Spanien: Lokale Gebietskörperschaften in einem weitgehend dezentralisierten Staat

FRANCISCO VELASCO CABALLERO

Die Wurzeln der Provinzen und Gemeinden Spaniens reichen ins neunzehnte Jahrhundert zurück. Aber ihre gegenwärtige Bedeutung und Funktion kann nur innerhalb des Rahmens demokratischer Prinzipien und territorialer Dezentralisation verstanden werden, der mit der spanischen Verfassung von 1978 geschaffen wurde. Zwar machen die lokalen Körperschaften nur gerade 13 Prozent der gesamten öffentlichen Ausgaben aus, aber ihre politische Relevanz ist in keiner Weise zweitrangig und entspricht oft derjenigen der regionalen Gebiete, der Autonomen Gemeinschaften. Es überrascht nicht, dass Politiker mit Erfahrung in nationaler und regionaler Politik für das Bürgermeisteramt größerer Städte wie Madrid kandidieren. Obwohl die exzessive Anzahl von Gemeinden in Spanien wirtschaftliche Ineffizienzen verursacht, werden infolge der politischen Bedeutung der Städte Gemeindezusammenschlüsse allgemein abgelehnt.

Spanien besteht aus 17 Autonomen Gemeinschaften, zwei autonomen Städten in Nordafrika (Ceuta und Melilla) und zwei Arten lokaler Untergliederungen, nämlich 50 Provinzen und 8.108 Gemeinden.

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Auf den Kanarischen Inseln und den Balearen wird diese Ordnung durch spezifische lokale Einrichtungen ergänzt, die je eine der Inselgruppen umfassen. Die Gemeinden sind die wichtigsten lokalen Einrichtungen. Ihnen wird die Bereitstellung lokaler öffentlicher Dienstleistungen anvertraut. Die Provinzen helfen kleinen Dörfern und Städten bei jenen Pflichtaufgaben, die ihre organisatorischen oder wirtschaftlichen Kapazitäten überschreiten würden. Es gibt zwei Hauptgründe für das gegenwärtige Bestehen von Provinzen: Erstens werden allen Gemeinden ohne Rücksicht auf ihre Größe fast die gleichen Aufgaben übertragen; zweitens haben mehr als 80 Prozent der Gemeinden weniger als 5.000 Einwohner und verfügen kaum über Einkünfte.

Die institutionelle Einheitlichkeit der Gemeinden ist ein wichtiges Merkmal der lokalen Gebietskörperschaften Spaniens. Nur die Städte Madrid und Barcelona unterscheiden sich zu

einem gewissen Grad von den anderen Gemeinden. Beide unterhalten komplexe Strukturen für die Bereitstellung städtischer öffentlicher Dienstleistungen – wie beispielsweise den Intercity-Verkehr, die Wasserversorgung und das Abwassersystem – und für die Koordination der Stadt- und Umweltplanung.

Die Verfassung von 1978 enthält zwei Bestimmungen hinsichtlich der lokalen Gebietskörperschaften: Die lokalen Gebietskörperschaften verfügen über das Recht auf lokale"

Autonomie" gegenüber anderen Behörden einschließlich der Legislative des Staates; die Gesetzgebungskompetenzen über die lokalen Gebietskörperschaften werden an den Staat und

die Autonomen Gemeinschaften übertragen. Die verfassungsmäßige Anerkennung eines Rechts auf lokale Autonomie bedeutet, dass die Gemeinden und Provinzen nicht bloß interne Untergliederungen der Autonomen Gemeinschaften sind, sondern Teil des Staates als ganzes. Lokale Autonomie bedeutet jedoch nicht, dass den lokalen Behörden direkt Befugnisse übertragen werden: Im Gegensatz zu den Bestimmungen der Verfassung zu den Autonomen Gemeinschaften gibt es keine spezifische Zuordnung von Befugnissen an die lokalen Körperschaften.

Die lokalen Gebietskörperschaften werden folglich durch die staatlichen Gesetze und die regionalen Gesetze der Autonomen Gemeinschaften definiert. Der Staat errichtet die "Grundlage des rechtlichen System der öffentlichen Verwaltung". Andererseits überträgt das Autonomiestatut die exklusiven Befugnisse über die lokalen Gebietskörperschaften an die Autonomen Gemeinschaften. Der

Francisco Velasco Caballero

Verfassungsgerichtshof hat entschieden, dass das lokale System Spaniens "zweifacher Natur" ist. Der spanische Staat ist für die grundsätzlichen Regelungen zuständig, während die Autonomen Gemeinschaften für die "nicht grundsätzlichen" Regelungen, die so genannten "Entwicklungs"-Regelungen zuständig sind. Bisher hat der Staat seine eigenen Befugnisse breit ausgelegt und die Verordnungsgewalt der Autonomen Gemeinschaften beschränkt. Diese Situation könnte sich durchgreifend verändern, sobald der Effekt der neuen Autonomiestatuten – Katalonien im Jahr 2006, Andalusien, Aragon und die Balearen im Jahre 2007 – spürbar wird. Beide neuen Statuten stärken die exklusiven Befugnisse der Gemeinschaften über die lokalen Gebietskörperschaften. Wahrscheinlich werden weitere Statuten zu anderen Autonomen Gemeinschaften folgen, und es ist klar, dass Ausmaß und Umfang der Befugnisse des Staates angesichts der neuen Autonomiestatuten neu gedeutet werden müssen.

