Die Zukunft des deutschen Föderalismus

Vortrag vor der Freitagsgesellschaft Hamburg-Langenhorn im Hause Helmut Schmidt und Loki Schmidt

14. Februar 2003

Bürgermeister a.D. Dr. Henning Voscherau

I

Der Staat ist nicht Selbstzweck. Sein innerer Grund besteht darin, dem Volk zu dienen, in der etwas pathetischen Sprache des Art. 56 seinen Nutzen zu mehren, Schaden von ihm zu wenden. Also ist auch die Staatsform nicht Selbstzweck. Sie hat instrumentelle Funktion für das Wohl des Volkes. Demokratische Politik muss den Staat kontinuierlich bei seinen Bürgern legitimieren œ unabhängig von der Staatsform. Friedrich Ebert hat in seiner Antrittsrede vor der Nationalversammlung im Februar 1919 über die Ziele der jungen Weimarer Republik, eines demokratischen

Bundesstaates, ausgeführt:

"Den Frieden zu erringen, der der deutschen Nation das Selbstbestimmungsrecht sichert, die Verfassung auszubauen und zu behüten, die allen deutschen Männern und Frauen die politische Gleichberechtigung unbedingt verbürgt, dem deutschen Volk Arbeit und Brot zu schaffen, sein ganzes Wirtschaftsleben so zu gestalten, daß die Freiheit nicht Bettlerfreiheit, sondern Kulturfreiheit werde, das ist unseres Strebens Ziel."

Nicht Bettlerfreiheit, sondern Kulturfreiheit. Staat machen kann man nur auf dem Fundament sozialen Friedens. Was geschehen kann, wenn ein Staat in den Augen zu vieler seiner Bürger die Kulturfreiheit nicht gewährleisten kann, wenn immer mehr Bürger fürchten abzusteigen, fürchten, dass sie und ihre Familie am eigenen Leibe spüren könnten, was Bettlerfreiheit heißt, hat die Weimarer Republik erlebt. Legitimationsdruck durch die Wirklichkeit - ob Zentralstaat oder Bundesstaat. Deshalb ist kein Wunder, dass die Funktionsfähigkeit des deutschen Staatswesens, und das heißt, der Föderalismus, in´s Gerede kommt. Nur ein Dutzend Jahre nach Zusammenbruch der DDR und der triumphalen Wiedergründung ihrer aufgelösten Länder wird der Föderalismus verantwortlich gemacht für Blockade, Reformschwäche, Lähmung der deutschen Politik. ‡The German Disease— Deutschland als ‡kranker Mann in der Mitte Europas—, Europe´s ‡dragging anchor—. Unübersehbar lahmen Wettbewerbsfähigkeit, Beschäftigung und Steuerkraft in Deutschland. Europa sieht das, und Schadenfreude macht sich breit - meist noch hinter vorgehaltener Hand. Viereinhalb Millionen Arbeitslose wie vor fünf Jahren gegen Ende der Amtszeit Bundeskanzler Kohls. Stabilitätsziele einmal verfehlt, vor dem zweiten Mal geradezu offensiv aufgeweicht, wenn nicht insgeheim aufgegeben. Seit Jahren wird irgendwie hilflos an Symptomen laboriert. Inzwischen gelten wir europaweit als Wachstums-Schlusslicht. Allerdings darf nicht übersehen werden, dass Deutschland - und sonst niemand - seit 1990 eine Last trägt, für die es kein Beispiel gibt: Arbeitsplätze für eine Million von Ost nach West gewanderter Menschen, zusätzlich für etwa eine halbe Million Ost-West-Pendler. Laufender Finanztransfer West-Ost von jährlich 70 bis 75 Mrd. Euro, 4% des Sozialprodukts West, drei Viertel Punkt Wachstum pro Jahr - und das seit dem 1. Juli 1990. Eine große nationale Leistung, vor der sich Kleinmut und Lamento verbieten. An der langjährigen Unfähigkeit/Unwilligkeit zu struktureller Modernisierung ändert dies nichts. Ein Zitat:

"Was sehe ich dagegen in Deutschland ? Hier herrscht ganz überwiegend Mutlosigkeit.

