Vergleichende Betrachtungen

KA TY LE ROY / CHER YL SAUNDERS

Die Wahl und Ausgestaltung der Regierungsinstitutionen sind Kernfragen bei der Schaffung und Leitung einer Föderation. Die Institutionen sind die Mechanismen, durch die das föderale Prinzip in allen Bereichen der Regierung in die Praxis umgesetzt wird. Viele der Regierungsinstitutionen föderaler Demokratien sind so oder ähnlich in allen Demokratien (föderalen und einheitsstaatlichen) gebräuchlich. Wie in diesem Booklet jedoch gezeigt wird, beeinflussen sich Föderalismus und demokratische Institutionen gegenseitig. Der Föderalismus beeinflusst häufig die Art und Weise, wie demokratische Institutionen ausgestaltet werden und wie sie in der Praxis funktionieren. Und das Umgekehrte trifft ebenfalls zu: Die Wahl der Institutionen hat üblicherweise einen Einfluss auf die Form und Funktionsweise des föderalen Systems.

Das Spektrum der Institutionen

Die in diesem Booklet besprochenen Länder benutzen verschiedenste Institutionen zum Zwecke legislativer und exekutiver Herrschaft. Einige haben Präsidialsysteme, in denen die Exekutive getrennt von der Legislative gewählt wird. Andere haben parlamentarische Systeme, in denen die Exekutive von der dauerhaften Unterstützung der Mehrheit der Legislative abhängig ist. In der Schweiz wird in einem beachtlichen Umfang die direkte Demokratie angewandt, was einen Einfluss auf das Funktionieren der Institutionen der repräsentativen Demokratie hat und, wie im Kapitel über die Schweiz beschrieben wird, die Entwicklung einer Konsensdemokratie fördert.

Sowohl innerhalb des präsidialen als auch innerhalb des parlametarischen institutionellen Designs existieren jedoch beachtliche Abweichungen. Dafür sind andere Faktoren verantwortlich: die Art des Parteiensystems (einschließlich der Kohäsion innerhalb der Parteien und des Ausmaßes, in dem sie national oder regional organisiert sind); das Wahlsystem und im besonderen dessen Tendenz, vor allem mehrheitliche und nicht proportionale Ergebnisse hervorzubringen; die Tiefe und Stabilität der demokratischen Kultur; und der soziale und ökonomische Kontext der Institutionen. Eine

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andere wichtige Variable ist die Ausgestaltung des föderalen Systems selbst. Faktoren dieser Art erklären die beträchtlichen Unterschiede zwischen den Präsidialsystemen, z.B. in Argentinien und den USA, und die vergleichbaren Unterschiede zwischen den parlamentarischen Systemen beispielsweise Deutschlands und Österreichs.

Das Spektrum föderaler Systeme

In den im Booklet besprochenen Ländern zeigen sich mindestens drei Arten von Unterschieden in der föderalen Gestaltung mit Einfluss auf die Institutionen.

Erstens gibt es einen – zugegebenermaßen etwas undeutlichen – Unterschied zwischen Föderationen und dem, was man vielleicht als Quasi-Föderationen bezeichnen könnte. Bezeichnend für letztere – Südafrika wäre ein Beispiel – ist der Grad der Zentralisierung und unter Umständen auch das Ausmaß, in dem die Zentralregierung die Regierungsgewalt in den Teilstaaten direkt steuern kann. Wie die Beispiele Kanada und Indien zeigen, ist diese Charakterisierung nicht notwendigerweise unwiderruflich für die ganze Zeit vorgegeben.

Ein zweiter wichtiger Unterschied besteht zwischen dualen und integrierten Föderationen. Duale Föderationen teilen die Macht üblicherweise vertikal und jeder Hoheitsbereich verfügt über die ganze (oder nahezu ganze) Bandbreite an Institutionen. Die Vereinigten Staaten sind ein Beispiel für dieses Muster. Integrierte Föderationen, wie etwa Deutschland, teilen die Macht unter Umständen auch horizontal, indem sie die Verwaltung der meisten nationalen Programme den föderalen Einheiten überlassen und diesen dafür im Gegenzug ein direktes Mitspracherecht bei der nationalen Gesetzgebung einräumen.

