Argentinien: die Wachsende Rolle der Provinzen in der Außenpolitik

EDUARDO IGLESIAS

Obwohl die Außenpolitik Aufgabe der Zentralregierung ist, wurden in den letzten Jahrzehnten zunehmend auch die argentinischen Provinzen im Bereich der internationalen Beziehungen und der internationalen Politik aktiv. Dies manifestiert sich sowohl in formellen, informellen oder Ad-hoc-Beteiligunge am Prozess der nationalen Außenpolitik als auch in direkten internationalen Aktivitäten.

Dieser zunehmende Aktivismus ist das Ergebnis lokaler und globaler Faktoren. Als Argentinien 1983 zur Demokratie zurückkehrte, schien die Rückkehr zum Föderalismus die Dezentralisierung zu begünstigen. Verschiedene Probleme (wie beispielsweise Phasen von Hyperinflation, eine Rebellion des Militärs und viele Arbeitskämpfe) verzögerten jedoch substantielle Transformationen. Erst die Reform der Staatsverfassung im

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Jahre 1994 ermöglichte deren Umsetzung.

Die Verfassungsreform von 1994 eröffnete die Möglichkeit, die Beteiligung an auswärtigen Beziehungen und an globalen Foren zu überdenken. Artikel 124 der Verfassung ermächtigt die Provinzen, besondere Regionen für die wirtschaftliche und soziale Entwicklung zu schaffen und internationale Abkommen zu unterzeichnen. Gemäß Artikel 124 müssen die internationalen Abkommen mit der Außenpolitik des Landes kompatibel sein und dürfen weder die der Zentralregierung übertragenen Befugnisse tangieren noch dem öffentlichen Ansehen der Nation schaden, weil der argentinische Staat für jedes internationale Abkommen in seiner Gesamtheit die Verantwortung trägt. Die Reform führte zu einer

kontroversen und bisher unbeantworteten Frage:

In welchem Umfang und wie soll die Regierung der Föderation die Tätigkeiten der Provinzen auf internationaler Ebene kontrollieren, um widersprüchliche Positionen und Inkompatibilitäten zwischen der Außenpolitik des Landes und den internationalen Initiativen der Provinzen zu vermeiden?

In der Reformphase begannen viele Provinzen damit, internationale Themen auf ihre Tagesordnung zu setzen, insbesondere Angelegenheiten des Handels, der Integration und der Nutzung der natürlichen Ressourcen. Ihr Aktivismus ist ohne Regionalisierung und der Globalisierung nicht vollständig zu verstehen. Diese Kräfte brin-gen häufig eine ungleiche Verteilung von Kosten,

Nutzen und Entwicklungschancen in den verschiedenen Landesteilen mit sich. Dieser Effekt schafft Anreize für die Provinzen, sich selbst um solche Themen zu kümmern, die ihren eigenen ökonomischen Wohlstand betreffen.

Es ist kein Zufall, dass Artikel 124 sowohl die Schaffung von Regionen als auch das Recht, internationale Abkommen zu unterzeichnen, behan-delt. Beide Klauseln bieten Ansatzpunkte für internationale Fragen. Die Provinzen sind als Ganzes in sechs Regionen eingeteilt: Noreste Argentino, Noroeste Argentino, Nuevo Cuyo, Centro, Patagonia, Crecenea Litoral und Comahue. Einige dieser Regionen, wie Crecenea Litoral und Nuevo Cuyo, existierten bereits vor der Verfassungsreform, und ihre Gründungsverträge behandeln auch internationale Fragen. Andere Regionen, wie die Region Centro, hatten gemeinsame Institutionen mit Befugnissen in internationalen Angelegenheiten. Der Umfang des Engagements in internationalen Angelegenheiten variiert, aber der allen Regionen gemeinsame Faktor besteht in der Notwendigkeit, die Ressourcen zu bündeln und eine "kritische Masse" zu erreichen, um gemeinsame Initiativen voranzubringen,

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internationale Kontakte zu verbessern und der Zentralregierung Forderungen zu stellen.

