Die politische Steuerung und Verwaltung der Städte in der Schweiz: Zusammenarbeit und Wandel

ANDREAS LADNER / THOMAS MINGER

Wie sieht die politische Steuerung und Verwaltung der Städte in einem kleinen und heterogenen Land mit 7,5 Millionen Einwohnern, 26 Kantonen und 2.700 Gemeinden aus? Was geschieht mit der starken Verpflichtung, durch Dezentralisation allen Regionen die gleichen Chancen zu bieten? Welche Rolle wird der kooperative Föderalismus und die Selbstverwaltung der Gemeinden in der Zukunft spielen? Auf diese Fragen muss die Schweiz in den kommenden Jahren eine Antwort finden.

Die Agglomerationen (wie Städte und ihre umliegenden Gemeinden in der Schweiz genannt werden) und Metropolregionen der Schweiz sind klein. Die größte Agglomeration ist Zürich mit 1,1 Millionen Einwohnern, gefolgt von Basel und Genf mit je etwa einer halben Million. Die kleinsten Agglomerationen wie etwa St. Moritz und Interlaken haben nur gerade 10.000 Einwohner.

In der Schweiz weisen die Agglomerationen und Metropolregionen komplexe interne territoriale Untergliederungen auf. Die 50 Agglomerationen bestehen aus beinahe 1.000 Gemeinden. Teile einer Agglomeration

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oder einer Metropolregion gehören dabei unter Umständen anderen Kantonen oder sogar anderen Ländern an. Das vereinfacht die Zusammenarbeit nicht gerade: Nicht nur die verschiedenen Länder bestehen auf ihrer Souveränität, auch die Kantone und Gemeinden machen ihre Forderungen nach Selbstverwaltung geltend.

Die Schweizer Städte sehen sich innerhalb des Bundessystems sowohl in vertikaler als auch in horizontaler Dimension mit Problemen konfrontiert. In vertikaler Hinsicht haben sie Mühe, ihre Belange direkt im Themenkatalog der nationalen Politik einzubringen. In

der nationalen Politik – so wird geltend gemacht

geht es mehr um die Interessen weit entfernter Bergregionen und kleiner Kantone als darum, die Probleme der Städte zu lösen. In horizontaler Hinsicht ist die Beziehung der Städte zu den umliegenden Gemeinden problematisch. Die von den Städten bereitgestellten Einrichtungen und Dienstleistungen werden von einer bedeutenden Anzahl von Bürgern genutzt, die nicht in der Stadt leben, und viele der Probleme – Regionalverkehr, Planungs- und Umweltfragen beispielsweise – können nicht unabhängig gelöst werden. Die Probleme werden durch die Steuerautonomie der Gemeinden noch verschärft. Es gibt etliche, um große Städte gelegene Gemeinden, in denen die Steuerbelastung wesentlich niedriger ist als in den entsprechenden Städten.

Mit den jüngsten Reformen des schweizerischen

politischen Systems wurde versucht, die Situation der Städte zu verbessern. Drei dieser Reformen sind besonders wichtig. Erstens finden die Agglomerationen in der Verfassung von 1999 nun ausdrücklich Erwähnung. Artikel 50 (3) legt fest, dass die Bundesbehörden bei ihren Tätigkeiten die besondere Situation der Städte und Agglomerationen berücksichtigen müssen. In den Augen der Städte eröffnet ihnen dies direkten Zugang zur nationalen Politik. Diese Idee wird jedoch von den kantonalen Behörden nicht mit gleichem Enthusiasmus aufgenommen. Zweitens nahmen die Schweizer Bürger 2004 eine Reform des Finanzausgleichs und der Aufgabenteilung zwischen Bund und Kantonen an. Diese Reform wird nicht nur wie das alte System exzessive Produktionskosten in den Bergregionen ausgleichen, sondern es wird auch jenen Kantonen zusätzliche finanzielle Mittel zur Verfügung stellen, die aufgrund von Problemen der Innenstädte unter hohen Pro-Kopf-Kosten für die Sozialfürsorge und Infrastruktur leiden. Zu diesen Problemen gehören hohe Konzentrationen älterer Menschen, Arbeitsloser,

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Einwanderer und Drogenabhängiger sowie höhere Ausgaben für öffentliche Sicherheit und öffentlichen Transport. Drittens haben die Bundesbehörden 2001 eine Strategie für die Agglomerationen gestartet, die darauf abzielt, die Politiken des Bundes stärker auf die Probleme der Agglomerationen auszurichten, die Zusammenarbeit sowohl in vertikaler als auch in horizontaler Richtung zu verbessern und die Integration der Schweizer Städte in das europäische Städtenetz zu fördern.

