Vergleichende Betrachtungen zu den Aussenbeziehungen von Bundesstaaten

HANS J. MICHELMANN

Die Außenpolitik war traditionell ein Kompetenzbereich der Zentralregierung. In Ländern mit einem einheitsstaatlichen Regierungssystem ist diese Regelung relativ unproblematisch, weil die meisten Befugnisse der nationalen Ebene zugeordnet sind und die meisten politischen Maßnahmen dort durchgeführt werden. In föderalen Staaten dagegen sind die verfassungsmäßigen Befugnisse und die Zuständigkeiten zwischen der Bundesregierung und den Regierungen der Gliedstaaten aufgeteilt – Bundesstaaten, Provinzen, Kantone haben alle ihre eigenen Aufgabenbereiche. Aber auch hier gilt, dass die Außenpolitik traditionell die verfassungsmäßige Aufgabe der Zentralregierung war, weil diese Funktion wegen der Notwendigkeit, gegenüber dem Ausland eine gemeinsame Front zu bilden, übersteigt die Gewaltenteilung hinausgeht.

Damit ist nicht gesagt, dass die Gliedstaaten in der Vergangenheit nicht an grenzüberschreitenden, auswärtigen Beziehungen beteiligt waren. Diese bestanden jedoch zumeist in einer Zusammenarbeit mit benachbarten Gemeinwesen in praktischen Fragen wie dem Verkehr, Hochwasserund Umweltschutz und sogar der gemeinsamen Erbringung von Leistungen – Angelegenheiten der einfachen Politik, die überwiegend in einem sehr begrenzten geografischen Kontext geregelt wurden. Der Umfang und die Bereiche des Auslandsengagements der Gliedstaaten, gleich ob mit anderen Staaten, internationalen Organisationen oder mit privaten Organisationen, sind gewachsen, während der Umfang der internationalen Transaktionen im letzten halben Jahrhundert, zum Teil wegen der Entwicklung sehr schneller Kommunikationsmöglichkeiten und schnellerer und effizienterer Transportmöglichkeiten drastisch zunahm. Diese Veränderungen führten umgekehrt zu einer ständigen Zunahme der internationalen Wirtschaftstransaktionen und der grenzüberschreitenden menschlichen Kontakte. Demzufolge engagieren sich die föderalen Einheiten international stärker, weil die Erfüllung ihrer verfassungsmäßigen Aufgaben zunehmend von der Globalisierung beeinflusst

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wird. Das Kapitel über die USA zeigt, wie diese Entwicklungen die auswärtigen Beziehungen der USA beeinflusst haben. Die Erfahrungen dieses Landes spiegeln sich in unterschiedlichem Maße in anderen Föderationen wider. Die Globalisierung hat die föderalen Einheiten dazu gedrängt, auf der internationalen Bühne mitzuspielen, selbst wenn ihre Rollen klein sind.

Die Globalisierung hat natürlich nicht auf alle Föderationen den gleichen Einfluss ausgeübt, und auch die Reaktionen in den einzelnen Ländern waren unterschiedlich. Sowohl die Art der internationalen Beziehungen, in denen sich die Gliedstaaten engagieren, als auch deren Reichweite und Intensität unterscheiden sich sowohl zwischen als auch innerhalb der föderalen Länder. Die zwölf Bundesstaaten, die in dieser Schrift vorgestellt werden, haben sehr unterschiedliche Erfahrungen gemacht. Es gibt jedoch bestimmte wichtige Faktoren, die die Ausgestaltung der internationalen Beziehungen in diesen und anderen föderalen Staaten beeinflusst haben.

Ein zentraler Faktor für das Verständnis der Außenbeziehungen der Gliedstaaten ist der verfassungsrechtliche Kontext, in dem diese stattfinden. Der Umfang, in dem die Zuständigkeit über die Außenbeziehungen in den Verfassungen eindeutig geregelt ist, unterscheidet sich erheblich wie auch die Befugnisse, die den föderalen Teileinheiten zugeordnet sind – wenn es solche Befugnisse überhaupt gibt. An dem einen Ende des Spektrums befinden sich zum Beispiel Kanada und Australien, in denen verfassungsrechtliche Konventionen und Gerichtsurteile von entscheidender Bedeutung sind und den föderalen Teileinheiten signifikanten Handlungsspielraum zubilligen. In anderen Ländern, zu denen Indien, Malaysia und Südafrika zählen, überträgt die Verfassung explizit nur der Bundesregierung die Zuständigkeit über die Außenbeziehungen. In diesen Ländern sind für die föderalen Einheiten die Möglichkeiten, Außenbeziehungen zu unterhalten, eng begrenzt. Am anderen Ende des Spektrums finden sich Länder, deren Verfassungen den Gliedstaaten explizite Befugnisse übertragen. In der Reihenfolge des zunehmenden Umfangs ihrer Befugnisse sind dies Argentinien, Deutschland, die Schweiz und Belgien.

