Die Außenbeziehungen Österreichs: Vorrang des Bundes und informelle regionale Verbindungen

STEF AN HAMMER

Als eines der ältesten föderalen Systeme Europas sah die österreichische Verfassung von 1920 ursprünglich keine Rolle für die Gliedstaaten – die Länder – auf der internationalen Bühne vor. Dem traditionellen Verständnis folgend, nach dem die internationale Rechtsstellung der Föderation als Ganzes vorbehalten ist, wurden alle außenpolitischen Befugnisse in den Händen des Bundes konzentriert. Für die Vollziehung internationaler Verpflichtungen im Inland gilt jedoch weiterhin die Gewaltenteilung zwischen Bund und Ländern. Der Bund ist für die Erfüllung von Verpflichtungen aus internationalen Abkommen verantwortlich und wurde deshalb mit umfangreicher Verfügungsgewalt ausgestattet, um sicherzustellen, dass die Länder diesen Verpflichtungen in ihren Hoheitsbereichen nachkommen. Im Gegenzug müssen die Länder konsultiert werden, bevor der Bund ein Abkommen abschließt, das Einfluss auf deren Bereich nehmen könnte. Wenn es der Sache angemessen ist, finden im Allgemeinen Konsultationen statt, aber keines der Instrumente, mit denen die Inkraftsetzung erzwungen werden kann, ist je angewendet worden.

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Dank der Existenz solcher Instrumente ist es nicht zum offenen Vertragsbruch durch die Länder gekommen ist. Wenn es zu Vertragsverletzungen kommt, die Schadensersatzpflichten zur Folge haben, hat das verantwortliche Land die Kosten dafür zu tragen. Weil in der Verfassung jedoch explizite Regeln fehlen, mussten in einigen Fällen die Gerichte eingeschaltet werden.

Mit der Zeit hat die Ausweitung der internationalen Beziehungen sich auch auf die Länder ausgewirkt, und die Forderungen nach grenzüberschreitender Koordination und Zusammenarbeit in lokalen und regionalen Belangen sind lauter geworden. Seit einigen Jahrzehnten versuchen die Länder, das Monopol des Bundes in der Außenpolitik zu umgehen, indem sie ein Netz informeller grenzüberschreitender Absprachen aufbauen. Obwohl diese Absprachen Regierungsangelegenheiten betreffen, können sie weder im Rahmen des nationalen öffentlichen noch des internationalen Rechts Gesetzeskraft erlangen. Dennoch werden sie von der Bundesregierung mit zunehmendem Misstrauen beobachtet, weil sie keine Kontrolle über den Abschluss solcher Absprachen hat. Auf der anderen Seite haben die Länder zunehmend den Wunsch geäußert, dass ihre grenzüberschreitende Zusammenarbeit in rechtlich bindende Instrumente umgewandelt werde.

1989 schien auf beiden Seiten das entsprechende Interesse vorhanden gewesen zu sein, denn den österreichischen Ländern wurde im Rahmen einer Änderung der Bundesverfassung das Recht gewährt, in ihrem Verantwortungsbereich internationale Verträge mit Anrainerstaaten oder

deren Gliedstaaten abzuschließen. Den Ländern

eröffnete dies die Möglichkeit, ihre grenzüberschreitenden Absprachen auf die Ebene des internationalen Rechts zu heben. Im Gegenzug aber setzte der Bund eine Vereinbarung über ein komplexes Kontrollsystem für den Abschluss solcher Abkommen durch. Die Bundesregierung muss informiert werden, bevor die Verhandlungen beginnen, und sie muss ihre Zustimmung geben, bevor ein Vertrag abgeschlossen werden darf. Darüber hinaus kann nur der Bundespräsident die Rechte für die Verhandlungsführung und den Vertragsabschluss erteilen. Die

Abkommen unterliegen zudem denselben bundesstaatlichen Kontrollen hinsichtlich ihrer Umsetzung wie die Abkommen des Bundes. Laut Verfassung werden Vertragsverpflichtungen, die von einem Land eingegangen werden, als Vertragverpflichtungen betrachtet, die die Republik Österreich direkt binden.

Das Recht der Länder, internationale Abkommen abzuschließen, ist unter dem Verfassungsgrundsatz, der ihnen eine unabhängige interna

Österreich

tionale Stellung verweigert, nicht ausreichend flexibel und wurde deshalb in der Praxis nie angewendet. Stattdessen haben die Länder ihre grenzüberschreitende Zusammenarbeit auf informeller Ebene weitergeführt. Daran hat auch das 1980 verabschiedete Europäische Rahmenübereinkommen über die grenzüberschreitende Zusammenarbeit, mit dem die Zusammenarbeit in Grenzregionen gefördert werden soll, nichts geändert. Österreich ließ insbesondere keine grenzüberschreitenden Körperschaften des öffentlichen Rechts zu, wie sie das 1995 verabschiedete Protokoll zum Rahmenübereinkommen vorsah.

