Wege zur Reform des deutschen Fiskalföderalismus

LARS P . FELD / JÜRGEN VON HAGEN

Theoretisch ist das föderale System Deutschlands ein kooperatives System, doch hat die mangelnde Kooperation zwischen der Bundesregierung und den Bundesländern in der Praxis in eine Sackgasse geführt. Die Ausgabenhoheit der 16 deutschen Bundesländer wird durch die Vollmachten des Bundes beschränkt, und der überwiegende Teil der Bundesgesetzgebung bedarf der Zustimmung der Länder in der oberen Kammer des Parlaments, dem Bundesrat. Dies hat den Ländern ein Vetorecht gegen Gesetzesvorgaben des Bundes eingeräumt und die Fähigkeit der Bundesregierung, ihre eigene Politik zu verfolgen, beschränkt. Das Vetorecht der Länder wird häufig als ein Hindernis für politische Reformen auf der Bundesebene angesehen, insbesondere wenn die beiden Kammern des Parlaments von Mehrheiten aus unterschiedlichen politischen Lagern kontrolliert werden. Eine nennenswerte Kontrolle der Steuererhebung besteht nur auf der kommunalen Ebene und ist von untergeordneter Bedeutung. Die Entscheidungen über die wichtigsten Steuern werden vom Bund und den Ländern im Bundesrat gemeinsam getroffen. Die Länder dürfen einzeln keine Steuerbemessungsgrundlagen oder Steuersätze festlegen. Das System wird durch einen

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hochgradig gleichmacherischen Finanzausgleich vervollständigt, durch den die armen Länder besser gestellt werden.

Während der letzten 25 Jahre ist es immer offensichtlicher geworden, dass es nötig ist, die Finanzverfassung zu verbessern. Die ersten Forderungen nach einer Reform des Finanzausgleichs gaben folgende Gründe an:

Ferner sind die Länder, die aufgrund exzessiver Kreditaufnahmen in finanzielle Schwierigkeiten geraten sind, vor Gericht gezogen, um von der Bundesregierung Bundesmittel zur Finanzierung ihrer Schulden zu erhalten. 1992 entschied das Bundesverfassungsgericht, dass der Bund solche Finanzmittel für die Länder Saarland und Bremen bereitstellen muss. Probleme dieser Art waren im deutschen Föderalismus bereits vor der Vereinigung inhärent, haben sich aber seitdem noch verschlimmert.

Die Politiker der Bundes- und der Länderebene, die Beamten und Wissenschaftler unterschiedlicher Disziplinen sind sich der Ungleichgewichte im Fiskalföderalismus Deutschlands seit langem bewusst. Für die Öffentlichkeit ist die Dringlichkeit dieser Situation offenkundig geworden, als das Land Berlin 2003 gegen den Bund auf Zahlung von Finanzmittel klagte und daraufhin 2005 eine weitere Klage des Saarlandes folgte.

Im Jahr 2004 unternahm eine Bundeskommission den Versuch, Vorschläge für eine Reform des deutschen Föderalismus, einschließlich der Finanzbeziehungen, zu erarbeiten. Bis Ende 2004 war die Kommission noch zu keiner Übereinkunft gekommen. Die im November 2005 ins Amt gekommene große Koalition aus Christ- und Sozialdemokraten versucht auf der Basis eines neuen Kompromisses zwischen den Ländern, den Ministerpräsidenten und der Kommission des Bundes, die Zuständigkeiten von Bund und Ländern zu entwirren. Die neue Regierung schlägt in einer Absichtserklärung zudem vor, die Reform des Fiskalföderalismus zu einem späteren Zeitpunkt zu diskutieren.

Weil die deutsche Finanzverfassung auf der Verteilung der Befugnisse im bundesstaatlichen System Deutschlands beruht, müsste einer Reform der Finanzbeziehungen zwischen den Ländern und der Bundesregierung die Entflechtung der Zuständigkeiten vorausgehen. Sowohl die Länder als auch der Bund müssen in verschiedenen Bereichen größere Autonomie erhalten, bevor eine Zuweisung der Finanzmittel möglich ist. Der Reformvorschlag zielt darauf ab, den Anteil der Gesetzgebungsverfahren, die der Zustimmung des Bundesrates bedürfen, von heute ungefähr 60 Prozent auf unter 50 Prozent zu senken. Dies würde dadurch erreicht, dass die Länder mehr ausschließliche Kompetenzen erhalten, zum Beispiel beim Schul- und Hochschulwesen oder bei der Bezahlung der

Deutschland

öffentlich Bediensteten und Beamten. Der Bund würde unter anderem die ausschließliche Kompetenz bei der Umweltgesetzgebung erhalten.