Das Recht, Verträge abzuschließen und in die Praxis umzusetzen, ist im Bezug auf verfassungsrechtliche Faktoren von besonderer Bedeutung. Auf den Punkt gebracht bedeutet dies, dass selbst in Ländern, in denen das Recht, internationale Verträge abzuschließen, ganz oder zum überwiegenden Teil bei der Bundesregierung liegt, die Gliedstaaten häufig die Verantwortung für die Ausführung der geschlossenen Abkommen tragen, weil diese Abkommen Angelegenheiten berühren, die sich unter ihrer Hoheit befinden. Folglich ist es für die Bundesregierung zweckmäßig, die Interessen der Gliedstaaten zu berücksichtigen, da – sollten diese nicht kooperieren – die Umsetzung gefährdet wäre mit allen Konsequenzen, die aus einer Nichterfüllung von Verpflichtungen gegenüber ausländischen Partnern erwachsen.

Die Organisation der Beziehungen zwischen den beiden Regierungsebenen kann in dieser Hinsicht überraschend vielfältige Formen annehmen. Zum Beispiel hat die Regierung des Commonwealth in Australien auf der Grundlage einer richterlichen Interpretation das Recht erhalten, Verträge umzusetzen, deren Inhalt sonst in den Aufgabenbereich der Bundesstaaten fällt, obwohl Beratungsstrukturen und –verfahren geschaffen wurden, mit denen versucht wird, solche Schwerfälligkeit zu verhindern. In Deutschland, Südafrika und in den Vereinigten Staaten, wo einzelne Abkommen von der Legislative ratifiziert werden müssen und wo die jewei-ligen Oberhäuser die Gliedstaaten repräsentieren, haben die nationalen Exekutiven institutionelle Gründe, die Notwendigkeit derer Zustimmung zu berücksichtigen. Die Verfassungen Deutschlands, der Schweiz und Belgiens sehen vor, dass die Zentralregierungen die Gliedstaaten konsultieren müssen, wenn Abkommen deren Interessen berühren. Diese Länder haben Strukturen und Verfahren entwickelt, die dem Konsultations-prozess eine gewisse Vorhersagbarkeit verleihen. In Kanada variieren die Konsultationsverfahren zwischen den verschiedenen Politikbereichen und sie bestehen aus informellen Absprachen, die in einigen Bereichen aber dennoch stark institutionalisiert worden sind. In den USA gibt es fast keine Konsultationen und Beobachter äußerten die Sorge, dass dieser Zustand die internationalen Interessen des Landes verletzen könnte. Indien, Argentinien und Südafrika arbeiten an der Entwicklung von Konsultationsverfahren, weil sich die Provinzen und Bundesstaaten zunehmend mehr in internationale Beziehungen einlassen.

Nur eine begrenzte Anzahl von Verfassungen – unter ihnen die Deutschlands, der Schweiz und Belgiens – überträgt den Gliedstaaten das Recht, internationale Verträge abzuschließen. In Belgien haben diese die umfangreichsten Befugnisse, in ihren Hoheitsbereichen internationale Verträge abzuschließen. Auch in Argentinien sind die Bundesstaaten berechtigt, Abkommen mit ausländischen Partnern abzuschließen. Aber selbst da, wo solche Befugnisse nicht explizit erteilt worden sind, unterzeichnen die Gliedstaaten zahlreiche Abkommen mit internationalen Partnern, die vielleicht nicht als Verträge bezeichnet werden können, die diese aber dennoch mit ihren Partnern in einer Vielfalt von Handels-, wirtschaftlichen, kulturellen und sonstigen Beziehungen verbinden. Eine häufig gemachte Beobachtung in den folgenden Kapiteln besteht in der Notwendigkeit intensiver Kooperation zwischen den beiden Regierungsebenen, damit die internationalen Beziehungen im besten Interesse des gesamten Landes funktionieren.