Krisenszenarien werden gepflegt. Ein Gefühl der Lähmung liegt über unserer Gesellschaft. ... Was ist los mit unserem Land? Im Klartext: Der Verlust wirtschaftlicher Dynamik, die Erstarrung der Gesellschaft, eine unglaubliche mentale Depression œ das sind die Stichworte der Krise. Sie bilden einen allgegenwärtigen Dreiklang, aber einen Dreiklang in Moll."

Harte Feststellungen. Sie gelten gar nicht der rotgrünen Bundesregierung. Sie stammen aus Bundespräsident Herzogs Berliner Rede 1997. Sie läutete im Jahr vor der Wahl 1998 nach 16 Jahren das Ende Bundeskanzler Kohls ein. Anscheinend haben wir es mit einer Problematik zu tun, die Wahlperioden und Koalitionen übergreift, mit der Notwendigkeit von Strukturreformen, die von den Gewählten und von den Bürgern ausgeht. Offenkundig folgen den "fetten Jahren" der westlichen Republik jetzt eher die biblischen "sieben mageren Jahre". Wir müssen uns endlich darauf einrichten, nicht zuletzt muss unser Staatswesen das tun. ‡Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben— œ auch im Westen. Sie sehen, ich schleiche mich an unser heutiges Thema an, ich möchte Ihre Aufmerksamkeit auf eine m.E. sträflich unterschätzte bedeutsame Ursache unserer deutschen Reformschwäche lenken: einen deutschen Sonderweg, den Geschichte und Grundgesetz begründen, eine Aufgabe, die gelöst werden muss -quer zu allen strukturpolitischen Herausforderungen in Sachfragen, sollen sich nicht Regierungen aller Farben immer wieder im Unterholz verheddern wie jetzt gerade wieder bei dem Bündnis für Arbeit.

Die These lautet: Unser hochkomplexes, grundgesetzlich betoniertes, föderativ zerklüftetes politisches System von Check and Balance, Misch- statt Trennsystem in Gesetzgebung, Kompetenzverflechtung, Gemeinschaftsaufgaben, Finanzverteilung enthält deutschen Regierungen Instrumente vor, die sie und ihre Parlamentsmehrheit für

den gordischen Knoten bräuchten,
Instrumente, die anderen europäischen
Regierungen zur Verfügung stehen.

Beispielsweise haben die Niederlande, Dänemark und Schweden, zum Teil trotz eines deutlich stärker zersplitterten Parteiensystems, geschafft, ihren Anpassungsprozess zügig zu beschließen und durchzusetzen. Klaus von Dohnanyi sieht die schwerfällige Konsensmaschinerie als Ursache der deutschen Reformunfähigkeit an œ geradezu von Verfassungs wegen. Fritz Scharpff hat von einer "Verflechtungskrise" gesprochen. Macht- und Effizienzbremse der Deutschen sollte der Bundesstaat des Grundgesetzes nach dem Willen der Alliierten von Anfang an ausdrücklich werden: Nie wieder eine starke zentralstaatliche Exekutive in Deutschland. Aber die Verankerung des deutschen Föderalismus reicht viel länger zurück als 1948/49. Die Tradition liefert den Überbau für viele schöne Scheinargumente, wenn es in Wahrheit um Partikularinteressen geht.

II

Es ist gut zwölf Jahre her, dass ich vor der Freitagsgesellschaft schon einmal über den deutschen Föderalismus vorgetragen habe œ damals über das historisch gewachsene Strukturmerkmal, das unsere gesamte Geschichte durchzieht. Heute Abend geht es nicht um jahrhundertealte Traditionen, sondern um Funktionalität und Zukunft des Föderalismus in Deutschland. Trotzdem einige kurze Striche als Hinweis auf das Beharrungsvermögen der bundesstaatlichen Ordnung in Deutschland. Hätte sich im Mittelalter auch bei uns die Königsmacht gegen Fürsten und Klerus durchgesetzt wie in Frankreich œ ich bin sicher, auch Deutschland wäre heute ein Einheitsstaat. Wir würden diese Tradition glorifizieren wie die Franzosen œ und umgekehrt. Doch ist es so nicht gekommen. Der Reichsfürstenstand umfasste 1180 neunzig geistliche und sechzehn weltliche Fürsten. 1512 der Versuch einer wenigstens administrativen Straffung in zehn Reichskreise durch Maximilian I. Nach dem Westfälischen Frieden 1648 fast 1300 landeshoheitliche Herrschaften. Das alte Reich als Dach nicht mehr wirksam. 1806 am Ende des Heiligen Römischen Reichs noch 294 Reichsstände. Gründung des Deutschen Bundes 1815 (einer Konföderation souveräner Völkerrechtssubjekte) durch 39, später 41 deutsche Staaten. 1866 waren davon noch 34 übrig. 25 gründeten 1871 das kleindeutsche Kaiserreich. 1919 waren es noch 18. Seit 1990 sind es 16. Das einzige Kontinuum ist also der ständige Wandel der Territorien nach Zahl und Größe. Die Tradition des Föderalismus ist historisch tief verankert. Die heutigen Länder weisen mit wenigen Ausnahmen keineswegs eine gleichermaßen historische Identität auf, die meisten sind junge alliierte Kunstprodukte. Im Januar 2003 stieß Wolfgang Schäuble eine Diskussion über die Zahl 8 oder 7 an. Finden Sie die Parallelität nicht faszinierend? 1512 œ letztlich erfolgloser Versuch einer Straffung

