Das Problem der Effizienz: Lokale Gebietskörperschaften in den USA

MICHAEL A. P AGANO

John Dillon, Richter des Bundesstaates Iowa, prägte 1868 mit der Entscheidung, dass Gemeindeverwaltungen ausschließlich Schöpfungen der Legislative des Bundesstaates sind, das gesetzliche und rechtliche Leben der lokalen Gebietskörperschaften in den USA.

"Kommunale Körperschaften verdanken ihren Ursprung allein der Legislative und von ihr erlangen sie alle ihre Befugnisse und Rechte", schrieb Richter Dillon. "Sie haucht ihnen den Lebensatem ein, ohne den sie nicht existieren könnten. So wie sie erschafft, so kann sie zerstören."

Die Staaten haben jedoch größere oder kleinere Autonomiesphären festgelegt, in denen ihre lokalen Gebietskörperschaften wirken dürfen. Ob die Staaten nun unter einem großzügigen Status der Selbstverwaltung (Home Rule) weite Machtbefugnisse einräumen oder ob sie Umfang und Befugnisse stark einschränken, letztendlich sind sie es, die ihre lokalen Gebietskörperschaften steuern.

Bis zur großen Wirtschaftskrise in den 1930er Jahren bestanden zwischen den lokalen Gebietskörperschaften und den Bundesbehörden kaum direkte oder nachhaltige Beziehungen. Der New Deal, eine Reihe von Maßnahmen von Seiten des Bundes während der großen Wirtschaftskrise,

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änderte die Beziehung wesentlich, da er die Bundeshilfe auf die lokalen Gebietskörperschaften ausweitete, namentlich in Bereichen, die herkömmlicherweise als lokale Angelegenheiten betrachtet wurden, wie beispielsweise öffentliche Bauarbeiten und später auch das Wohnungs-, Gesundheits-und Sozialwesen und der Bildungsbereich. Die Bundesregierung kann Regeln und Regelungen entweder gesetzlich oder als an finanzielle Zuschüsse gekoppelte Bedingungen durchsetzen. Sie kann das Verhalten der lokalen Gebietskörperschaften durch Befugnisse partieller Priorität (partial preemption) sowie durch direkte Befehle lenken.

Als Gebilde ihrer Staaten werden den lokalen Gebietskörperschaften funktionelle Aufgaben übertragen. Sie werden dazu befähigt, Verwaltungsorgane mit Rechtsetzungsbefugnissen einzurichten, und erhalten Einnahmenbeschaffungskompetenzen. Diese Übertragungen sind jedoch nicht in allen 50 Staaten gleichartig. Einige Staaten übertragen die Bildungsaufgabe in einem "abhängigen" Ausbildungssystem an die Counties und Städte, während die Mehrheit für diesen Zweck unab"

hängige" Schulbezirke geschaffen hat. Nur Hawaii ver waltet das öffentliche Bildungswesen direkt. Counties sind lokale Gebietskörperschaften für allgemeine Zwecke. Sie wurden geschaffen, um als administrativer Arm des Staates zu dienen, wirken jedoch ziemlich unabhängig: Ihre gewählten Amtspersonen und Beauftragten verabschieden den Haushalt, erheben Steuern und erlassen lokale Verordnungen. Gemeindekörperschaften (Städte, Stadtgemeinden und Dörfer) sind ebenfalls Mehrzweck-Regierungen und -Verwaltungen. Ihre gewählten Institutionen, die Räte, verfügen über Haushalts-, Steuer- und Rechtsetzungsbefugnisse. Die konkret an die Gemeinde- und County-Behörden übertragenen Aufgaben sind von Staat zu Staat unterschiedlich. Während beispielsweise die meisten Städte Überschneidungen mit den County-Behörden erfahren, sind in Virginia die Städte von den Counties unabhängig.

Im Allgemeinen werden die Gemeindekörperschaften damit beauftragt, Leben und Eigentum zu schützen. Normalerweise erfolgt dies durch die Sicherung der öffentlichen Ruhe und Ordnung und umfasst Feuer wehr, Polizei, ärztlicher Notfalldienst, Stadtplanungs-und Flächennutzungsbefugnisse sowie örtliche öffentliche Bauarbeiten wie Straßen, Wasserversorgung und Kanalisation. Counties haben dieselben Aufgaben wie die Gemeinden. Darüber hinaus sind sie für das Sozialwesen, die Gefängnisse, die Straßen und in einigen Staaten das Bildungswesen zuständig. Die Townships, die den Counties untergeordnet sind, bilden nur in 20 Staaten lokale Gebietskörperschaften. Sie haben in den meisten Staaten nur beschränkte Aufgaben (normalerweise sind sie für die Straßen und die Polizei zuständig). In Pennsylvania und New Jersey können die Townships ähnlich wie die Gemeinden allgemeine Verwaltungsund Regierungsbefugnisse übernehmen.

