Deutschland: Reformen lösen alte Probleme und schaffen neue

MAR TIN BURGI

Die lokalen Behörden Deutschlands bestehen aus Landkreisen und Gemeinden. Deren Recht auf Selbstverwaltung ist in Artikel 28 (2) der Verfassung, des Grundgesetzes (GG), prinzipiell anerkannt. Auch die Verfassungen der Gliedstaaten Deutschlands, der sechzehn Länder, enthalten ähnliche Bestimmungen. Obwohl Bürgermeister und Landräte zusammen mit ihren Räten demokratisch gewählt werden, liegt die gesetzgeberische Kompetenz allein bei den Parlamenten des Bundes und der Länder.

Die lokalen Behörden gelten hingegen als vollziehende Gewalt. Ihre Ver waltungsstruktur ist in Satzungen niedergelegt, die von den Landesparlamenten erlassenen werden, und die Mehrzahl ihrer Tätigkeiten wird in hohem Maße durch die Gesetzgebung des Bundes bzw. der Länder geregelt. Erwähnenswert ist, dass die Gemeindebehörden einen hybriden Charakter haben: Sie fungieren nicht nur als autonome Einheiten, sondern – je nach Sachverhalt – auch als unterste Ebene der Landesverwaltung. In dieser Eigenschaft unterliegen die Lokalbehörden

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unter Umständen ausführlichen Anweisungen der Landesbehörden. Der bloße Umfang der Bundes- und Landessatzungen – von denen sich viele von der Gesetzgebung der Europäischen Union ableiten – legt den Lokalbehörden und ihrem Recht auf Selbstverwaltung beträchtliche Beschränkungen auf. Dennoch misst Artikel 28 (2) GG den Kommunalbehörden als ein gesetzmäßig verankertes und weithin anerkanntes Prinzip eine vergleichsweise gewichtige Bedeutung zu.

Grundsätzlich haben die Lokalbehörden hinsichtlich aller Angelegenheiten, die für die lokale Gemeinschaft von Bedeutung sind, das Recht auf Selbstverwaltung. Sie können auch unter verschiedenen Kooperationsformen wählen, um Dienstleistungen und Verwaltungsaufgaben gemeinsam wahrzunehmen. Die Gemeindebehörden tragen bis zu einem gewissen Grade die Verantwortung für ihre Finanzen und haben das gesetzmäßig gesicherte Recht auf eine eigene Steuereinnahmequelle (die Gewerbe- und Grundsteuer). Davon abgesehen dürfen sie keine neuen Steuern einführen oder von sich aus die Steuern erhöhen. Sie sind finanziell völlig von den auf Bundesebene gefassten Entschlüssen abhängig, in deren Kompetenzbereich die Steuern und deren Verteilung liegen.

Die Bundesregierung pflegt jedoch nur jene Steuern zu erhöhen, die ihr selbst zusätzliche Einnahmen bringen. Die Gewerbesteuer, die den Lokalbehörden als Haupteinnahmequelle dient, schwindet der weil infolge der schwachen Wirtschaft Deutschlands. Gleichzeitig werden die Lokalbehörden gezwungen, zunehmende Verantwortung für Verwaltungsaufgaben zu übernehmen. Dadurch

werden ihre Ressourcen stark beansprucht, und es bleibt ihnen weniger für die Selbstverwaltung. Es überrascht nicht, dass die Finanzen für die Kommunalbehörden einer der Belange sind, die ganz oben auf ihrer Prioritätenliste stehen, und dass sie wiederholt eine Verbesserung ihrer finanziellen Situation gefordert haben.

Die jüngste Reform des föderalen Systems Deutschlands, die Föderalismusreform I, die im Herbst 2006 in Kraft trat, dürfte eine gewisse Erleichterung bringen. Zuvor war es der Bundesregierung erlaubt, mit der Zustimmung der Länder spezifische Aufgaben ohne Finanzierungsoder Vergütungsverpflichtung direkt an die lokalen Behörden zu übertragen. Die Landesbehörden haben dieser Praxis oft zugestimmt, da sie ihren politischen Einfluss auf die Bundesgesetzgebung erhöhte. Darunter haben die Finanzen der Lokalbehörden gelitten. Die geänderte Verfassung legt nun klar fest, dass diese Praxis nicht mehr erlaubt ist. Nur den Landesregierungen ist es nun noch erlaubt, Verwaltungsaufgaben an die Lokalbehörden zu übertragen. Die

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Landesverfassungen schreiben vor, dass die Lokalbehörden im Fall von Aufgabenübertragungen finanzielle Vergütungen erhalten müssen.

