Australien: Dual in der Form, kooperativ in der Praxis

KA TY LE ROY / CHER YL SAUNDERS

Im Bundesstaat Australien verfügen sowohl die Zentralgewalt als auch die föderalen Einheiten nach der für eine parlamentarische Demokratie in der Tradition des Common Law typischen Art über jeweils nahezu alle Regierungseinrichtungen. Allem Anschein nach gewährt die australische Verfassung jeder Gebietskörperschaft bei der Gestaltung und Arbeitsweise ihrer Institutionen ein beachtliches Maß an Unabhängigkeit. Wie in jedem Bundesstaat beeinflusst der föderale Charakter der politischen Ordnung jedoch auf verschiedenste Weise die Struktur und das Funktionieren der Institutionen und umgekehrt wird die Dynamik des föderalen Systems durch die Wahl der Institutionen beeinflusst. Einige dieser Mechanismen sind die Folge der ursprünglichen Ausgestaltung des Regierungssystems. Andere sind das Ergebnis von Entwicklungen, die in den mehr als 100 Jahren seit der Verabschiedung der australischen Verfassung stattgefunden haben, wie beispielsweise die Tatsache, dass die Regierungen auf zunehmend komplexere Formen zwischenstaatlicher Beziehungen angewiesen sind.

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Australien wurde von den Briten seit dem Ende des 18. Jahrhunderts in 6 getrennten Kolonien entlang der Küste des australischen Kontinents und auf der Insel Tasmanien besiedelt. Während der folgenden 100 Jahre entwickelten die Kolonien in britischer Tradition ihre eigenen Regierungen mit eigenen Verfassungen und ihren eigenen Regierungseinrichtungen. Am Ende des 19. Jahrhunderts verfügte jede Kolonie über ein parlamentarisches System mit einer aus zwei Kammern bestehenden Legislative, aus welchen Reihen die Exekutive bestimmt wurde. Als Staatsoberhaupt fungierte ein Gouverneur, der die Krone repräsentierte. Darüber hinaus existierte ein Gerichtssystem mit einem Obersten Gericht als letzter Instanz innerhalb jeder Kolonie, von dem aus der Kronrat in London als Berufungsinstanz angerufen werden konnte.

Die Kolonien vereinigten sich 1901 zu einem Bund, für die Verfassung wurden in erster Linie Anleihen bei der britischen und der amerikanischen Verfassung. Folglich verbindet die australische Verfassung eine parlamentarische Regierung nach dem Vorbild Großbritanniens mit einem föderalen System, das in groben Zügen dem amerikanischen System entspricht. Bestimmte Funktionen weist sie dem australischen Commonwealth zu, meistens in der Form der konkurrierenden Gesetzgebung, und die Restbefugnisse überlässt sie den Bundesstaaten. Zudem gibt sie den Rahmen für die Regierungseinrichtungen des Commonwealth vor: Parlament, Exekutive und Gerichte. Dieser Rahmen ist so interpretiert worden, dass er eine Teilung der Befugnisse vorschreibt und dabei den Gerichten eine besondere Bedeutung zuweist, da der Grad der Trennung von Legislative und Exekutive in einem parlamentarischen System notwendigerweise relativ gering ist.

Allem Anschein nach ist deshalb im Bundesstaat Australien jeder Regierungsbereich komplett mit allen notwendigen Institutionen ausgestattet ist. Einige Ausnahmen bestehen jedoch, die wichtigste betrifft die Gerichte. Während jeder Regierungsbereich sein eigenes Gerichtswesen unterhält, ermöglicht es die Verfassung, dass das Parlament des Commonwealth seine Hoheit an die Gerichte der Bundesstaaten überträgt – was häufig erfolgt. Die Strafverfolgung nach Bundesgesetz ist ein Beispiel dafür. Wichtiger noch – und in signifikanter Abkehr vom amerikanischen Modell – ist, dass Australien für die Gerichtssysteme der Föderation und der Bundesstaaten über ein einziges oberstes Berufungsgericht, den High Court of Australia, verfügt. Ein Ergebnis dieser Regelung besteht darin, dass für das ganze Land ein einziges, gemeinsames Recht existiert.

Eine eher ungewöhnliche Abweichung vom amerikanischen Modell besteht in der Monarchie. Australien ist noch immer eine konstitutionelle Monarchie, in der Königin Elizabeth II. in ihrer Funktion als Königin von Australien als Staatsoberhaupt fungiert. Sie wird auf der Ebene des Commonwealth durch den Generalgouverneur und in den Bundesstaaten durch die Gouverneure vertreten, die praktisch alle ihre Aufgaben

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erfüllen. Dieses Muster der Repräsentation der Königin von Australien ist konsistent mit dem dualen Modell. Die Monarchie selbst jedoch ist eine Institution ohne engere Beziehung zu anderen Bereichen. Im Jahr 1999 ist ein erster Versuch gescheitert, in Australien die Republik einzuführen. Im Falle eines weiteren Versuchs wird es notwendig sein, sorgfältig zu prüfen, welches eine hinreichend demokratische und föderale Art und Weise wäre, ein Staatsoberhaupt zu bestimmen.

Trotz der Dualität der Institutionen der beiden Regierungsebenen hat der Föderalismus einen ganz beachtlichen Einfluss auf die Ausgestaltung der zentralen Institutionen gehabt. Ganz offensichtlich besteht das Parlament des Commonwealth aus zwei Kammern: einem das Volk vertretenden Repräsentantenhaus und einem Senat, der als föderale Kammer angelegt ist. Jeder Gründungsstaat hat das Recht auf eine gleiche Anzahl von Senatoren (gegenwärtig 12), und die

Befugnisse des Senats entsprechen in etwa denen des Repräsentantenhauses – mit der Ausnahme bestimmter Kategorien von Haushaltsgesetzen, die vom Senat weder eingebracht noch verändert werden dürfen. Die Regierungen und Parlamente der Bundesstaaten haben ein Mitspracherecht bei der Methode und der Terminsetzung für die Senatswahlen. Dagegen sind die Wahlen zum Repräsentantenhaus ausschließlich Aufgabe des Commonwealth. Die Senatoren werden im Rahmen des Verhältniswahlrechts direkt gewählt, wobei jeder
Bundesstaat einen einzigen Wahlbezirk darstellt.