Zwei grundlegende, miteinander verknüpfte Herausforderungen hinsichtlich der politischen Steuerung und Verwaltung der Städte in der Schweiz verbleiben jedoch auf der Agenda. Die erste hat mit dem globalen Wettbewerb zu tun, die zweite mit interner Organisation, Solidarität und Demokratie. Wenn es wahr ist, dass ein Land Städte braucht, die in der Weltwirtschaft als Wettbewerber in Erscheinung treten, und dass Weltstädte eine gewisse Größe erreichen müssen, dann ist es schwierig sich vorzustellen, wie die Schweiz in Zukunft eine wichtige Rolle spielen soll. Zürich (Banken, Versicherungsunternehmen), Genf (internationale Organisationen, Banken) und Basel (chemische Industrie) verfügen zwar über ihre spezialisierten Bereiche, sind aber kleine Städte. Um international vergleichbare Agglomerationen oder Ballungsgebiete zu werden, müsste ihr Territorium den größten Teil des Landes abdecken. Dies würde das interne Gleichgewicht des Landes wesentlich stören.

Bei der zweiten Herausforderung geht es darum, Gemeinden mit unterschiedlichen Lebensstandards und Steuerbelastungen zusammenzubringen, ohne ihre Autonomie oder die demokratischen Rechte der Bürger zu verletzen. Wenn ein Zusammenschluss mit einer höheren Steuerbelastung einhergeht, wird sich keine Mehrheit dafür finden. Und da die Schweizer gewohnt sind, direkt über viele politische Angelegenheiten abzustimmen, werden kleinere Gemeinden sich nur ungern mit einer größeren zusammenschließen, wo sie von einer überwältigenden Mehrheit eingehüllt werden.

Einige erste Schritte zur Lösung dieser Herausforderungen wurden bereits getan. 2001 gründeten die drei Regierungsebenen die Tripartite Agglomerationskonferenz, um die vertikale Zusammenarbeit in Politikbereichen zu fördern, die für urbane Gebiete wichtig sind. Diese eher informelle Konferenz umfasst den Bund, die Konferenz der Kantonsregierungen, den Schweizerischen Städteverband und den Schweizerischen Gemeindeverband. Zum ersten Mal hat der strikt horizontale Schweizer Föderalismus einer Partnerschaft Platz gemacht, die alle drei Regierungsebenen umspannt. Für einige Beobachter ist das das erste Zeichen für eine Tendenz weg vom traditionellen kooperativen Föderalismus und hin zu einer mehrstufigen Regierungstätigkeit. Als Folge der Bundesstrategie für eine Agglomerationspolitik hat der Kanton Bern ein vielversprechendes neues Modell ausgearbeitet. In einer regionalen Konferenz werden die Stadt Bern und die umliegenden Gemeinden von ihren Bürgermeistern

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repräsentiert, und es werden in allen Gemeinden dieser Region Wahlen zu wichtigen Angelegenheiten abgehalten. Je nach Größe der Gemeinde wird den Bürgermeistern und ihren Gemeinden unterschiedliche Gewichtung gegeben. Zu Beginn hat die Konferenz ihre Tätigkeiten auf das Transportwesen, die Regionalplanung und kulturelle Aktivitäten beschränkt. Es bleibt zu sehen, ob diese Bemühungen von Erfolg gekrönt werden. Aber angesichts der Tatsache, dass es weniger wahrscheinlich ist, dass es in Bundesstaaten dominierende Städte gibt und dass Bundesstaaten im Allgemeinen dazu neigen, auf demokratischer Basis und zu gegenseitigem Vorteil Lösungen für die Integration kulturell, wirtschaftlich und gesellschaftlich unterschiedlicher Gebiete zu finden: Wer sonst, wenn nicht die Bundesstaaten, wäre fähig, einen Weg zu guter urbaner Regierungstätigkeit vorzuzeichnen?