstaaten, da Praktiken wie die beispielsweise Todesstrafe zwar der amerikanischen Verfassung nicht widersprechen, aber oft als Missachtung internationaler Normen empfunden werden.