auf 10 Reichskreise. 2003 œ folgenloser
Vorstoß einer Straffung auf 8 Länder.
Historische Zufälligkeiten bewirken

Weichenstellungen. Mögen sie auch schwer zu ändern sein, heilig sind sie nicht.

III

Über einen Leisten schlagen kann man die Epochen dieser Zerklüftung und die realpolitische Machtverteilung nicht. Das Pendel schlägt von souveränen deutschen Völkerrechtssubjekten nach dem Wiener Kongress bis zur Gleichschaltung und der Auflösung der Länder 1937. Die Paulskirchen-Verfassung 1849 statuierte einen Bundesstaat, dessen Macht zu einem großen Teil beim Reich hätte liegen sollen: Auswärtiges, Krieg und Frieden, Wehrverfassung, Handel, Verkehr, Zölle, Währung, innerer Reichsfrieden. Das Kaiserreich als ewiger Fürstenbund war nach seiner Verfassung eine föderative Monarchie. Trotz der polyzentrischen innerstaatlichen Balance, trotz einer länderfreundlichen Reichsverfassung war in der Verfassungswirklichkeit ein starker Zug der Zentralisierung bis 1914 wirksam. Viel zentralistischer die Weimarer Reichsverfassung, deren Tendenz Gerhard Anschütz, Kommentator der Verfassung, so ausdrückte: "Die ganze föderalistische Bewegung ist nicht

erfreulich, sondern bedauerlich." Das
Grundgesetz kehrte 1949 nach den
Erfahrungen mit der NS-Diktatur zu der
historischen funktionalen Gewaltenteilung

zwischen Bund und Ländern zurück. Die Länder œ aus der Sicht der Deutschen West (und offenbar auch der Alliierten) und 40 Jahre später ganz genauso aus der Sicht der Deutschen Ost ein vertrautes, sicheres, ungefährliches Fundament deutscher Staatlichkeit.

Geschichte wiederholt sich: Ein Zug schleichender Auszehrung und Verunklarung der föderativen Ordnung kennzeichnet das erste halbe Jahrhundert der Bundesrepublik im Vergleich mit Kraft und Selbstbewusstsein der Ministerpräsidenten, die sich 1949 einen Bund gründeten. Franz Josef Strauß hat aus Anlass des vierzigjährigen Jahrestages der Rittersturz-Konferenz von der ‡Stunde der Ministerpräsidenten— gesprochen und sie alle aufgezählt. Das ist berechtigt, und es wirft zudem ein bezeichnendes Schlaglicht auf den Unterschied zwischen damals und heute. Die deutsche Einheit 1990 ist zweifellos nicht die Stunde der Ministerpräsidenten, sondern die Stunde des Bundeskanzlers gewesen. 1948/49 bildeten die Ministerpräsidenten die erste Garnitur der deutschen Politik, längst saß diese in Bonn, jetzt in Berlin; für die Länder bleibt die zweite, manchmal die dritte. Kein Wunder, dass das Personal zum Teil wurzellos,

sogar zwischen Ländern austauschbar
geworden ist œ gleichsam beförder- und
versetzbar wie ein preußischer

Regierungspräsident. Erinnert das nicht an Verwaltungsföderalismus, aber ohne klare Kompetenzen und Verantwortlichkeiten wie im alten Preußen?