In welchem Umfang die zusätzlichen Kompetenzen der Länder in einzelnen Bereichen durch eine größere Steuerautonomie begleitet werden sollten, ist zwischen den Ländern und auch zwischen ihnen und dem Bund heftig umstritten, ohne dass es einen Konsens darüber gibt, in welche Richtung sich die Reform bewegen sollte.

Die Nettoempfänger des Finanzausgleichs zögern zudem, Änderungen in ihrer relativen Position zu akzeptieren. Und als letztes kommt dazu, dass die Länder in Finanzkrisen bisher auf die finanzielle Unterstützung der Bundesregierung angewiesen waren und man sich nicht einig ist, wie diese Abhängigkeit beendet werden soll.

Aus volkswirtschaftlicher Sicht scheinen eine größere Finanzautonomie der Ebenen unterhalb des Bundes und eine größere Verantwortung der Finanzmärkte eine vernünftige Lösung zu sein, um das Gleichgewicht des Fiskalföderalismus in Deutschland wiederherzustellen. Eine einfache politische Lösung, um größere Finanzautonomie zu erreichen, ist jedoch nicht in Sicht. Nicht praktikabel ist es, die Länder direkt einer Bewertung ihrer Kreditwürdigkeit durch die

Finanzmärkte auszusetzen, weil einige Länder dann mit prohibitiv hohen Refinanzierungskosten konfrontiert würden. Die Länder zögern jedoch auch, eine Begrenzung ihrer Autonomie zu akzeptieren und dem Bund die Macht zu übertragen, bei exzessiv verschuldeten Ländern Konsolidierungsmaßnahmen durchzusetzen. Die Nettoempfänger des Finanzausgleichs dagegen wollen weder weniger Finanzausgleich noch größere Finanzautonomie akzeptieren. Auch wenn es verlockend ist, die Verteilung der Befugnisse von den Finanzfragen zu trennen, in der Praxis wird es sich als schwierig erweisen, das eine ohne das andere zu diskutieren.

Einige Beobachter argumentieren, eine graduelle Zunahme der Steuerautonomie sei politisch gangbar. Sie würde aus vier Komponenten bestehen. Zuerst könnten der Umfang und die Anzahl der gemeinsamen fiskalischen Befugnisse verringert werden. Insbesondere die gemeinsame Verantwortung für den Hochschulbau könnte abgeschafft werden. Als Zweites könnte die Gesetzgebungshoheit für Steuerarten, deren Aufkommen ausschließlich den Ländern zusteht (z.B. die Kraftfahrzeug-, die Grunderwerbs- und die Erbschaftssteuer) vollständig auf die Länderebene übertragen werden. Als Drittes könnte den Ländern das Recht eingeräumt werden, einen Zuschlag auf die persönliche Einkom

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menssteuer und Körperschaftssteuer zu erheben. Schließlich könnte der Finanzausgleich Schritt für Schritt abgebaut werden, um eine größere Steuerautonomie der Länder zu ermöglichen und deren positive Wirkung zu entfalten.

Eine größere Steuerautonomie wäre auch die Vorbedingung für eine Lösung, um mittelfristig die Abhängigkeit der Länder von Rettungsaktionen des Bundes oder von Krediten zur Deckung der Ausgaben zu beenden. Gegenwärtig ist die Kreditaufnahme häufig die einzige Alternative der Länder, wenn sie auf einen wirtschaftlichen Schock reagieren müssen. Ein kurzfristiges Anziehen der Budgetbeschränkungen der Länder könnte durch striktere Regeln zur Durchsetzung der Haushaltskonsolidierung in Ländern mit exzessiver Verschuldung erreicht werden. Wenn versucht wird eine Lösung zu finden für den Ausgleich zwischen größerer Steuerautonomie der einzelnen Länder und weniger Autonomie bei der Kreditaufnahme, wird eine Reform des fiskalischen Föderalismus schwierig. Anstatt tatsächliche politische Lösungen zu diskutieren, ist es wahrscheinlich besser, Verfahren zur Verringerung der dysfunktionalen Elemente des deutschen Fiskalföderalismus zu finden.