Spanien: Neuausrichtung des Finanzausgleichs und der Finanzbeziehungen

JOAQUIM SOLÉ VILANOV A

Die demokratische Verfassung von 1978 initiierte einen Prozess politischer und finanzpolitischer Dezentralisierung in Spanien, der – im Gegensatz zu den beiden vor 1978 existierenden Ebenen Zentralregierung und Gemeinden – zur Bildung von drei Regierungsebenen führte. Mit der neuen Verfassung und unter dem Druck der führenden Regionen wie dem Baskenland und Katalonien wurden zwischen 1979 und 1983 insgesamt 17 "Autonome Gemeinschaften" oder Bundesstaaten mit Gesetzgebungs- und Ver waltungshoheit geschaffen. Dieser 1978 mit der Verfassung begonnene schrittweise Prozess der Dezentralisierung ist in den Bereichen Ausgaben und Steuererhebung erfolgreich gewesen. Andere Aspekte erscheinen jedoch unvollendet, besonders in den Bereichen Haushaltsdisziplin, Finanzausgleich und Finanzbeziehungen.

Im Jahr 2003 betrug der Anteil der Ausgaben der Autonomen Gemeinschaften ungefähr 35 Prozent der gesamten Staatsausgaben einschließlich der Sozialversicherung. Dies bedeutete einen starken Anstieg im Vergleich zu 1978, als die Schaffung der Bundesstaaten noch bevorstand. Einige

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Bundesstaaten, beispielsweise Katalonien und das Baskenland, erbrachten schon ab 1982 Leistungen in den Bereichen Bildungs-, Gesundheits- und Polizeiwesen. Ab dem Jahr 2002 wurden diese Leistungen (mit Ausnahme der persönlichen Sozialfürsorge, des Straßenunterhalts und anderer weniger kostenintensiver Leistungen) generell von allen Autonomen Gemeinschaften erbracht.

Heute nehmen die Bürger die Autonomen Gemeinschaften als die Erbringer von Leistungen wahr, aber sie sehen die Autonomen Gemeinschaften nicht als Steuereinnehmer an. Die Folge

davon ist, dass die Parlamente der Bundesstaaten ihre Steuerkompetenzen – mit der Ausnahme der Einführung von Steuergutschriften und niedrigerer Steuersätze – nicht voll ausschöpfen. Diese Zurückhaltung in der Machtausübung deutet auf einen Mangel an finanzpolitischer Reife und politischen Verantwortungsbewusstsein auf Seiten der Regierungen der Bundesstaaten und der Wähler hin. Es bedarf dringend eines Anstoßes, um die finanzpolitische Verantwortung zu stärken und dem Druck der Bürger zu widerstehen, die mehr Leistungen fordern und dadurch einen ausgeglichenen Haushalt erreichen.

Auf der Ebene der Bundesstaaten existieren zwei Finanzsysteme: das "Allgemeine", das für 15 Autonome Gemeinschaften gilt, und das "Spezielle", das im Baskenland und in Navarra – die beide seit Jahrhunderten einen Sonderstatus genießen – Anwendung findet. Das Baskenland und Navarra besitzen zum Beispiel umfassendere Kompetenzen hinsichtlich übertragener Steuern

besonders im Hinblick auf die Körperschafts-steuer. Diese finanzpolitische Asymmetrie hat zu einer merkwürdigen Situation geführt: Im Fall dass bestimmte Gebiete im Wettbewerb stehen, um Unternehmen anzulocken, können Regierungen mit einem Sonderstatus attraktive Steuergutschriften oder eine Senkung der Steuersätze der Unternehmensund der persönlichen Einkommenssteuer einführen, was zur Folge hat, dass die benachbarten Autonomen Gemeinschaften wegen ihrer unzureichenden Autonomie bei der Steuergestaltung nicht in der Lage sind, diesem Wettbewerb standzuhalten. Dies führt dazu, dass Unternehmen sich in Bundesstaaten mit einem Sonderstatus niederlassen.

Das Allgemeine Finanzsystem wird durch das 1980 verabschiedete "Grundlegende Finanzgesetz der Autonomen Gemeinschaften" (LOFCA)

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reguliert. Durch dieses Gesetz sind den Autonomen Gemeinschaften einige Steuerquellen übertragen worden. Zudem gibt es ein System der Steuer- und Einnahmenteilung sowie Ausgleichszuschüsse. Seit 1997 erheben alle Autonomen Gemeinschaften ihre eigene, auf der entsprechenden Bemessungsgrundlage der Zentralregierung basierende, persönliche Einkommenssteuer und teilen sich die Mehrwertsteuer sowie die Verbrauchssteuern, wobei als Verteilungsschlüssel für diese Einnahmen der entsprechende Konsum der Bundesstaaten fungiert. Darüber hinaus stehen den Autonomen Gemeinschaften die "übertragenen Steuern" (z.B. Vermögenssteuer, Grunderwerbssteuer, Erbschaftssteuer, Stempelsteuer, Glücksspielsteuer etc.) zur Verfügung mit dem Recht, Steuersätze, Steuergutschriften und sogar die Steuerbemessungsgrundlage zu variieren. Zudem haben sie das Recht, Zuschläge auf die übertragenen Steuern zu erheben und neue Steuern auf Tatbestände zu erheben, die von der Zentralregierung nicht besteuert werden.