Allgemein sieht das System der lokalen Gebietskörperschaften Spaniens sehr beschränkte Über wachung oder Steuerung der Aktivität der Gemeinden und Provinzen durch den Staat und die Autonomen Gemeinschaften vor. Der Verfassungsgerichtshof hat bestimmt, dass die lokale Autonomie staatliche Überwachung größtenteils ausschließt. Die Aufsichtsführung wird deshalb durch ein komplexes System zwischenstaatlicher Beziehungen ersetzt, das auf dem Konzept des tiefen Respekts für die Befugnisse der lokalen Organisationen und dem Prinzip der Kooperation beruht.

Das System der lokalen Gebietskörperschaften in Spanien funktioniert seit 1985 reibungslos. Die lokalen Behörden sind gründlich demokratisiert und haben sich für neue Formen partizipativer Demokratie empfänglich gezeigt. Die Bürger wählen die Gemeinderäte direkt, diese wiederum wählen den Bürgermeister. Die politischen Parteien nominieren dann gemäß den Ergebnissen der Gemeindewahlen die Repräsentanten für den Provinzrat. Die Stimmbeteiligung war bisher recht hoch und, wenn sie an der Macht sind, sind die lokalen Regierungen relativ stabil. Mehrere Anträge, den Bürgermeister direkt zu wählen, sind in letzter Zeit abgelehnt worden, da keine Mängel an der Funktionsweise des gegenwärtigen Systems erkannt wurden. Die Beseitigung der Kontrolle durch andere Regierungsebenen hat nicht zu einer Wertminderung der lokalen öffentlichen Leistungen geführt, und erst in letzter Zeit sind einige isolierte Fälle von Korruption in lokalen Planungsangelegenheiten aufgetreten.

Auch wenn die lokalen Körperschaften wiederholt über mangelnde Finanzmittel klagen, sind diese Klagen nicht immer gerechtfertigt. Mittelgroße und große Städte haben im Allgemeinen genügend Einnahmequellen zur Verfügung, um ihre eigenen politischen Entscheidungen umzusetzen. Sie nutzen die ihnen gesetzlich gewährten Steuerbefugnisse jedoch kaum. Andererseits leiden kleinere Gemeinden unter einem weit bedeutenderen Mangel an finanziellen Mitteln und

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oft fehlt es an Hilfe von Seiten der Provinzen oder der Autonomen Gemeinschaften.

Gegenwärtige Debatten zu finanziellen Angelegenheiten betreffen die mögliche Unterscheidung zwischen Großstädten und kleinen Dörfern und Städten. Mittelgroße und größere Städte erhalten bereits einen kleinen prozentualen Anteil an den durch staatliche Steuern erwirtschafteten Einnahmen. Die großen Städte schlagen vor, diesen Anteil auf 10 oder 15 Prozent zu erhöhen und so die in den einzelnen Gemeinden erzeugten Einnahmen widerzuspiegeln. Aber dieser Vorschlag begegnet vielen Einwänden. Ersten befürchtet man mangelnde finanzielle Rechenschaftspflicht, da die Stadträte die Steuern nicht direkt auferlegen. Zweitens wird argumentiert, dass der Betrag, der den kleinen Städten und Dörfern zukommt, geringer ausfällt, wenn der Anteil an den Staatseinnahmen, der an die größeren Städte weitergeleitet wird, erhöht wird.

Die vielleicht bedeutendsten Misserfolge auf lokaler Ebene begründen sich in der Rivalität zwischen den lokalen Körperschaften und den Autonomen Gemeinschaften in hauptsächlich zwei Bereichen: bei der Zuständigkeit für die Angelegenheiten von örtlichem Belang und hinsichtlich der Aufbringung finanzieller Mittel. Gemäß der Verfassung werden die meisten lokalen Angelegenheiten von Gesetzen geregelt, die von den regionalen Parlamenten erlassenen werden. Diese Gesetze übertragen aufwendige Dienstleistungen oft an lokale Körperschaften, jedoch ohne die für deren effiziente Ausführung erforderlichen finanziellen Mittel. Andererseits tragen die Autonomen Gemeinschaften nur in sehr bescheidenem Maße zu den allgemeinen Ausgaben der lokalen Körperschaften bei und ziehen es vor, spezifische Gemeindeprojekte mittels Abkommen zu finanzieren. Solche Projekte müssen besprochen und jedes Mal von der regionalen Regierung angenommen werden. Oft werden sie als gemeinsame öffentliche Politiken präsentiert. Noch zu definieren bleiben der Umfang der zwischenstaatlichen Zusammenarbeit, die präzise Verteilung der Befugnisse sowie die Beziehungen zwischen finanzieller und politischer Rechenschaftspflicht.