Eine dritte Unterscheidung liegt in der Tiefe der föderalen Struktur: das heißt dem Umfang, in dem der Föderalismus in den Worten Rajeev Dhavans als "Geschenk der Herrschaft" betrachtet wird und nicht einfach als bloße Tatsache des politischen Lebens, die, wenn sie der Effizienz im Wege steht, oft auf Kosten der Institutionen der föderalen Einheiten neutralisiert werden muss.

Die Interaktion zwischen dem Föderalismus und den Institutionen

Aus den einzelnen Kapiteln geht hervor, dass der föderale Charakter der politischen Gemeinschaft die meisten Institutionen der Regierung irgendwie beeinflusst. Die Wahlkreise für das Unterhaus der nationalen Legislative sind zum Beispiel häufig unter Bezugnahme auf die geografischen Grenzen der föderalen Einheiten definiert. Die Zusammensetzung der nationalen Exekutive wird oft durch den Wunsch beeinflusst, sie soll Mitglieder aus den verschiedenen oder aus allen föderalen Einheiten umfassen.

Es gibt bestimmte Institutionen oder Gruppen von Institutionen, bei denen der Einfluss des Föderalismus jedoch besonders ausgeprägt ist.

Vergleichende Betrachtungen

Das offensichtlichste Beispiel dafür ist das Oberhaus oder die zweite Kammer der nationalen Legislative, die oftmals dazu ausgelegt ist, auf eine bestimmte Weise eine föderale Rolle zu spielen. Zwei paradigmatische Modelle werden in diesen Kapiteln vorgestellt. Eines ist der deutsche Bundesrat, in dem der Einfluss der Landesregierungen auf bundespolitische Entscheidungen institutionalisiert wurde. Das andere ist der Senat der Vereinigten Staaten, der direkt vom Volk gewählt und nicht durch die Politik der Bundesstaaten bestimmt wird. Südafrika stellt insoweit eine wichtige Variation des ersten Musters dar, als die Gesetzgeber und nicht die Regierungen der Provinzen im Nationalrat der Provinzen vertreten sind. Wie das Kapitel über Südafrika darlegt, ist es zu früh für ein Urteil über die Signifikanz dieses Experiments bei der Ausgestaltung föderaler Institutionen.

Eine zweite Institution, die vom Föderalismus erheblich beeinflusst wird, ist die Verwaltung. Manche Föderationen sind so organisiert, dass die Programme eines Bereichs der Regierung durch einen anderen Bereich verwaltet werden können oder müssen. Wie im Booklet erläutert wird, ist es in beinahe allen Föderationen relativ üblich, dass administrative Einrichtungen der föderalen Einheiten auf Basis formeller oder informeller Abkommen bestimmte Funktionen der Föderation (einschließlich der Verwaltung von Zuschüssen) ausüben.

Drittens gibt es eine signifikante Abweichung in der Art und Weise, wie die Gerichte in den Föderationen organisiert sind. Die Logik einer dualen Föderation besteht darin, dass jede Regierungsebene ihr eigenes Gerichtswesen unterhält. Nur in den Vereinigten Staaten ist diese Logik jedoch vollständig in die Praxis umgesetzt worden. In anderen Föderationen mit "Common Law" ist das Gerichtswesen mehr oder weniger integriert, manchmal so weit, dass es – wie in Indien und Kanada – im Grunde nur noch ein Gerichtssystem gibt. Obwohl die einzelnen Gerichte unter Umständen auf einzelne Aufgaben ausgerichtet sind, gibt es auch in Föderationen mit Zivilrecht tatsächlich eine einzige Gerichtshierarchie, die sich von den föderalen Einheiten zur zentralen Regierungsebene erstreckt.

