Nigeria: Die Schaffung eines Systems lokaler Gebietskörperschaften

HABU S. GALADIMA

Den lokalen Gebietskörperschaften Nigerias haftet unauslöschlich der Ruf an, ein politisches System zu betreiben, das offenkundig korrupt ist und aus Beamten besteht, die wenig Interesse an Rechenschaftspflicht, Redlichkeit oder Transparenz bekunden. Obwohl die Einkommensquellen der lokalen Gebietskörperschaften sich im Laufe der Zeit vermehrt haben, mangelt es leider immer noch an begleitender sozioökonomischer Entwicklung. Viele lokale Gebietskörperschaften sind noch immer gekennzeichnet durch Beschränkungen bei der Trinkwasserversorgung, bei der Gesundheitsfürsorge und den Gesundheitseinrichtungen und durch eine Bevölkerung die unter inadäquaten Wohnverhältnissen, beschränktem Einkommen und Vermögen, schwerwiegenden materiellen und gesellschaftlichen Entbehrungen, schlechten Straßen und einem mangelhaften Straßennetz sowie beschränktem Zugang zu landwirtschaftlichen Unterstützungseinrichtungen leidet. Das Resultat ist gravierende Armut. Es scheint, die lokalen Behörden fühlen kaum den Puls und Herzschlag der Nigerianer, die die Basis des Landes bilden: Die Menschen fühlen sich von der Regierung entfremdet.

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Nigeria ist eine Föderation mit 36 Staaten und einem Federal Capital Territory (FCT). In den Staaten gibt es 768 lokale Gebietskörperschaften, im FCT sechs Gebietsräte, insgesamt also 774 lokalen Gebietskörperschaften. Diese verfügen sowohl über politische als auch über Ver waltungsstrukturen. Die politische Struktur besteht aus einer Exekutive mit einem Vorsitzenden, einem Aufsichtsrat und einem Sekretär sowie einer Legislative oder dem Rat. In einigen Staaten gehört der Vorsitzende dem Rat an. Die Verwaltungsstruktur besteht aus sechs Abteilungen: Personalleitung; Finanzen und Versorgung; Bauten; landwirtschaftliche und natürliche Ressourcen; medizinische Grundversorgung; und Sozialfürsorge bzw. soziale Entwicklung.

Die Grundlage für die lokalen Gebietskörperschaften wurde nach der britischen Eroberung des enormen Gebietes in Afrika, das das heutige Nigeria bildet, unter der Führung von Lord Lugard, dem ersten Generalgouverneur gelegt. Das indirekte Herrschaftssystem war von traditionellen einheimischen Herrschern und Verwaltungseinrichtungen abhängig. Zur Wahrung der öffentlichen Ordnung wurden während der Kolonialherrschaft eingeborene Behörden eingesetzt.

Der Dekolonisationsprozess – besonders nach 1950 – bewirkte eine Anzahl von Reformen, die darauf abzielten, die Verwaltung der lokalen Gebietskörperschaften zu demokratisieren und ihnen eine partizipativere Rolle zu geben. Im Rahmen dieser Reformen wurde die Machtbefugnis in den lokalen Gebietskörperschaften den traditionellen Herrschern allmählich entzogen und auf gewählte Repräsentanten übertragen. Den Räten wurden mehr Aufgaben und ein größerer Grad an Autonomie in finanziellen, Personal- und allgemeinen Verwaltungsangelegenheiten übertragen. 1954 begann mit der Lyttleton-Verfassung die politische Reorganisation Nigerias als Bundesstaat.

Zu Zwecken der Dezentralisation begann die Militärregierung 1976 in Zusammenarbeit mit den Staatsregierungen eine umfassende Reform der lokalen Gebietskörperschaften. In diesen Reformen kam deutlich das Konzept eines nigerianischen Bundesstaates mit drei Ebenen zum Ausdruck. Es wurde eine einheitliches, nationales System eingeführt, das die Aufgaben, Strukturen und die Finanzausstattung der lokalen Gebietskörperschaften, ihre Beziehung zur Staatsregierung, die Stellung, die die traditionellen Organisationen in den lokalen Gebietskörperschaften einnehmen, sowie die Gesetzesvollstreckung definierte. Die Reform verlieh den lokalen Gebietskörperschaften nicht nur Bedeutung, sie machte sie auch zu funktionellen rechtlichen Einheiten und isolierte die traditionellen Herrscher von der Parteienpolitik.

