Fiskalischer Föderalismus in Indien: Kommende Herausforderungen

M. GOVINDA RAO

Das indische System zwischenstaatlicher Finanzvereinbarungen hat dem Land seit weit über 50 Jahren gute Dienste geleistet. Es hat eine signifikante Angleichung der Leistungen erreicht und ein funktionierendes System der Streitschlichtung zwischen der Nationalregierung – die in Indien als "Zentrum" bezeichnet wird – und den einzelnen Bundesstaaten geschaffen. Es hat sich den wandelnden Anforderungen angepasst und damit dazu beigetragen, in einem großen Land mit vielen Unterschieden ein hohes Maß an Kohäsion zu erreichen. Zwar bedürfen einige Bereiche einer Reform, das beständigste Merkmal ist jedoch, dass eine solche Reform in hohem Maße möglich ist.

Die Steuerhoheit und die Ausgabenzuständigkeiten des Zentrums und der Bundesstaaten sind in der Verfassung in Form von Listen für das Zentrum, die Bundesstaaten und die konkurrierenden Kompetenzen festgelegt. Mit der 1992 erfolgten Ergänzung der Verfassung haben auch kommunale Regierungen in ländlichen und städtischen Gebieten ihre Aufnahme in die Verfassung gefunden. Neben der Aufrecherhaltung von Gesetz und Ordnung spielen die Bundesstaaten eine überragende Rolle bei der Bereitstellung von Sozialleistungen wie Bildung, Gesundheit,

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Wohnungswesen und Familienhilfe. Bei der Bereitstellung wirtschaftlicher Leistungen sind sie in der gleichen Position wie das Zentrum. Wichtig ist ihre Rolle insbesondere bei der Entwicklung der Landwirtschaft, der Bewässerung, der Industrieförderung und der Transportinfrastruktur. Die meisten mit breiter Bemessungsgrundlage versehenen progressiven Steuerarten sind der Nationalregierung zugeordnet. Die wichtigsten Steuern des Zentrums sind Zölle, Verbrauchssteuern auf Industrieprodukte, die Lohn- und Einkommenssteuer und die Körperschaftssteuer. Den Bundesstaaten sind ebenfalls einige wenige Steuerbemessungsgrundlagen zugeordnet, aber unter dem Gesichtspunkt der Steuereinnahmen ist die Erhebung einer Umsatzsteuer im Einzelhandel die wichtigste. Die Bundesstaaten können sowohl bei der Zentralregierung als auch auf Kapitalmarkt Kredite aufnehmen. Wenn ein Bundesstaat jedoch bei der Zentralregierung bereits verschuldet ist, muss er sich eine weitere Verschuldung vom Zentrum genehmigen lassen.

Der indische Fiskalföderalismus ist durch ein hohes Maß an vertikaler und horizontaler Ungleichheit gekennzeichnet. In den Jahren 2003-2004 entfielen etwa 39 Prozent der gesamten Einnahmen auf die Bundesstaaten. Ihr Anteil an den Ausgaben betrug jedoch 57 Prozent. Über 55 Prozent

der Gesamtausgaben der Bundesstaaten wurden

durch Zuweisungen des Zentrums oder durch Kreditaufnahmen finanziert. Im Hinblick auf die horizontalen Ungleichgewichte sind die als Bundesstaaten der "besonderen Kategorie" klassifizierten 11 kleinen Bergstaaten am stärksten benachteiligt. Sie weisen nur geringe Produktionsaktivitäten auf und sind kaum in der Lage, Einnahmen aus den ihnen zugeordneten Quellen zu erzielen. Aber selbst zwischen den 17 Bundesstaaten der "allgemeinen Kategorie" bestehen signifikante Unterschiede hinsichtlich der Größe, der Fähigkeit, Einnahmen zu erzielen, der Leistungen, des Ausgabenniveaus und der finanz

politischen Abhängigkeit. Das durchschnittliche Pro-Kopf-Einkommen war im Bundesstaat Goa am höchsten (56.599 Rupien) und 8,7 Mal mal höher als in Bihar, dem Bundesstaat mit dem niedrigsten Pro-Kopf-Einkommen (6.539 Rupien). Die Verfassung trägt der Tatsache Rechnung, dass die Steuerkraft der Bundesstaaten nicht ausreicht, ihre Ausgaben zu decken, und sieht deshalb eine Beteiligung an den Steuereinnahmen des Zentrums vor.