IV

Eine Föderalismus-Reform mit dem Ziel der Verbesserung unserer Effizienz muss also

Antworten auf die Veränderung der Herausforderungen geben. Ich sehe drei, denen sich Deutschland stellen muss:

  • die Globalisierung von Wirtschaft und Information, die das 21. Jahrhundert prägt;

  • den neuen Unilateralismus der USA mit ungenierter Verfolgung ihrer Eigeninteressen, den Fritz Stern erst am 18. November vor dem Übersee-Club kritisch hervorgehoben hat;

  • und die europäische Integration, deren Stand an Kompetenzübertragungen auf die europäische Ebene längst adäquate Rückwirkungen auf die innerstaatliche Kompetenzverteilung in unserer nationalstaatlichen Verfassung hätte haben müssen.

Nabelschau und Scheuklappen taugen angesichts der Internationalität dieser Herausforderungen nicht für eine kritische Durchsicht unserer Verfassung. Ein kurzer Blick auf Föderalismus anderswo kann deshalb nicht schaden.

International sind föderative Antworten auf unterschiedlichste Verschiedenheiten und Gegensätze auf dem Vormarsch. Einerseits ziehen die weltweiten Interdependenzen mit der technologischen Option sowohl von Massenentwicklung, als auch von Massenvernichtung einen Zwang zu größeren Einheiten nach sich: mehr Einfluss auf die globale Agenda, Angleichung von Standards und Chancen. Andererseits wächst der Wunsch nach Identifikation mit überschaubaren, sprachlich, kulturell, historisch homogenen selbstbestimmten Einheiten, in denen die Regierung dem einzelnen noch unmittelbar verantwortlich sein kann. Beides gleichzeitig ist der Zug der Zeit, entspricht den Notwendigkeiten. Folge: Föderative Antworten verschiedenster Ausprägung geraten wieder stärker ins Blickfeld: Föderalismus als Instrument der Kanalisierung zahlreicher regionaler Konflikte, mit denen die Welt es heute zu tun hat: ein flexibles, zu Respekt und fairem Ausgleich fähiges System funktionaler Gewaltenteilung. Verschiedenheiten welcher Art auch immer, verlangen nach Föderalismus. Homogenität erlaubt Zentralismus. Zentralismus trotz Gegensätzlichkeit geht oft einher mit Unterdrückung.

Einen einheitlichen Föderalismus kann es deshalb nicht geben, die Idee differenzierter dezentraler Antworten auf unterschiedliche Gegebenheiten schon. Der Nationalstaat wird gleichzeitig zu klein und zu groß, um dieser doppelten Anforderung seiner Bürger zu entsprechen. Europa liefert Beispiele. Vor diesem Hintergrund bieten differenzierende föderative Ordnungen mit ihren unterschiedlichen Ebenen von Regierung einen Weg, globale and lokale Bürgererwartungen gleichzeitig zu erreichen. Der gleichzeitige Trend von Selbstbehauptungskraft und Wettbewerbs-fähigkeit in globalem Maßstab einerseits und nationaler / regionaler / lokaler Identifikation andererseits wird heute als "glocalization" bezeichnet.

Föderalismus bedeutet funktionale Gewaltenteilung. Sie verläuft horizontal zwischen Zentralstaat und Gliedstaaten. Föderalismus gibt der Identifikation der Bürger mit ihrer Heimat staatliche Gestalt, und zwar zwischen den Polen Einheit und Vielfalt, Nation und Region, »check« und »balance«. Mit dem Wandel der Zeiten und der Herausforderungen ist der Föderalismus einem steten Wandel des Selbstverständnisses, der Aufgaben, der Instrumente und seines Leistungsnachweises unterworfen wie jede Staatsform. Er darf niemals statisch sein, nicht in der institutionellen Wagenburg verharren, sondern muss sich auszeichnen durch spannungsreiche Dynamik. Denn angesichts der Fesseln, die er dem Staat anlegt, anlegen soll, steht seine und dessen Effizienz, die Leistungsbilanz des Gesamtstaats œ Haupt und Glieder œ stets ganz besonders auf dem Prüfstand. Gemessen wird er daran, ob seine Institutionen die Interessen der Bürger effizient zu sichern vermögen und ob die Handlungsfähigkeit, die die Bürger verlangen, gegeben ist. Nur wenig ist von Dauer, wie Willy Brandt gegen Ende seines Lebens gesagt hat.