Schließlich verfügen die Föderationen zur Führung von Gesprächen und zum Zwecke der Zusammenarbeit zwischen den verschiedenen Regierungen des Bundesstaates und deren Koordinierung über eine Reihe von (im Allgemeinen informellen) Institutionen. Beispiele dafür sind der Canadian Council of Federation, die Schweizer Konferenz der Kantonsregierungen und der indische Inter-State Council. Die Beiträge in diesem Booklet zeigen im Allgemeinen, dass diese Institutionen an Bedeutung und Differenziertheit gewinnen. Es stellt sich die Frage, ob diese Institutionen – auch wenn dies mit einer Einbusse an Flexibilität einhergeht – im Interesse einer größeren Verantwortlichkeit auf die eine oder andere Weise formalisiert werden sollten.

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Konsequenzen

Aus den Artikeln in vorliegendem Booklet wird ersichtlich, dass die Interaktion zwischen Föderalismus und Institutionen mindestens drei Konsequenzen hat.

  1. Verfügt die Legislative der Zentralregierung über eine föderale zweite Kammer, wirkt sich dies auf die Fähigkeit der Legislative aus, den Willen der nationalen Mehrheit widerzuspiegeln. Ob die zweite Kammer nun tatsächlich eine nachhaltige föderale Rolle spielt oder nicht, spielt dabei keine Rolle. Ironischerweise macht eine anders konstituierte zweite Kammer die Legislative selbst da zu einer unabhängigeren Kraft, wo sonst die Bedingungen üblicherweise dazu führen, dass die Exekutive die Legislative dominiert. Die meisten Föderationen tun sich dennoch schwer daran, im Interesse der Demokratie und der Effizienz der Regierung einen akzeptablen Ausgleich zwischen den Befugnissen der beiden Kammern zu finden.
  2. In den meisten Föderationen ist die symbiotische Beziehung zwischenden Institutionen, da diese in einem einheitlichen System operieren, zu einem gewissen Grade gestört. Am meisten betroffen sind die Gerichte und die Verwaltungsbehörden, und zwar derart, dass sie zwei oder mehr Ebenen der Regierung Rechenschaft schuldig sind. Solche jurisdiktionsüberschreitenden Anordnungen verkomplizieren die Rechenschaftspflichten und die Autonomie und damit auch die Demokratie und den Föderalismus. Das heißt nicht, dass sie auf alle Fälle vermieden werden sollten, aber die Konsequenzen müssen vorausgesehen und berücksichtigt werden.
  3. Mit der einzigen klaren Ausnahme der Vereinigten Staaten machen beinahe alle Föderationen Erfahrungen mit dem Phänomen des exekutiven Föderalismus. Zwar sind bei den Einzelheiten je nach Zusammensetzung der Institutionen und der Form des Föderalismus gewisse Variationen zu beobachten, der gemeinsame Nenner sind jedoch kollektiv handelnde Regierungen, die sich in hohem Maß an der Politikgestaltung beteiligen und, um sicherzustellen, dass ihre Beschlussfassungen auch ausgeführt werden, auf die Dominanz der Exekutive über die Legislative verlassen. Auf diese Weise sind viele vorteilhafte politische Ergebnisse erzielt worden. Man kann es auch so sehen, dass dieser Prozess lediglich die in vielen demokratischen Systemen erlebte Realität der Dominanz der Exekutive über die Legislative zu neuen Höhen erhoben hat. Trotzdem stört der exekutive Föderalismus wie andere jurisdiktionsüberschreitende Einrichtungen die traditionellen institutionellen Arrangements, verwischt dabei die Rechenschaftspflichten und macht das Funktionieren der demokratischen Prozesse für den Wähler weniger verständlich. Der Einfluss des exekutiven Föderalismus wiegt bei den Institutionen der föderalen Einheiten am schwersten und schwächt damit den Föderalismus selbst. Viele Föderationen suchen gegenwärtig nach Wegen, die Nachteile des exekutiven Föderalismus zu minimieren oder zu kompensieren und gleichzeitig die Vorteile derartiger Kooperation zu bewahren.