Einige Autonome Gemeinschaften stehen seit kurzem in einem Steuerwettbewerb und unterbieten einander bei den Erbschaftssteuersätzen. Dieses gefährliche Rennen kann in der Abschaffung der Steuer und dem Verlust der Steuerbemessungsgrundlage auf der Ebene der Bundesstaaten münden, wie dies in Kanada und Australien in den 70er Jahren geschehen ist. Eine zentrale Erbschaftssteuer mit Mindeststeuersätzen, bei der die Erbschaftssteuern der Bundesstaaten in Form von Steuergutschriften abzugsfähig wären, könnte als Sicherheitsnetz dienen und den gegenwärtig stattfindenden Steuer wettbewerb beenden. Keine Regierung eines Bundesstaates hat es allerdings gewagt, diese Idee zu unterstützen.

Das gemeinsame Finanzsystem der 15 Autonomen Gemeinschaften beinhaltet einen expliziten Ausgleichsmechanismus. Dieser besteht aus einem Ausgleichszuschuss, der die Steuerkraft und den Finanzbedarf in Einklang bringt. Die Ausgleichsformel hat sich zwar im Laufe verschiedener Reformen entwickelt, das explizite Kriterium der horizontalen Gerechtigkeit zwischen den einzelnen Hoheitsgebieten ist jedoch nie präzise definiert worden. Zudem sind die Zielgrößen Bedarf" und "

"Leistungsausgleich" vom Zentralparlament nie spezifiziert worden. Zwar beinhaltet das gegenwärtige Finanzsystem der Bundesstaaten ein hohes Maß an Ausgleich zwischen den 15 Autonomen Gemeinschaften des Allgemeinen Finanzsystems, aber die Ausgleichsformel ist eindeutig zugunsten der ärmeren Regierungen verzerrt.

In jedem föderalen Staat variieren die Pro-Kopf-Steuereinnahmen – einschließlich der Einnahmen aus der Steuerteilung – zwischen den einzelnen Bundesstaaten, weil die Steuerbemessungsgrundlagen und die Steuerkraft erhebliche Unterschiede aufweisen. Die Rolle der Ausgleichzuschüsse besteht darin, diese fiskalischen Unterschiede abzubauen, und nicht notwendigerweise darin, sie gänzlich zu beseitigen, und mit Sicherheit niemals darin, neue Abweichungen in der anderen Richtung zu

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schaffen. Die Formel, mit der die frei verfügbaren Ausgleichszuweisungen berechnet werden, die so genannte Fondo de Suficiencia, ist so gestaltet, dass die endgültigen Pro-Kopf-Einnahmen der ärmeren Autonomen Gemeinschaften oftmals über denen der reicheren Autonomen Gemeinschaften liegen. Die Ausgleichszuschüsse verringern also nicht nur die Unterschiede in den Pro-Kopf-Steuereinnahmen der Autonomen Gemeinschaften, sondern sie drehen die Reihenfolge der Autonomen Gemeinschaften nach den Pro-Kopf-Steuereinnahmen in der Ausgangslage genau um. Außerhalb des allgemeinen Systems werden noch weitere Zuschüsse gewährt: Investitionszuschüsse für Entwicklungszwecke von der Zentralregierung und der Europäischen Union, von denen nur die 10 ärmsten Bundesstaaten profitieren.

Einige Vorschriften wurden in den 90er Jahren reformiert, und es gibt eine neue Welle von Reformen, die von Katalonien, einem relativ wohlhabenden Bundesstaat, vorangetrieben werden. In seinem Vorschlag zu asymmetrischen finanzpolitischen Befugnissen legte es eine bilaterale Beziehung zur Zentralregierung und ein neues Ausgleichskriterium fest. Zugewinne für Katalonien können sehr wohl zu einem Domino-Effekt führen und dann von anderen Autonomen Gemeinschaften übernommen werden. Zusätzliche asymmetrische Finanzkompetenzen werden wahrscheinlich von der Zentralregierung nicht akzeptiert. Es wird jedoch erwartet, dass in Kürze ein neues Kriterium für die Ausgleichszuschüsse eingeführt wird. Jedes Ausgleichsziel muss mit einem Mindestmaß an Effizienz kompatibel sein und den Regierungen Anreize geben, ihre Steuerbasis durch Wirtschaftswachstum zu vergrößern. Diese Finanzreform, wann immer sie auch stattfindet, wird sie zu einem stärker föderalen und weniger einheitlichen Finanzsystem führen.