V

Einheit in Vielfalt in dem durch die Ordnung des Grundgesetzes gesetzten Rahmen - das gelingt in der Bundesrepublik in Wahrheit sehr gut. (Animositäten auf dem Wege der Einheit können als Einwand nicht anerkannt werden,

betrachtet man die großen Schritte seit 1990.) Der Föderalismus durchzieht das Grundgesetz gleich nach dem Grundrechtsteil von vorn bis

hinten -von der Verwaltung über die
Gesetzgebung und Rechtsprechung bis zur
Finanzverfassung.

Art. 20 bezeichnet die Bundesrepublik als Bundesstaat. Art. 23 gewährleistet die Mitwirkung der Länder durch den Bundesrat bei der Entwicklung der Europäischen Union. Art. 29 enthält in seiner veränderten Fassung eine Bestimmung zur Verhinderung von Länderneugliederungen. Art. 30 enthält eine Kompetenzvermutung zugunsten der Länder: "Die Ausübung der staatlichen Befugnisse und die Erfüllung des staatlichen Aufgaben ist Sache der Länder, soweit dieses Grundgesetz keine andere Regelung trifft oder zuläßt." Constitutio facto contraria! Nach Art. 31 bricht Bundesrecht Landesrecht. Die Landesverfassungen als Rechtsquelle gehen jeder Verordnung des Bundes im Range nach. Art. 32 Abs. 3 ermöglicht im Rahmen ihrer Gesetzgebungskompetenz Staatsverträge der Länder mit auswärtigen Staaten. Art. 50 ff. sehen die Mitwirkung der Länder durch den Bundesrat bei den Angelegenheiten des Bundes vor, Art. 53 a Unterrichtung über Planungen für den Verteidigungsfall. Art. 54 sieht die Bundesversammlung vor, die den Bundespräsidenten wählt. Diese beiden Verfassungsorgane sind die beiden einzigen des Gesamtstaates, alle anderen sind entweder solche des Zentralstaates oder der Gliedstaaten. Art. 70 bestimmt das Recht der Länder zur Gesetzgebung, soweit nicht der Bund diese Kompetenz hat. Einfallstor für die Aushöhlung des Föderalismus und Mitursache

der Verflechtung ist die konkurrierende
Gesetzgebung, Art. 72. Der
Bundesgesetzgeber hat in 50 Jahren

flächendeckend von der konkurrierenden Gesetzgebung Gebrauch gemacht und so die Landtage und den kompetitiven Föderalismus ausgehöhlt. Art. 77 regelt das Gesetzgebunsverfahren, und damit die Rechte des Bundesrates und den Vermittlungsausschuss. Art. 83 regelt die Exekutive durch die Länder. Art. 91a und b haben statt des ursprünglichen Wettbewerbsföderalismus, der meist vertikale und horizontale Trennung der Kompetenzen vorsah, Gemeinschaftsaufgaben und Vereinbarungen bei Bildung und Forschung eingeführt. Da können sich schwache Länder und das sind inzwischen 10 bis 12 - mit ihrer Verantwortung bequem hinter der Gemeinschaft verstecken - bei Entscheidung und Finanzierung. Hier ist die "Hängematte" in Deutschland. Art. 93 sieht den Gang der Länder zum Bundesverfassungsgericht vor. Mit Art. 104a ff. sind wir beim Nervus rerum: einer vielfach seit 1949 immer wieder neu geregelten Finanzverfassung, die jedenfalls seit der Finanzverfassungsreform von 1969 die Länder am Goldenen Zügel des Bundes führt und die Eigenstaatlichkeit der Länder, die Kongruenz zwischen Aufgaben und autonomen eigenen Einnahmen zerstört hat.

Nochmals: Die bündische Ordnung durchzieht das gesamte Grundgesetz. Sie gehört zu den Unantastbarkeiten des Art. 79 Abs. 3. Das heißt, nicht einmal einstimmig dürfte der Verfassungsgesetzeber sie in ihrem Wesensgehalt antasten. Unsere Verfassung ist gegenüber den klaren Abgrenzungen von 1949 vielfach verunklart und vermischt worden. Aus dem weitgehenden Trennsystem der beiden Ebenen in der Fassung des Grundgesetzes von 1949 ist durch eine Vielzahl von Änderungen ein schwer unterscheidbarer Verbundföderalismus geworden. Der Verbund gilt für Kompetenzen, Gesetzgebung, Gemeinschaftsaufgaben und ganz besonders für die Finanzverteilung. Durch die Finanzverfassungsreform von 1969 wurde ein nur für Experten durchschaubares Mischsystem eingeführt. In diesem nachträglich geschaffenen Verbund geht es politisch nach dem Motto zu: "Alles hängt mit allem zusammen." (Geflügeltes Wort in Bonn und Berlin, das jedes Junktim ermöglicht und seine Wirkung vor allem im Vermittlungsausschuss entfaltet.)