Verfassungsrechtliche und sonstige rechtliche Vorgaben sind natürlich nicht die einzigen Faktoren, die die Gestaltung der Außenbeziehungen in den föderalen Ländern beeinflussen. In Indien zum Beispiel führen die komplexen Beziehungen zwischen den Bundesstaaten und der Unionsregierung und das Vertrauen der nationalen Behörden auf die politische

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Unterstützung regionaler Machtfaktoren dazu, dass einige führende Politiker in den Bundesstaaten ein beachtliches Mitspracherecht in den Außenbeziehungen haben, obwohl den Bundesstaaten von der Verfassung überhaupt keine Befugnisse in diesem Bereich übertragen wurden. In Südafrika ist die Teilhabe der Provinzen an den internationalen Beziehungen nicht nur aus verfassungsrechtlichen Gründen beschränkt, sondern auch wegen der mangelnden Leistungsfähigkeit der Institutionen und fehlender politischer Erfahrung der Provinzregierungen. In Malaysia macht die Dominanz der autoritären Zentralregierung praktisch jede sinnvolle Rolle der Bundesstaaten in den auswärtigen Beziehungen zunichte. Malaysia zeigt auf eindringliche Weise, wie wichtig innenpolitische Faktoren für die Gestaltung der Außenbeziehungen sind. Argentinien und Spanien sind ebenfalls Beispiele dafür, wie die Entwicklung von einem autoritären System zu einer liberalen Demokratie Gliedstaaten ermöglichte, sich an den auswärtigen Beziehungen zu beteiligen, was ihnen zuvor nicht möglich gewesen war. In Indien lieferte ein grundlegender Wandel in der politischen Orientierung, der zu einer wesentlich liberaleren Wirtschaftspolitik führte, die Begründung und den Anstoß für eine graduelle Zunahme der auswärtigen Beziehungen der Bundesstaaten.

Welche anderen Faktoren beeinflussen Art und Intensität der Außenbeziehungen der Gliedstaaten? Ganz eindeutig spielt die Geografie eine Rolle. Die australischen Bundesstaaten haben keine Landgrenzen und damit einen engeren Rahmen für Außenbeziehungen als Teilstaaten in anderen Ländern. Die Beziehungen zwischen Indien und den Ländern, mit denen es eine gemeinsame Grenze hat, sind häufig mit Problemen behaftet. Im Gegensatz dazu hat Deutschland friedliche Grenzen mit neun anderen Staaten, und die angrenzenden Bundesländer haben Beziehungsnetze mit den Regierungen ihrer föderalen Gegenüber oder mit Regionalregierungen aufgebaut, um mit ihnen auf Gebieten zusammenzuarbeiten, die von der Instandhaltung der Verkehrsinfrastruktur bis zur wirtschaftlichen Entwicklung reichen.

In Europa mischen sich regionale Einflüsse unter die politischen Faktoren, weil die fünf föderalen Staaten in Europa, die in den folgenden Kapiteln betrachtet werden, nämlich Belgien, Deutschland, Österreich, die Schweiz und Spanien, entweder Mitglied der Europäischen Union (EU) oder, wie die Schweiz, auf das Engste mit ihr verbunden sind. Das dichte politische Beziehungsgeflecht innerhalb der Union, ein Charakteristikum der Mitgliedschaft in der EU, involviert die föderalen Einheiten in einer Vielzahl von Beziehungen mit den Institutionen der EU, mit Teilstaaten in anderen Staaten und mit den nationalen Regierungen. Die regionale Integration zwischen den Mercosur-Ländern hat auch zu einer Intensivierung der Außenbeziehungen der Provinzen in Argentinien beigetragen, und in Indien beteiligen sich die Provinzen an einer Zahl von im Aufbau befindlichen südostasiatischen Entwicklungsprojekten, die einige dazu veranlasst haben, ihre internationalen Verbindungen auszubauen. In allen drei Fällen sind wirtschaftliche Motive entscheidend für das Verständnis der regionalen Aktivitäten der Gliedstaaten.

Wirtschaftliche Motive sind für das Verständnis der Außenbeziehungen der föderalen Einheiten zentral. Diese Beziehungen umfassen Aktivitäten wie Auslandsreisen führender Politiker und Beamter, die mit dem Ziel erfolgen, die Exportwirtschaft und den Tourismus zu fördern und ausländische Investitionen einzuwerben. Einige kanadische Provinzen und amerikanische Bundesstaaten haben Auslandsbüros eröffnet, um ihre Wirtschaftskontakte zu fördern. Die föderalen Einheiten streben danach, bei Verhandlungen über den internationalen Handel konsultiert oder an ihnen beteiligt zu werden. Sie können ausländische Investitionen durch innenpolitische Maßnahmen anreizen, etwa indem sie anbieten, die Infrastruktur zu entwickeln oder Steuererleichterungen zu gewähren. Maßnahmen, mit denen ausländische Wettbewerber heimischer Firmen behindert werden, sind eher kontrovers, etwa die Errichtung oder Beibehaltung von nicht-tarifären Handelshemmnissen und von Ausschreibungsverfahren der Regierung, die heimische Firmen bevorzugen.