Michael A. Pagano

Seit 1946 hat die Zahl der lokalen Gebietskörperschaften drastisch zugenommen; im Jahre 2002 waren es bereits 87.849. Hinter dieser Zahl verbergen sich jedoch lokale Gebietskörperschaften unterschiedlichster Beschaffenheit. Die Zusammenführung von Schulbezirken beispielsweise hat ihre Zahl über die letzten 50 Jahre von gut über 100.000 (nach dem zweiten Weltkrieg) auf nur 13.522 (im Jahr 2002) schrumpfen lassen. Die speziellen Bezirke haben einen gegenläufigen Trend erfahren und sind bis 2002 auf 35.356 angewachsen – ein Zuwachs von 187 Prozent seit 1952.

Die Veränderungen in anderen lokalen Gebietskörperschaften sind ebenfalls bemerkenswert. Während 1952 16.087 Gemeindebehörden gezählt wurden, sind es heute 19.431. Die Counties wurden konsolidiert; seit 1952 sind nur 18 verschwunden, ihre Gesamtzahl beträgt heute 3.034. Die Anzahl der Townships hat leicht abgenommen, nämlich von 17.202 im Jahre 1952 auf 16.506.

Zwar sind fast alle lokalen Gebietskörperschaften gesetzlich befugt, eine Grundsteuer zu erheben, aber ihre Abhängigkeit von dieser Besteuerungsform hat über die letzten Jahrzehnte abgenommen. Die sukzessive Übernahme anderer Formen allgemeiner Steuerhoheit – namentlich die Option einer örtlichen Einzelhandelsumsatzsteuer und Einkommenssteuer – hat bei Counties und Gemeinden zu einer Diversifikation der Einkommensstruktur geführt. Die Schulbezirke und Townships sind weiterhin in hohem Grade von der Grundsteuer abhängig. Die lokalen Gebietskörperschaften dürfen zudem für bestimmte Dienstleistungen Gebühren erheben. Solche Gebühren, bzw. Nutzungsgebühren, sind mittlerweile für Counties und Gemeinden die am schnellsten wachsenden und wichtigsten Einkünfte aus eigener Quelle.

Im neunzehnten Jahrhundert sind Menschen und Unternehmen infolge der industriellen Revolution näher zusammengezogen. Das führte zu immer größeren Städten und lieferte den Anstoß dafür, dass die Behörden Dienstleistungen wie Trinkwasser, effiziente Transportsysteme und allgemeine Schulausbildung bereitstellten. Mit der Ausweitung der lokalen Gebietskörperschaften und Regionen wurde man sich vermehrt der Notwendigkeit gewahr, mit den lokalen Gebietskörperschaften in der Nachbarschaft entweder zusammenzuarbeiten oder zu konkurrieren.

Auf diese Weise lernten die lokalen Gebietskörperschaften ihre Aktivitäten gemeinsam auszuführen, wenn es die Umstände rechtfertigten (beispielsweise zur Erzielung von Skaleneffekten). Beispiele für diese Praktik sind die Zusammenführung von fünf Stadtbezirken in jenem Stadtgebiet, das heute New York City bildet, die Vereinigung bestimmter Dienstleistungen unter Unigov in der Region von Indianapolis sowie die konsolidierten Dienstleistungs- und Regierungsstrukturen im County Nashville-Dade.

Eine weitere Form der Anpassung der lokalen Gebietskörperschaften besteht darin, dass sie zwar weiterhin separate Gebietskörperschaften

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bleiben, aber mit anderen lokalen Gebietskörperschaften in ihrer Region zusammenarbeiten. Dienstleistungen können auch mittels freiwilliger vertraglicher Regelungen, so genannter Interlocal Agreements, erbracht werden. Mit der Zustimmung des Staates können lokale Gebietskörperschaften auch Behörden zum Zweck der Einnah

menbeschaffung (zum Beispiel zur Begebung von Anleihen) ins Leben rufen. Sie können sich zudem unter staatlichen Ermächtigungsgesetzen selbst zusammenschließen, um neue lokale Gebietskörperschaften wie besondere Bezirke zur Bereitstellung spezifischer Dienstleistungen zu bilden. Die lokalen Gebietskörperschaften operieren außerdem innerhalb eines zunehmend verbreiteten, wenn auch beunruhigenden Arrangements mit geschlossenen Wohnsiedlungen – von Mauern und Zäunen eingeschlossenen Wohngebieten –, die zum Teil die gleichen Dienstleistungen (Straßenreinigung, Sicherheit, Müllabfuhr und Parks) wie die Gemeinden oder Counties bereitstellen.

Diese horizontalen und vertikalen Verwaltungs- und Regierungsebenen – sowie die Ebenen gemeinnütziger Organisationen, die mit staatlichen und lokalen Behörden Verträge zum Zweck der Bereitstellung staatlicher""

Dienstleistungen abschließen, ganz zu schweigen von der zunehmenden Bedeutung ziviler Wohngemeinschaften, die Dienstleistungen

erbringen und sich als "Privatbehörden" organisieren – diese Zehntausende rechtliche Organisationen, die sich über die Landschaft verstreuen, stellen die Stabilität und Effizienz der lokalen und regionalen Gebietskörperschaften im föderalen Staat vor große Herausforderungen.