Direkte internationale Interventionen der argentinischen Provinzen und Regionen erfolgen in verschiedenen Politikbereichen. Ein Bereich ist die Verwaltung der natürlichen Ressourcen wie beispielsweise der Flüsse, Öl- und Gaslagerstätten, der hydroelektrischen Projekte und Ökosysteme. Die Behörden der Provinzen haben guten Grund, sich an den Verhandlungen der Nationalregierung mit benachbarten Staaten über die Ausbeutung der natürlichen Ressourcen zu beteiligen, denn sie sind Eigentümer an dieser natürlichen Ressourcen. Das Minenprojekt von Pascua-Lama, das zwischen Argentinien und Chile unter direkter Beteiligung der Provinz San Juan ausgehandelt wurde, ist ein gutes Beispiel dafür.

Ein zweiter großer Bereich ist die Infrastruktur. Infrastrukturprojekte werden als grundlegende Instrumente für die lokale und regionale Entwicklung betrachtet, besonders für die von Buenos Aires weit entfernten Regionen. Diese Provinzen und Regionen haben die Zentralregierung um die Bereitstellung grenzüberschreitender Infrastruktur gebeten, die ihnen schnelleren und direkteren Zugang zu den Nachbarstaaten geben würde. Eine der wichtigsten Prioritäten ist der Bau einer erdgebundenen Transportmatrix für den Korridor, der den Atlantik (Argentinien) mit dem Pazifik (Chile) verbindet. Ein anderes strategisches Ziel, besonders in der nördlichen Region, besteht im Bau von Straßen nach Bolivien und Paraguay – beides Partner der so genannten Zona de Integración Centro Oeste de América del Sur (ZICOSUR), einer Makroregion subnationaler Regierungen.

Die internationale Handelspolitik ist ebenfalls von Interesse. Die Provinzen haben mit unterschiedlichem Erfolg darum gekämpft, ein Mitspracherecht in der allgemeinen Handelspolitik und bei spezifischen internationalen Verhandlungen zu erhalten. Insgesamt gilt, dass die Provinzen einen umso größeren Beitrag leisten können, je größer die geografische Konzentration und die horizontale Integration des Sektors sind, um den es bei internationalen Verhandlungen geht. Dies war der Fall in den Zucker-Verhandlungen des Gemeinsamen Marktes des Südens (Mercosur), in denen die nördlichen Provinzen eine aktive Rolle spielten.

Das direkte Engagement der Provinzen in Handelsfragen konzentriert sich auf die Handelsförderung, wie etwa die Teilnahme an internationalen Messen oder die Organisation von Handelsmissionen. Im Allgemeinen erfolgt die Koordination dieser Aktivitäten durch nationale Stellen wie die Fundación Exportar, das Außenministerium und den Consejo Federal de Inversiones (CFI).

Obwohl die Verfassung den Provinzen den gleichen Status und die gleichen Befugnisse überträgt, verfügen die einzelnen Provinzen im Bereich der internationalen Beziehungen über unterschiedliche Fähigkeiten und

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Interessen. Drei Faktoren erklären die Unterschiede. Der erste Faktor ist die Politik und der fortbestehende Wille der Provinzbehörden, internationale Verbindungen herzustellen und zu pflegen. Der zweite Faktor besteht in der Geopolitik und betrifft zumeist die Grenzprovinzen. In Argentinien sind 16 der 23 Provinzen Grenzprovinzen. Sie haben Grenzen mit fünf anderen Ländern, von denen eins föderal und vier zentralstaatlich organisiert sind. Eine solche geografische Lage bringt so komplexe Angelegenheiten wie Immigration, grenzüberschreitende Infrastrukturprojekte, Sicherheits- und Gesundheitsfragen, Fischereirechte und die gemeinsame Hoheit über die Flüsse auf die Agenda der föderalen Einheiten auf beiden Seiten der Grenze. Der letzte Faktor ist die Wirtschaft. Insgesamt gibt es solide Hinweisedarauf, dass sich kleinere und ärmere Provinzen wegen ihrer weniger gut entwickelten institutionellen Strukturen und der Knappheit an menschlichen und materiellen Ressourcen auch weniger an internationalen Beziehungen beteiligen. Es scheint eine Lücke zu geben zwischen den kraftvollen öffentlichen Reden führender Provinzpolitiker, die auf die Notwendigkeit einer stärker international ausgerichteten Verwaltung hinweisen, und der Realität spärlicher Ressourcenzuweisungen für diese Zwecke. Das grundlegende Muster scheint zu sein, dass Provinzen mit einem starken politischen Willen, internationalen Grenzen und wirtschaftlichen Ressourcen sich stärker in der Außenpolitik engagieren.