Stärker altruistische Motive können ebenfalls eine Rolle spielen. Die Regierungen der föderalen Teileinheiten haben Kenntnisse in Bereichen wie Bildung und Gesundheitswesen, die im öffentlichen Dienst vieler Bundesregierungen fehlen. Sie führen deshalb – gelegentlich im Auftrag von Bundesregierungen – Hilfsprojekte in Entwicklungsländern durch. Solche Hilfe kann darin bestehen, durch das Training der öffentlich Bediensteten und durch Politikberatung die Leistungsfähigkeit der Regierung zu verbessern.

In einigen Ländern sind ethnische und kulturelle Faktoren wichtig. Quebec in Kanada, Katalonien und das Baskenland in Spanien, sowie die belgischen Gemeinden und Regionen zählen zu den aktivsten föderalen Einheiten, weil sie nicht nur ihre wirtschaftlichen Interessen verfolgen, sondern auch Verbindungen zu ethnisch oder sprachlich und kulturell nahe stehenden Gemeinwesen im Ausland schaffen wollen. In den meisten Fällen sind solche Aktivitäten politisch nicht umstritten, da sie dazu beitragen, intensive menschliche Kontakte über internationale Grenzen hinweg herzustellen. Aber gelegentlich sind sie dazu genutzt worden – oder sind zumindest so interpretiert worden –, separatistische Ziele zu verfolgen und haben sich deshalb im Inland zu hochgradig kontroversen Themen entwickelt. Quebecs auswärtige Beziehungen unter der separatistischen Parti Québecois sind ein extremes Beispiel.

Es ist unbestreitbar, dass Politiker, während sie die Interessen der Gliedstaaten im Ausland vertreten, ihr politisches Profil zu Hause schärfen und parteipolitische Überlegungen ebenfalls bei solchen Reisen eine Rolle spielen. Dies sind Angelegenheiten von untergeordneter Bedeutung, selbst wenn sie zu Hause Widerspruch hervorrufen. Offenkundig innen politisch

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motivieite Aktionen, die sich in das Reich der Außenpolitik verirren, sind erheblich kontroverser. Politiker der Gliedstaaten sind auch dafür bekannt, dass sie, sogar wenn sie sich im Ausland befinden, Stellungnahmen zu politisch brisanten Themen der Außenpolitik abgeben, die Sache der Zentralregierung sind. In den USA sind die Bundesstaaten in symbolische, aber auch sehr viel aggressivere Aktionen involviert, die darauf abzielen, das Licht der Öffentlichkeit darauf zu lenken, was heimische Lobbyisten für fragwürdige Praktiken von Regierungen oder des privaten Sektors im Ausland halten. Und die wirtschaftlichen, ethnischen, kulturellen und sonstigen Interessen einer oder mehrerer Gliedstaaten können mit den Interessen des Landes insgesamt, wie diese von der Bundesregierung zum Ausdruck gebracht werden, im Widerspruch stehen.

Die Herausforderung in jeder Föderation besteht dann darin sicherzustellen, dass die Außenbeziehungen der Gliedstaaten und die von der Bundesregierung formulierte Außenpolitik nicht im Widerspruch zueinander stehen. Beide Regierungsebenen können ihren Beitrag zur Entwicklung einer effektiven Auslandspräsenz leisten. Die Regierungen der Gliedstaaten haben ein detailliertes Verständnis der Interessen und Sorgen der Akteure des privaten Sektors, die sich international engagieren oder dies zu tun wünschen – und viel relevanten technischen Sachverstand. Die Bundesregierungen können auf dem internationalen Parkett eine größere Erfahrung einbringen und größeren politischen und wirtschaftlichen Einfluss ausüben als einzelne Gliedstaaten oder selbst Gruppen von Gliedstaaten. Die Zusammenarbeit erfordert Konsultationen im Rahmen dauerhafter und konzeptionell adäquat ausgestatteter zwischenstaatlicher Beziehungen sowie Kompromissbereitschaft. Da effektive Außenbeziehungen in einer interdependenten Welt für den Erfolg immer wichtiger werden, ist eine effektive Zusammenarbeit unentbehrlich.