Eine bemerkenswerte Eigenschaft der Transfers in Indien ist die Existenz mehrerer Kanäle zur Bereitstellung der Geldmittel. Ein solcher Kanal ist die im März 1950 durch einen Beschluss der indischen Regierung ins Leben gerufene Planungskommission, die die Bundesstaaten mit

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Zuschüssen und Krediten unterstützt, damit diese ihre geplanten Ausgaben decken können. Bis 1969 wurde den Bundesstaaten Planunterstützung für spezifische Unternehmungen gewährt, wobei diese Zuweisungen nicht aufgrund einer allgemeinen Formel zugewiesen wurden. Vielmehr wurde sowohl der Umfang der Hilfe als auch die Komponenten der Zuschüsse bzw. Kredite aufgrund der Art der geplanten Unternehmungen bestimmt. Seit 1969 jedoch wird den Bundesstaaten Planunterstützung sowohl durch Zuweisungen als auch Kredite gewährt, die anhand einer vom National Development Council (NDC) genehmigten Formel berechnet werden. Der NDC setzt sich aus den Ministern des Kabinetts, den Mitgliedern der Planungskommission und den Regierungschefs der Bundesstaaten zusammen. Den Vorsitz hat der Ministerpräsident. Die Zuschüsse der Planungskommission belaufen sich auf etwa 16 bis 20 Prozent aller Transfers des Zentrums.

Die Verfassung schreibt vor, dass der indische Präsident alle fünf Jahre eine Finanzkommission beruft, die die Finanzen des Zentrums und der Bundesstaaten überprüft und für die folgenden fünf Jahre Empfehlungen für Steuerdevolutionen und Zuschüsse ausspricht. Als neben der Finanzkommission auch die oben genannte Planungskommission begann, Zuschüsse zu vergeben, wurde der Zuständigkeitsbereich der Finanzkommission auf die Empfehlung von Transfers für außerplanmäßige Ausgaben der Bundesstaaten beschränkt. Bisher sind 12 Finanzkommissionen berufen worden, die ihre Berichte vorgelegt haben. Gegenwärtig stellen die Transfers der Finanzkommission etwa 60 Prozent der Gesamttransfers dar, die der Planungskommission etwa 20 Prozent. Außerdem gewähren verschiedene Ministerien des Zentrums den Bundesstaaten Zuschüsse für spezielle Projekte zum Teil mit, zum Teil ohne die Forderung nach einer Kofinanzierung der Bundesstaaten. Es gibt über 200 solcher Projekte; unter finanzpolitischen Gesichtspunkten sind davon aber nur wenige von Bedeutung.

Das Transfersystem ist mit vielen Problemen behaftet. Viele Transferkanäle unterstützen gelegentlich sich widersprechende Ziele und machen es damit enorm schwierig, die Transfers auf die finanzpolitisch benachteiligten Bundesstaaten zu fokussieren. Die von der Finanzkommission übernommene Methode für Transfers – die darauf abzielt, die Lücke zwischen den geplanten Einnahmen und Ausgaben zu schließen – hat nicht nur erhebliche negative Anreize geschaffen, sondern auch zu Ungerechtigkeiten geführt. Das System strebt keine signifikante Angleichung an, weil die Vorhersagen für die Ausgaben der ärmeren Bundesstaaten von einem sehr niedrigen Basiswert ausgehen. Da die hochgerechneten Finanzierungslücken durch Transfers gefüllt werden, entstehen negative Anreize für die Steuer- und Ausgabenpolitik. Die Unterscheidung von planmäßigen und außerplanmäßigen Transfers hat zudem den Haushalt segmentiert und negative Folgen für das

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Finanzmanagement. Darüber hinaus hat das Anwachsen der zweckbestimmten Transfers zu Ineffizienz im Ausgabenmanagement geführt. Diese Probleme haben das Transfersystem in erheblichem Maße politisiert.

Die zwischenstaatliche Politik und die zwischenstaatlichen Institutionen in Indien haben sich im Kontext einer vom öffentlichen Sektor dominierten, auf der Schwerindustrie basierten Industrialisierung entwickelt, die Bestandteil der geplanten Entwicklungsstrategie war. Mit der ökonomischen Liberalisierung und der Öffnung der Volkswirtschaft sind signifikante Änderungen im System des fiskalischen Föderalismus notwendig geworden. Einige der Herausforderungen bestehen darin, die Einnahmen staatlicher Unternehmen durch Steuern zu ersetzen, den Verlust von Zolleinnahmen auszugleichen und eine am Bestimmungslandprinzip orientierte Mehr wertsteuer einzuführen. Angesichts einer zunehmend globalisierten Wirtschaft müssen die Bundesstaaten ihre vordringlichen Aufgaben (das Erbringen von Sozialleistungen und die Bereitstellung der materiellen Infrastruktur) in effizienter Weise erfüllen. Außerdem muss das Finanzsystem das Problem lösen, wie auf den unteren staatlichen Ebenen Haushaltsdisziplin sichergestellt und die Zunahme der Haushaltsdefizite und der Verschuldung der Bundesstaaten beendet werden kann. Das Zustandekommen von Koalitionsregierungen im Zentrum und in den Bundesstaaten hat zu einem wettbewerblichen Populismus geführt und zur Umsetzung von Maßnahmen, die bei den Wählern populär sind, ohne dass die finanzpolitischen Folgen berücksichtigt würden. Da die Regionalparteien, die auf der Ebene der Bundesstaaten die Regierung stellen, zu tragenden Säulen der Zentrumskoalition geworden sind, ist es zu einigen asymmetrischen Vereinbarungen gekommen. Alle diese Faktoren hatten einen negativen Einfluss auf die Finanzverwaltung.