In der Regel handeln die Senatoren und Abgeordneten als Repräsentanten ihrer Partei und nicht als Repräsentanten ihrer Bundesstaaten, obwohl sie vermutlich die Perspektive ihrer eigenen Bundesstaaten mit in die Verhandlungen einbringen. Innerhalb des Senats stimmen die Senatoren typischerweise mit ihrer Partei. In der Regel unterscheidet sich die Mehrheit im Senat von der im Repräsentantenhaus. Auf diese Weise funktioniert der Senat als Kontrollinstanz des Systems: Er kann Regierungsvorlagen blockieren und weitere Verhandlungen über sie verlangen und damit das Handeln der Regierung eingehender überprüfen als das Repräsentantenhaus. Es gibt ein Verfahren zur Auflösung von Blockaden, das jedoch – jedenfalls für den Zweck, für den es geschaffen wurde – zeitaufwändig und mühsam ist.

Die Australierinnen und Australier sind geteilter Meinung über die Verdienste des Senats als Kontrollinstanz der Macht der Regierung im Repräsentantenhaus. Änderungen sind jedoch unwahrscheinlich. Kürzlich scheiterte ein Versuch der Regierung des Commonwealth, das Interesse an einer Verfassungsänderung zu wecken, mit der das Blockadeverfahren so

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vereinfacht werden sollte, dass sich das Repräsentantenhaus mit größerer Wahrscheinlichkeit durchsetzt. Inzwischen könnte die Frage an Bedeutung verloren haben. Im Jahr 2005 gewann die Regierungskoalition zum ersten Mal seit 30 Jahren auch die Mehrheit im Senat.

Es gibt andere, weniger offensichtliche Beispiele für den föderalen Einfluss auf die Ausgestaltung zentraler Institutionen. Die Wahlkreise sind an die Grenzen der Bundesstaaten gebunden. Jeder Bundesstaat hat unabhängig von der Größe seiner Bevölkerung das Recht auf mindestens fünf Abgeordnete im Repräsentantenhaus. Die Regierung des Commonwealth ist gesetzlich verpflichtet, die Bundesstaaten bei Ernennungen zum High Court zu konsultieren. Viele Einrichtungen des Commonwealth haben Büros in den meisten oder allen Bundesstaaten. Verfassungsänderungen bedürfen eines positiven Ergebnisses in einer Volksbefragung sowohl mit einer Mehrheit der Wählerstimmen in einer Mehrheit der Bundesstaaten als auch mit einer Mehrheit auf nationaler Ebene.

Der in der australischen Verfassung angelegte formale Dualismus wird in der Praxis durch weit reichende zwischenstaatliche Zusammenarbeit in beachtlichem Umfang verändert.

In beinahe allen Feldern der Regierungstätigkeit finden mindestens einmal im Jahr Treffen der Minister aus allen Hoheitsgebieten statt. Es gibt inzwischen ein umfangreiches Netz von ministeriellen Beratungsgremien, die von zwischenstaatlichen Treffen von Mitarbeitern des Öffentlichen Dienstes und von Beamten mit anderen Funktionen, etwa den Parlamentsreferenten, begleitet werden. An der Spitze dieses Komplexes steht der Rat der Australischen Regierung (Council of Australian Governments, COAG).

Zweitens besteht ein erhebliches finanzpolitisches Ungleichgewicht zugunsten des Commonwealth, das jedes Jahr erhebliche Transfers von Einnahmen zwischen dem Commonwealth und den Bundesstaaten erforderlich macht. Viele dieser Transfers sind an die Bedingung geknüpft, dass sie für bestimmte Zwecke verwendet werden. Die Annahme dieser Transfers ist theoretisch freiwillig. Dennoch üben die Regierung und das Parlament des Commonwealth auf diese Weise erhebliche Kontrolle über Bereiche aus, die sich im Verantwortungsbereich der Bundesstaaten befinden.

Darüber hinaus existieren in Australien inzwischen hochkomplexe zwischenstaatliche Gesetzgebungsverfahren, mit denen wirksam die Einheitlichkeit des Rechts und der Verwaltung in Angelegenheiten sichergestellt werden sollen, für die die Verfassung eine gemeinsame Verantwortung der Regierungen vorschreibt. Typischerweise werden diese Verfahren bei den Treffen der Minister vereinbart, die sich in der Regel darauf verlassen können, dass ihre Parlamente sie umsetzen, wenn eine entsprechende Gesetzgebung notwendig wird. Diese Form des exekutiven Föderalismus ist nun ein hervorstechendes Merkmal der australischen Föderation.

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Die zwischenstaatliche Zusammenarbeit erfolgt in Australien, einem Land mit einer relativ kleinen und im Kern homogenen Bevölkerung von 20 Millionen Menschen, als Antwort auf die Forderungen nach mehr Effizienz. Angesichts der verfassungsrechtlichen Struktur des Regierungssystems, bei dem die Regierungen gegenüber dem Parlament und den Gerichten ihres Bundesstaates verantwortlich sind, verursachen einige Formen der Zusammenarbeit auch Bedenken hinsichtlich der Transparenz und den Rechenschaftspflichten – Bedenken, die bis jetzt noch nicht erfolgreich entkräftet werden konnten.