Außenpolitik und intergovernmentale Beziehungen in Kanada

ANDRÉ LECOURS / GEORGE ANDERSON

Weder Kanadas ursprüngliche Verfassung, der British North America Act von 1867, noch das Verfassungsgesetz von 1982 übertrugen der Bundesregierung ausdrücklich die Hoheit über die internationalen Beziehungen. Das Recht der Bundesregierung, Abkommen beizutreten, wird allgemein aus dem föderalen Vorrecht der Krone abgeleitet. 1937 entschied der Rechtsausschuss des Kronrats in London jedoch, dass die Bundesregierung die Abkommen, die im Rahmen der kanadischen Mitgliedschaft in der Internationalen Arbeitsorganisation verpflichtend wurden, nicht allein umsetzen konnte. Die Außenbeziehungen Kanadas sind deshalb charakterisiert durch eine unsichere Situation, in der die Föderation das Recht hat, einem Abkommen beizutreten, und die Provinzen, darüber zu entscheiden haben, ob dieses dann umgesetzt wird. Jede Regierungsebene hat ihre Befugnisse dazu genutzt, ihren Einfluss auf die Außenbeziehungen geltend zu machen. Die führt zwangsläufig zu einer mehr oder weniger strak ausgeprägten Zusammenarbeit, in mehr oder minder starkem Maß zusammenzuarbeiten.

Ein wichtiges und besonderes Problem der kanadischen Außenbeziehungen war das Streben der Regierung von Quebec, international eine

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wichtigere Rolle zu spielen. Die Politiker der Provinz Quebec waren die heftigsten Kritiker des Rechts des Bundes, internationale Abkommen ohne die Zustimmung der Provinzen zu unterzeichnen. Sie argumentierten, dass die Provinzen wie im belgischen Modell das Recht haben sollten, in ihren von der Verfassung zugewiesenen Kompetenzbereichen internationalen Abkommen beizutreten. Andere Provinzen haben typischerweise nicht so weit reichende Forderungen gestellt.

Es gibt in Kanada kein zwischenstaatliches Forum, das speziell der Außenpolitik gewidmet ist. Zwischenstaatliche Beziehungen entwickeln sich, wenn spezifische Fragen, die die Hoheit der Provinzen berühren,

Gegenstand internationaler Verhandlungen wer

den. Die entsprechenden Rücksprachen finden innerhalb zwischenstaatlicher Foren für spezifische Bereiche statt und werden gelegentlich durch formale zwischenstaatliche Absprachen flankiert (wie dies beispielsweise im Bereich der Arbeit seit 2005 der Fall ist).

Der Umfang der zwischenstaatlichen Aktivitäten ist proportional zur Bedeutung der entsprechenden internationalen Themen. Bei den Verhandlungen über die Freihandelszone mit den Vereinigten Staaten in den 80er Jahren wurde die politische Entscheidung getroffen, die

Provinzen in vollem Umfang an dem Prozess zu beteiligen. Die Provinzen und die Bundesregierung waren jedoch unterschiedlicher Meinung darüber, was dies bedeute. Die Provinzen strebten danach, die Formulierung der kanadischen Position zu beeinflussen – bevorzugt durch die Mitgliedschaft in der Verhandlungsdelegation und die Kontrolle des Verhandlungsführers der Föderation. Die Bundesregierung dachte eher an intensive Besprechungen, aber kein endgültiges vetosrecht für die Provinzen. Mit der Einrichtung eines "Ständigen Komitees für die Verhandlungen über den Außenhandel" wurde ein Kompromiss geschlossen. Die Wirksamkeit des Komitees war aber umstritten. Für spätere Verhandlungen von Handelsabkommen wurden ähnliche Vereinbarungen getroffen.

Eine aktuelle Herausforderung ist das Kyoto-Protokoll zum Klimawandel. Zwar haben die kanadischen Provinzen Mitglieder der kanadischen Delegation in Kyoto gestellt, sie vertraten jedoch unterschiedliche Meinungen und einige standen den von Kanada akzeptierten Emissionszielen sehr kritisch gegenüber. Die im Jahr 2002 von Premierminister Chrétien gemachte einseitige Ankündigung, dass Kanada das Kyoto-Protokoll ratifizieren würde, verärgerte sie, und sie missbilligten dies in einer gemeinsamen Erklärung. Die 2006 gewählte konser vative Minderheitsregierung kündigte an, dass sie Kanadas Verpflichtungen im

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Rahmen des Kyoto-Protokolls nicht nachkommen werde. Dieses Thema spaltet Kanada, und es stellt eine große Herausforderung für die Beziehungen zwischen dem Bund und den Provinzen dar.

