Gemeinden und Grosstadtregionen in Brasilien: Wirtschaftliche und institutionelle Hürden erschweren die Zusammenarbeit

LUIZ CESAR QUIEROZ DE RIBEIRO / SOL GARSON

Brasilien ist eine föderative Republik mit 26 Staaten, einem Bundesdistrikt und 5.564 lokalen Gebietskörperschaften. Die Gemeinden wurden mit der Verfassung von 1988 zu Vollmitgliedern der Föderation. Brasiliens 184 Millionen Einwohner sind unregelmäßig über das Land verteilt, über 81 Prozent leben in Stadtgebieten. Mit einem Bruttoinlandsprodukt (BIP) von 8.561 US-Dollar pro Einwohner (Kaufkraftparität) ist Brasilien eines der Länder mit der größten Ungleichheit bei der Einkommensverteilung. Das Land leidet auch unter enormen regionalen wirtschaftlichen Ungleichgewichten. 2004 lebten 77 Millionen Einwohner bzw. 43 Prozent der Bevölkerung in den vier Staaten im Südosten des Landes, wo 55 Prozent des Gesamtbruttoinlandprodukts erzeugt werden. Im Nordosten, wo 28 Prozent der Bevölkerung leben, wurden nur 14 Prozent des BIP erwirtschaftet. Das Pro-Kopf-Einkommen im Nordosten betrug nur 39 Prozent dessen der wohlhabenderen Region.

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So wie die Staaten sind auch die Gemeinden Brasiliens sehr heterogen. Sie unterscheiden sich nicht nur hinsichtlich wirtschaftlicher und sozialer Indikatoren, sondern auch bezüglich ihres fiskalischen und technischen Vermögens, Steuern zu erheben und die Bevölkerung mit Gütern und Dienstleistungen zu versorgen. Zwar bringen niedrigere Einkommen ein geringeres Steueraufkommen mit sich, aber die regionalen Unterschiede bei der Steuererhebung sind unter Umständen auch das Ergebnis einer mangelhaften Steuerverwaltung: das heißt, es werden geringere Bemühungen unternommen, Steuern zu erheben, und der Optimierung der technischen Leistungen bei der Steuererhebung wird entsprechend geringe Priorität beigemessen.

In den 1980er Jahren, als die Gemeindeverwaltungen aufgrund der Dezentralisation unterschiedliche und komplexe Aufgaben übernahmen, gewannen sie hinsichtlich der Bereitstellung

öffentlicher Güter und Dienstleistungen an Bedeutung. Trotz eines schwachen wirtschaftlichen Umfelds, das sich durch hohe Inflation und sogar einer gelegentlichen Abnahme des BIP auszeichnete, nahmen die Transferzahlungen des Bundes an die Gemeinden zu und erlaubten ihnen – wenn auch in einem nicht koordinierten Prozess –, die Initiative in der Stadtentwicklung zu ergreifen. Obwohl die Einnahmen der Gemeinden seitdem zugenommen haben, ist ihre Finanzausstattung für die Anforderungen der Stadtentwicklung eindeutig unzulänglich. Die durch die beschleunigte Urbanisierung verursachten Probleme haben sich in der Zwischenzeit verschlimmert. 2005 lebten fast 80 Millionen Menschen in Metropolregionen in einem Umfeld eklatanter Ungleichheit. Die gegenwärtig benutzten allgemeinen Indikatoren lassen das Ausmaß des Kontrasts hinsichtlich des Lebensstandards in den größeren Städten nicht erkennen. Die Kernstädte der Großstadtregionen sind zwar die wohlhabendsten Gegenden des Landes, aber zugleich sind dort auch die innerstädtischen Ungleichheiten am größten.

Der brasilianischen Föderalismus weist viele institutionelle Unzulänglichkeiten auf: Der Mangel an Koordination und die Abwesenheit von Kooperationsmechanismen sind Quellen beständiger Ineffizienzen bei der Finanzierung öffentlicher Investitionen. Zwar haben die neuen Bestimmungen der Verfassung von 1988 zu einer Zunahme der zwischenstaatlichen Transferzahlungen geführt, und dies hat dazu beigetragen, das vertikale Ungleichgewicht nachhaltig zu verringern, aber es besteht noch immer eine enorme horizontale Unausgeglichenheit. Der Mechanismus

Luiz Cesar Quieroz de Ribeiro / Sol Garson

der Einnahmeaufteilung wird nicht dazu verwendet, die Ausgabenfinanzierung mit der geographischen Lage der öffentlichen Dienstleistungsnachfragen abzustimmen.