Österreichs Beitritt zur Europäischen Union (EU) im Jahr 1994 stärkte die Position der Länder in den zwischenstaatlichen Beziehungen zu Belangen der europäischen Integration, was diese für die Beschneidung ihrer Rechte durch die europäische Gesetzgebung entschädigte. Auf der einen Seite darf der Bund die Vollziehung des EU-Rechts durch die Länder erst überprüfen, nachdem ein Bruch europäischen Rechts durch die EU festgestellt wurde. Auf der anderen Seite sind alle Maßnahmen, die auf europäischer Ebene ergriffen werden und die Befugnisse der Länder beeinflussen, Gegenstand eines ausgeklügelten Konsultations-verfahrens. Dieses kann in einer gemeinsamen Position aller Länder münden, die sogar Bindungswirkung für die Position des Bundes im europäischen Entscheidungsprozess haben kann. Darüber hinaus haben die Länder das Recht, in den österreichischen EU-Delegationen vertreten zu sein. Mit Hilfe dieser Instrumente ist es den Ländern wiederholt gelungen, die Europapolitik des Bundes zu gestalten.

Die Länder streben außerdem danach, die europäische Regionalpolitik direkt auf der europäischen Ebene zu beeinflussen. Neben ihrer formalen Stellung im Komitee der Regionen verbünden sie sich mit anderen europäischen Regionen in mehreren informellen oder privaten Gremien, um eine umfassende Europäische Politik der Regionen zu entwickeln. In diesem Kontext koordinieren sie auch ihre Position gegenüber ihrer jeweiligen Bundesregierung.

Umgekehrt strebt die EU im Rahmen ihrer Kohäsionspolitik danach, direkte, grenzüberschreitende Kooperationen der Regionen zu fördern. Weil die Regierungen der Mitgliedsländer direkt an der Formulierung konkreter Projekte beteiligt sind, intensiviert dies nicht nur die grenzüberschreitende Zusammenarbeit, sondern, wie im Fall Österreichs, auch die interne Koordination zwischen den verschiedenen Ebenen des föderalen Systems, einschließlich der Ebene der Gemeinden. Die europäische und die inländische Politik stehen kurz vor dem Zusammenschluss zu einer dritten, polyzentrischen Ebene der europäischen Entscheidungsfindung durch grenzüberschreitende Institutionen. Für diese hat das europäische Recht mit der "Europäischen Wirtschaftlichen Interessenvereinigung" vor kurzem eine neue Struktur mit eigener Rechtspersönlichkeit geschaffen. Da EU-Recht vor dem Recht der

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Mitgliedsstaaten Vorrang genießt, kann es die Hindernisse, die die österreichische Verfassung den Außenbeziehungen der Gliedstaaten errichtet, leicht überspringen. Das EU-Recht übertrifft auch den rechtlichen Einfluss des Europäischen Rahmenübereinkommens, das für Österreich nur im Hinblick auf Nicht-Mitglieder der EU und für Angelegenheiten außerhalb des EU-Rechts relevant ist.

Die Idee, dass neue – wenn auch funktional beschränkte – Institutionen über Staatsgrenzen hinweg entstehen, ist jedoch auf wenig Gegenliebe gestoßen. Die österreichischen Länder scheinen informelle Koordination und Lobbying im traditionellen Rechtsrahmen zu bevorzugen. Dies entspricht ihrer wachsenden Rolle als informelle politische Akteure in einer Welt der wirtschaftlichen Globalisierung. Ihr in jüngster Zeit verstärkter diplomatischer Ehrgeiz, neue Auslandsmärkte für die heimische Wirtschaft zu erschließen, wird von der Bundesregierung so weit unterstützt, wie es für den Bund auf internationaler Ebene keine rechtlichen Auswirkungen zeitigt. Gemeinsam mit diplomatischen Vertretern des Bundes, nationalen Außenhandelsverbänden und Privatunternehmen bilden sie ein informelles Netz österreichischer Außenwirtschaftspolitik.

Im Allgemeinen haben die Zunahme und die Diversifizierung der Außenbeziehungen die Funktionen der regionalen Regierungsgewalt in Österreich erheblich erweitert. Da der Bund jedoch seine rechtliche Vorrangstellung behält, entwickelt sich die politische Rolle der Länder durch informelle Kontakte und Netze, die demokratischer Transparenz und Rechenschaftspflicht nicht leicht zugänglich sind.