Deutschland: Kooperation mit den Ländern

RUDOLF HRBEK

Von Hamburg bis Bayern, vom Saarland bis Sachsen verzeichnen die Gliedstaaten Deutschlands, seine 16 Bundesländer, durch die Föderalismusreform des Jahres 2006 einen Zuwachs ihrer ohnehin signifikanten Macht. Im föderalen System Deutschlands weisen die Länder alle Merkmale eines Staates mit ihrer eigenen verfassungsmäßigen Ordnung auf. Diese muss mit den grundlegenden Prinzipien des Grundgesetzes, der deutschen Verfassung von 1949, in Einklang stehen. Das Grundgesetz gewährt den Ländern und der Bundesregierung bestimmte ausschließliche Befugnisse; zudem besteht ein breites Feld von konkurrierenden Befugnissen, das sich die beiden Regierungsebenen teilen. Das Grundgesetz schreibt als allgemeine Regel vor, dass "die Ausübung der staatlichen Befugnisse und die Erfüllung der staatlichen Aufgaben Sache der Länder ist", soweit es keine andere Regelung trifft oder zulässt (Artikel 30). Was bedeutet dies für die Außenbeziehungen?

Die Verfassung überträgt der Bundesregierung die Hauptrolle in den Außenbeziehungen, die Länder spielen jedoch auch eine Rolle. Die zentrale Aussage der Verfassung über die Außenbeziehungen wird in Artikel 32 formuliert: "Die Pflege der Beziehungen zu auswärtigen Staaten

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ist Sache des Bundes." Den Ländern wird jedoch ebenfalls eine Rolle zugewiesen: "Vor dem Abschluss eines Vertrages, der die besonderen Verhältnisse eines Landes berührt, ist das Land rechtzeitig zu hören." Das bedeutet, dass die Bundesregierung, obwohl sie das Recht hat, Verträge zu schließen, jegliche substantielle Bedenken eines einzelnen Landes im Rahmen eines Konsultationsverfahrens berücksichtigen muss. Darüber hinaus erlaubt dieser Artikel, dass die Länder: "mit Zustimmung der Bundesregierung Verträge mit auswärtigen Staaten abschließen können", wenn sie in dem Politikbereich, der in dem Vertrag behandelt wird, für die Gesetzgebung zuständig sind. Diese Vorgaben der Verfassung atmen den Geist beiderseitiger Kooperation und Koordination zwischen den Ländern und der Bundesregierung.

Im Jahr 1957 unterzeichneten der Bund und die Länder sogar ein Abkommen – das so genannte Lindauer Abkommen – darüber, wie die Kooperation bei den Außenbeziehungen in der Praxis erfolgen soll. Dem Abkommen folgten zusätzliche institutionelle und verfahrenstechnische Regelungen. Die Erfahrung der letzten Jahrzehnte zeigt, dass diese Regelungen im Allgemeinen gut funktioniert haben und dass beide Seiten ihre jeweiligen Befugnisse erfolgreich genutzt und gut zusammengearbeitet haben.

Ein großer Teil der Aktivitäten der Länder entfällt auf die Kategorie der grenzüberschreitenden Beziehungen. Wegen Deutschlands Lage im Zentrum Europas haben die Zahl und die Intensität der grenzüberschreitenden Beziehungen erheblich zugenommen. Ein gutes Beispiel ist die Zusammenarbeit Deutschlands, Frankreichs und der Schweiz entlang des Oberrheins. In der jüngeren Vergangenheit ist es zu Aktivitäten und Vereinbarungen mit den zentral- und osteuropäischen Ländern und ihren jeweiligen Regionen gekommen. Diese Art der Länderaktivitäten funktioniert gut und hat zu keinerlei Konflikten oder Problemen mit der Bundesregierung geführt.

Die Außenbeziehungen bestehen jedoch nicht nur aus Verhandlungen über rechtsverbindliche Verträge, die Länder sind auch in anderen Bereichen aktiv. Und es ist gerade diese Kategorie der auswärtigen – oder außenpolitischen – Beziehungen, in denen die Länder besonders aktiv sind. So treffen sich Politiker der Regierung oder des Parlaments eines Bundeslandes mit den politischen Vertretern ausländischer Staaten. Bei solchen Anlässen werden dann gelegentlich öffentliche Erklärungen zu Themen abgegeben, mit denen die Repräsentanten der Bundesländer und die Bundesregierung nicht übereinstimmen. Ein Land kann zudem öffentliche Informationsbüros im Ausland unterhalten. Solche Aktivitäten der Länder fallen in eine Grauzone zwischen der Außenpolitik und den politischen Erklärungen einer Landesregierung. Sie sind von der Bundesregierung kritisiert und gelegentlich als "Nebenaußenpolitik" bezeichnet worden, da sie als jenseits dessen betrachtet werden, was den Ländern

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gestattet ist. Die Antwort der Länder bestand immer darin, dass ihre "außenpolitischen" Aktivitäten mit den typischen und ursprünglichen Aufgaben der Länder verbunden sind, sich mit diesen überschneiden und damit Teil der verfassungsmäßigen Befugnisse der Länder sind.