Kulturelle Fragen führen häufig zu Spannungen zwischen der Bundesregierung und der Regierung Quebecs. 1999 lud Frankreich mehrere Bundesminister und Minister Quebecs ein, die Frage der kulturellen Vielfalt zu diskutieren; die Bundesminister zogen es vor nicht teilzunehmen. 2005 lud die Bundesministerin für kulturelles Erbe ihren Amtskollegen in Quebec ein, an den Verhandlungen zur Allgemeinen Konvention über kulturelle Vielfalt teilzunehmen, jedoch ohne das Recht sich zu äußern. Quebec zog es vor nicht teilzunehmen. 2006 vereinbarten die Bundesregierung und die Regierung Quebecs, dass Quebec bei der kanadischen UNESCO-Delegation in Paris durch ständigen Vertreter repräsentiert wird und dass die Bundesregierung die Regierung Quebecs konsultiert, bevor sie formal eine Position im Kontext der Arbeit der Organisation bezieht.

Die kanadischen Provinzen sind zudem selbstständige Akteure auf internationaler Ebene. Quebec unterhält Vertretungen in 25 Ländern, die von einem separaten Ministerium für internationale Beziehungen verwaltet werden, und hat darüber hinaus Hunderte von Vereinbarungen mit anderen Ländern und Landesteilen getroffen. All diese Vertretungen und Vereinbarungen unterliegen jedoch den Rahmenabkommen, die von der der Bundesregierung und den souveränen Partnern vereinbart wurden. Quebecs Streben nach einer internationalen Rolle stand viele Jahre lang im Mittelpunkt der sehr komplexen und gespannten "Dreiecksbeziehungen" zwischen Ottawa, Quebec City und Paris. DeGaulles berühmter Ausruf "Vive le Québec libre" und Frankreichs höchst ambivalente Politik, sich nicht einzumischen aber auch nicht neutral zu verhalten, bestimmten frühzeitig den Ton. Letztendlich akzeptierte die Bundesregierung eine einzigartige Vereinbarung, nach der Quebec gegenüber Frankreich diplomatischen Status genießt und direkte Beziehungen unterhält. Quebecs wegen benötigten Kanada und Frankreich Jahre, eine Formel für die Schaffung einer Internationalen Organisation der französischsprachigen Gemeinschaften (la francophonie) zu finden. Am Ende vereinbarten sie ein Arrangement, das Quebec und New Brunswick mit ihren großen französischsprachigen Minderheiten zu "teilnehmenden Regierungen" an Stelle von "Mitgliedsregierungen" machten und das Quebecs Rolle auf die Bereiche der technischen und kulturellen Zusammenarbeit – im Gegensatz zu außenpolitischen Angelegenheiten – beschränkte. Quebec ist innerhalb dieses Netzes außergewöhnlich aktiv.

Die Provinz Alberta, die ihr Vorrecht bei den Ölreserven sorgfältig schützt, ist die andere Provinz, die den internationalen Beziehungen, besonders mit den USA, Priorität einräumt. Sie beeinflusste die Ausformulierungen des Freihandelsabkommens wirkungsvoll, sodass die Befugnisse

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des Bundes hinsichtlich der Besteuerung und des Exports von Energie wirkungsvoll beschränkt wurden. Sie drängt auf eine volle Beteiligung der Provinzen an internationalen Energietreffen. Im März 2005 richtete sie ein mit drei Personen besetztes Büro in der kanadischen Botschaft in Washington ein. Dies geschah nach einem Richtungswechsel in der Bundespolitik, der versucht hatte, die Provinzen von Washington fernzuhalten, um in den bilateralen Verhandlungen mit einer Stimme sprechen zu können. Quebec lehnte dieses Arrangement ab, da es der Provinz widerstrebt, Personal in der kanadischen Botschaft zu haben. Quebec betreibt eine Art heimlichen Lobbyismus mit Hilfe eines

Tourismusbüros" in Baltimore.

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Im föderalen Kontext stellen sich hinsichtlich der internationalen Beziehungen Kanadas damit zwei zentrale Fragen. Die erste Frage lautet: Welche Art von beratenden bzw. Rücksprache-Arrangements sollte die Bundesregierung mit den Provinzen anstreben hinsichtlich internationaler Abkommen, die deren Hoheitsbereich betreffen? Eine Beteiligung der Provinzen an den Verhandlungen und der Unterzeichnung internationaler Abkommen, bei denen Hoheitsbereiche der Provinzen berührt werden, würde die Implementierung dieser Abkommen erleichtern. Formalisierte und bindende Beratungsverfahren dagegen würden die Fähigkeit des Bundes einschränken, Außenbeziehungen zu pflegen und effektiv zu verhandeln.

Die zweite Frage lautet, wie die Bundesregierung auf Quebecs Drängen nach einer größeren internationalen Rolle reagieren sollte. Zwar könnte die Unterstützung für eine stärkere Beteiligung Quebecs die gründe für die Unabhängigkeit Quebecs entkräften, aber ein zu starkes Entgegenkommen würde in der Föderation zu Besorgnis hinsichtlich der internationalen Integrität Kanadas führen. Zudem könnte dies die künftige Steverung eines möglichen Versuchs der Regierung Quebecs, die Unabhängigkeit zu erlangen, auf internationaler Ebene erschweren.