Die politische Gliederung der Lokalbehörden wird im Allgemeinen weniger durch die Politik der größeren Parteien beeinflusst. Die heftigen politischen Kämpfe, die normalerweise auf Bundes- und Länderebene entlang der Parteilinien ausgefochten werden, finden in diesem Ausmaß in den lokalen Regierungen nicht statt. Auf lokaler Ebene pflegt die Politik sachbezogener und ideologisch weniger belastet zu sein. Ihr Antrieb ist der Wunsch, angemessene und pragmatische Lösungen für die lokalen Probleme zu finden. Bei lokalen Wahlen gibt es zahlreiche unabhängige Kandidaten sowie Wählervereinigungen, die spezifische lokale Agenden unterstützen, die für die Bundes- bzw. Länderebene ohne Bedeutung sind. In einigen Fällen gehören die gewählten Bürgermeister und Landräte keiner politischen Partei an oder ihre Partei hat weder im Gemeindenoch im Landrat die Mehrheit.

In den "neuen Ländern" Ostdeutschlands ist der gesetzmäßige Status der Kreise und Gemeinden der gleiche wie in Westdeutschland. Die Ostdeutschen sind jedoch oft weniger politisiert, was im Vergleich zum Westen zu weit niedrigeren Wahlbeteiligungen bei lokalen Wahlen führt. Viele etablierte politische Parteien Westdeutschlands haben große Schwierigkeiten, in den neuen Ländern Fuß zu fassen.

Großstadtregionen haben keinen individuellen, besonderen Status oder Aufbau. Drei Städte – Berlin, Hamburg und Bremen – werden seit jeher als Länder anerkannt, und angesichts ihrer außergewöhnlichen Größe und sozioökonomischen Bedeutung kommt es deshalb auch zu keinen Debatten über ihren besonderen rechtlichen Status. In kleineren, aber doch bedeutenden Großstadtregionen, wie beispielsweise in den Stadtgebieten von Hannover und München oder Ballungsgebieten mit mehreren größeren Städten wie der Ruhr, variieren die Ver waltungskompetenzen wesentlich, und manchmal ist auch der rechtliche Status unklar.

Im Zentrum der deutschen Debatte steht die Frage der gemeinsamen Regierungstätigkeit. Welcher interne Aufbau würde sich im Hinblick auf ihre demokratische Legitimität und ihre Rolle als der den Menschen am nächsten stehenden Regierungsebene für diese Regionen am besten eignen? Sollten die Großstadtregionen beispielsweise gemeinsam von den beteiligten Städten und ihren Repräsentanten regiert werden oder sollten sie eine neue, gesonderte Verwaltungsebene mit ihren eigenen, direkt gewählten Räten bilden? In scheinbarem Gegensatz zur USA gibt es keine nennenswerte Debatte darüber, ob gewisse Großstadtregionen innerhalb des deutschen Bundesstaates eine anerkannte rechtliche oder politische Stellung haben sollten.

Die lokalen Gebietskörperschaften streben zudem danach, größeren Einfluss auf die Bundesgesetzgebung ausüben zu können. Da sie bei der

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Umsetzung der Bundesgesetzgebung eine große Rolle spielen und über bedeutende Erfahrung und auch Sachwissen verfügen, möchten sie eine offizielle Rolle im Gesetzgebungsprozess und eine Stimme bei der Folgenabschätzung. Es wird immer noch darüber diskutiert, ob ein solches erweitertes Mitwirkungsrecht innerhalb des verfassungsmäßigen Rahmens des aktuellen Zweikammernsystems mit einem die gesamte deutsche Wählerschaft repräsentierenden Bundestag und einem die Länder repräsentierenden Bundesrat machbar ist.