Von der Warte der Bundesregierung aus betrachtet bedeuten solche autonomen Aktivitäten der einzelnen Länder eine Bedrohung für eine konsistente Außenpolitik und die Fähigkeit Deutschlands, auf der Weltbühne zu agieren. Eine Vielzahl deutscher

Stimmen könnte die Repräsentanten anderer Länder verwirren, und öffentliche Erklärungen eines Bundeslandes oder einer Gruppe von Bundesländern zu internationalen Themen könnten den deutschen Interessen, wie sie die Bundesregierung versteht und formuliert, schaden. Berlin beklagt, dass es nicht vollumfänglich von den Bundesländern informiert wird. Die Länder bestehen auf ihrem Recht, sich in den Außenbeziehungen zu engagieren, und behaupten, dass sich ihre Aktivitäten nicht mit dem Kompetenzbereich der Bundesregierung überschneiden. Sie sehen keine Notwendigkeit, in diesem Bereich formale "Verhaltensregeln" für die Beziehungen zwischen den Ländern und der Bundesregierung zu vereinbaren. Bei bestimmten Themen wird die Handhabung der Kommunikation und Transparenz auch zukünftig für beide Seiten eine Herausforderung darstellen.

Ein Sonderfall ist die Rolle der Bundesregierung und der Länder in Angelegenheiten der Europäischen Union (EU). Obwohl es sich bei der EU-Politik nicht um Außenpolitik im traditionellen Sinn handelt, ist sie auch nicht wirklich Teil der "Innenpolitik". Es ist ein Bereich, der in den letzten fünfzehn Jahren schnell und erheblich gewachsen ist und an dem sowohl die Bundesregierung als auch die Länder beteiligt sind. 1992 wurde im Zusammenhang mit dem Inkrafttreten des Vertrages von Maastricht ein neuer Artikel (Artikel 23 des Grundgesetzes) eingeführt. Diese Ergänzung gab den Ländern das formale Recht der Beteiligung an Verhandlungen über EU-Angelegenheiten, und zwar sowohl auf der innenpolitischen als auch auf der europäischen Ebene. Die Ausübung dieses Rechtes erfordert die vorherige Koordination zwischen den Ländern und der Bundesregierung, doch sind beide unterschiedlicher Auffassung darüber, wie dies die Effizienz der Wahrnehmung deutscher Interessen beeinflusst. Die Länder haben durch ihre Vertretungen in Brüssel und durch direkten Lobbyismus autonome EU-Aktivitäten entwickelt. Sie haben die Rolle sehr aktiver Mitspieler auf der Brüsseler Bühne übernommen.

In der Debatte über die Reform des deutschen Föderalismus, die durch die Bildung einer speziellen Kommission Ende 2003 intensiviert wurde,

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versuchte die Bundesregierung, einige der Rechte der Länder in EU-Angelegenheiten zu beschneiden. Die Länder jedoch bestanden erfolgreich auf der Beibehaltung ihrer Rolle: Das Reformpaket, das im Sommer 2006 mit der notwendigen Zweidrittel-Mehrheit vom Bundestag (dem deutschen Unterhaus) und vom Bundesrat (dem deutschen Oberhaus) verabschiedet wurde, hat die Macht der Länder in diesem Bereich nicht eingeschränkt.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass sowohl die Bundesregierung als auch die Bundesländer an den Außenbeziehungen beteiligt sind und ihre Kooperation und die Koordination ihrer Anstrengungen im Großen und Ganzen erfolgreich waren. Dieser Ansatz befindet sich in Übereinstimmung mit dem Hauptmerkmal des deutschen Föderalismus, der zu der Kategorie des "kooperativen" Föderalismus zählt. Das schließt jedoch nicht aus, dass in einer Vielzahl von Fällen Probleme oder sogar Spannungen zwischen beiden Seiten bestehen. Es wird eine Herausforderung für beide Seiten bleiben, die richtige Balance zu finden.