Das institutionelle Umfeld ist ein wesentliches Hindernis bei der Entwicklung öffentlicher Politiken zur Lösung der großstädtischen Probleme. Die Großstadtregionen wurden formell 1974-75 von der autoritären Zentralregierung in Übereinstimmung mit der Verfassung von 1967 geschaffen. Infolge der politischen Krise des die Dynamik der großstädtischen Tätigkeiten überwachenden Militärregimes verlor man die Planung aus dem Auge und die Finanzmittel für die Stadtgebiete wurden zunehmend knapper. Ab 1979 befanden sich diese Regionen und die in den Staaten zu ihrer Verwaltung eingerichteten Strukturen in einem kritischen Zustand. 1988 wurde im Rahmen der neuen Bundesverfassung der Versuch unternommen, eine institutionelle Basis zu definieren, die es ermöglichen würde, sich mit diesen in hohem Maße urbanisierten Gegenden auseinanderzusetzen. Eine ihre jeweilige Verfassung ergänzende Gesetzgebung erlaubte es den Staaten, Metropolregionen zu schaffen, um die Organisation, Planung und Durchführung öffentlicher Aufgaben in das allgemeine Interesse des Staates und der betroffenen Gemeinden einzubinden. Die Initiative litt jedoch unter rechtlichen und administrativen Problemen, da sie im politischen Widerspruch zum neuen Status der Gemeinden als Mitglieder der Föderation stand. Einer der wichtigsten Gründe für eine Institutionalisierung der Großstadtregionen ist die Notwendigkeit, die Investitionen zu koordinieren und die Bereitstellung öffentlicher Dienstleistungen in diesen Gebieten zu integrieren. Ohne wirkungsvolle Mittel, die es ihnen erlauben würden, eine Koordination zu erzwingen, ist es den Regierungen der Bundesstaaten nicht möglich, bei den Bemühungen, widersprüchliche und sich überschneidende Politiken zu vermeiden, eine Vorreiterrolle zu spielen. Der Mangel an Bedingungen, um die einzelnen Maßnahmen zu koordinieren, wird zeitweise noch verschärft. Gehören der Gouverneur und der Bürgermeister einer Kernstadt beispielsweise unterschiedlichen politischen Parteien an, konkurrieren sie um größeren Einfluss in der gesamten Region.

Die Bundesstaaten haben die neun, in den Jahren 1974-75 von der Bundesregierung geschaffenen Regionen um 20 Regionen erweitert. Die integrierte Entwicklungsregion des Bundesdistrikts eingeschlossen gibt es nun insgesamt 463 Gemeinden. Die von den Staaten festgelegten Kriterien zur Definition dieser Regionen waren nicht einheitlich und wurden oft von politischen Beweggründen bestimmt. Infolgedessen sind die meisten der gegenwärtigen Regionen sehr unterschiedlich und umfassen sowohl Gemeinden mit sehr geringer Integration als auch solche mit effektiver großstädtischer Dynamik. Dies behindert die Entwicklung von Regierungs- und Verwaltungsstrukturen, die gemeinsame Maßnahmen zur Lösung der Probleme dieser Gegenden ermöglichen würden.

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Ein erfolgreicher Föderalismus bedingt die Verpflichtung zu Partnerschaft und Kooperation. Da Zeiten expliziter Zentralisation mit solchen der Dezentralisation und bedeutender administrativer Freiheit alternierten, hat Brasilien bisher keine autonomen und dennoch voneinander abhängige Zentren hervorbringen können.

Trotz enormer regionaler Ungleichheiten wurde Brasiliens Föderalismus nicht nach dem Leitsatz der Bürgerrechte konzipiert, die jedem einzelnen Bürger Zugang zu den grundlegenden öffentlichen Dienstleistungen geben. Für bestimmte soziale Dienstleistungen wurden zwar entsprechende finanzielle Mittel festgesetzt, nicht jedoch für die Stadtentwicklung. Die Entwicklung von Programmen in Bereichen wie Transport, Wohnungswesen und Abwasser- und Abfallentsorgung würde substanzielle und rechtzeitige Finanzmittel sowie solide Koordinations- und Kooperationsstrukturen erfordern, eines der größeren Probleme bei den zwischenstaatlichen Beziehungen des Landes.