Die Aufgaben der lokalen Gebietskörperschaften wurden in den Richtlinien zu den Reformen der lokalen Gebietskörperschaften von 1976 sowie jeweils im Vierten Anhang der Verfassungen von 1979, 1989, 1995 und 1999 erläutert. Sie sind in zwei Kategorien unterteilt: 1) Aufgaben,

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die ausschließlich von den lokalen Gebietskörperschaften erfüllt werden; 2) Aufgaben, die in Zusammenwirkung mit den entsprechenden Staatsregierungen wahrgenommen werden.

Die wichtigste Bestimmung der Verfassung von 1999 hinsichtlich der lokalen Gebietskörperschaften verleiht den Staaten die Befugnis, die Existenz der lokalen Gebietskörperschaften als demokratische Institutionen sicherzustellen und zwar durch die Erlassung von Gesetzen, die eine Basis für die Einrichtung, Struktur, Zusammensetzung sowie die Finanzen und Aufgaben der lokalen Gebietskörperschaften schaffen und diesen erlaubt, Nachwuchskräfte einzustellen und auszubilden. Zudem können sie Verordnungen zu Abgaben, Steuern und anderen gesetzlich festgelegten Gebühren zugunsten der wirtschaftlichen Entwicklung der lokalen Gebietskörperschaft erlassen, wie auch Verordnungen, die in den lokalen Gebietskörperschaften gute Regierungstätigkeit sicherstellen sollen.

Die Verfassung legt außerdem fest, dass die lokalen Gebietskörperschaften zu von der Nationalversammlung festgelegten Bedingungen am Bundeskonto – dem gemeinsamen Ertragskonto der Regierungsebenen Nigerias – beteiligt werden sollen. Die Namen der bestehenden lokalen Gebietskörperschaften sind der Verfassung angefügt. Zwar sind die Staaten im Prinzip ermächtigt, neue lokale Gebietskörperschaften zu schaffen, der Prozess ist jedoch erst abgeschlossen, wenn der Anhang, der

die Namen der lokalen Gebietskörperschaften

enthält, von der Nationalversammlung um die neu geschaffenen ergänzt wurde.

Die lokalen Gebietskörperschaften Nigerias werden mit einer ganzen Menge Probleme konfrontiert: zwischenstaatliche Konflikte, strukturelle organisatorische Probleme, finanzielle Schwierigkeiten und Mangel an qualifiziertem Personal, die Stellung der traditionellen Obrigkeit in der Lokalverwaltung und ungestrafte Korruption. Im Korruptionswahrnehmungsindex 2006 von Transparency International wird Nigeria von insgesamt 163 Ländern unter den 21 Ländern mit dem höchsten Index an wahrgenommener Korruption geführt. Die gravierendsten Probleme werden durch Korruption verursacht: Ungewissheiten hinsichtlich des Flusses der finanziellen

Mittel an die lokalen Gebietskörperschaften gekoppelt mit Beschränkungen bei ihren Steuererhebungsbefugnissen bzw. ihrer Steuerhoheit. Die Unfähigkeit der lokalen Gebietskörperschaften, einen wesentlichen Anteil ihres gesamten wiederkehrenden Einkommensbedarfs aus internen Quellen aufzubringen, untergräbt die im Konzept einer dreistufigen Regierung implizierte Autonomie.

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Das generelle Problem ist die Rechenschaftspflicht der lokalen Gebietskörperschaften. Es besteht Ungewissheit hinsichtlich der tatsächlichen Verfügbarkeit der Ressourcen für die lokalen Gebietskörperschaften, da die Transferleistungen an die lokalen Gebietskörperschaften zuweilen als das persönliches Eigentum der Gouverneure und einiger lokaler Politiker angesehen werden. Eine exzessive Einmischung der politischen Eliten in das Funktionieren der lokalen Gebietskörperschaften kompromittiert deren Autonomie. Dies hat dazu geführt, dass eine Änderung des Paragrafen 162 (5) der Verfassung gefordert wurde, um zur Verbesserung der finanziellen Autonomie der lokalen Gebietskörperschaften eine direkte Auszahlung der gesetzlich festgelegten Zuweisungen des Bundes zu ermöglichen.

Damit die lokalen Gebietskörperschaften optimale und effiziente Leistungen erbringen können, ist dringend eine komplette Überprüfung der Aufgaben der einzelnen Regierungsebenen notwendig, damit das Prinzip der Subsidiarität zur Kenntnis genommen wird. Zur Minimierung der Korruption besteht zudem Bedarf an einem ausgeglichenen, fairen, transparenten und auf Konsens beruhenden Rahmen für die zwischenstaatlichen Finanzbeziehungen. Außerdem muss die Steuerhoheit eine Reorganisation erfahren, um den lokalen Gebietskörperschaften einen gewissen Grad an finanzieller Autonomie zu verleihen.