Alle reden über alles. Alle reden lieber über die großen Dinge, als über kleine Schritte. Niemand hat die Verantwortung. Alle werden für alles verantwortlich gemacht. Begründete Dauerkritik an der Ineffizienz des Föderalismus führt zu Parteienverdrossenheit und schlägt auf die Demokratie durch. M.E. geht es gleichwohl nicht um die Herstellung eines deutschen Zentralstaats unter dem Dach der EU, wenngleich halbherzige, unentschiedene Dezentralisierung wahrscheinlich so zahlreiche Reibungsverluste produziert, dass sie einem Zentralstaat unterlegen ist. M.E. müssen Klarheit und Trennung der Kompetenzen, Ressourcen und Verantwortlichkeiten im deutschen Föderalismus wiederhergestellt werden. Es geht um die Frage, wie eine große Einheit in der heutigen Veränderungsgeschwindigkeit des Wissens und der Technik, bei der heutigen arbeitsteiligen Komplexität ihre Willensbildungsprozesse koordinieren und kontrollieren kann. Dazu brauchen wir Entflechtung und mehr Mut zum Unterschied. Entflechtung bedeutet die Wahrnehmung der Verantwortung für bestimmte Politikfelder nicht mehr gemeinsam von Bund und der Ländergesamtheit, sondern getrennt entweder durch den Bund allein oder durch jedes Land für sich. Das hätte naturgemäß erhebliche Auswirkungen auf Gesetzgebung und Ressourcen. Dann kehren auch Effizienz und Reformfähigkeit bald zurück.

VI

Sofort nach der Einheit, im Dezember 1990, bekannte die erste gemeinsame Konferenz der Ministerpräsidenten aus nun wieder 16 freien deutschen Ländern:

"Der Umbruch in Deutschland und Europa macht eine Fortentwicklung der föderativen Grundentscheidungen des Grundgesetzes notwendig.—

Das klang besser als es war, denn in der Gemeinsamen Verfassungskommission wollte anschließend niemand "B" sagen.

Dieser Münchner Erklärung zufolge bieten die Architekturprinzipien des Förderalismus "die beste Gewähr dafür, die Probleme der modernen Industriegesellschaften nicht nur im vereinigten Deutschland, sondern auch im sich einigenden Europa zu lösen." Ja, aber dann müssen die Architekturprinzipien auch beachtet werden.

Die Themen einer Fortentwicklung der
föderativen Grundentscheidungen des
Grundgesetzes müssen sein:
  1. Gesetzgebung -Kompetenzkatalog, Verfahren, Organe.

  2. Der Bundesrat im Gesetzgebungsverfahren

- gleichzeitig Mittäter und Opfer der Parteiendemokratie.

  1. Finanzverfassung einschließlich der dazu ergangenen gesetzlichen Regelungen.

  2. Länderneugliederung, erst Kriterien und Voraussetzungen, dann Zahl und Grenzen.

Wer demokratisch legitimiert wird und Verantwortung tragen soll, muss in seinem Verantwortungsbereich entscheiden und kongruent über die erforderlichen Ressourcen bestimmen können, muss dann aber auch die

Folgen selbst ausbaden.
Ergebnisverantwortung als Prinzip der
Organisationsoptimierung in der Wirtschaft

eignet sich auch als Leitschnur einer Organisationsreform im Bundesstaat.

VII

Erstens die Gesetzgebung.

Ein Subordinationsverhältnis zwischen den Parlamenten von Bund und Ländern kennt das Grundgesetz nicht. Der Deutsche Bundestag ist nicht das Oberparlament, die Landtage nicht Unterparlamente. Sondern beide stehen nach Maßgabe des Kompetenzkatalogs nebeneinander. Tatsächlich aber ist die Gesetzgebung durch die Verfassungsentwicklung der zurückliegenden 50 Jahre zur Domäne des Bundes geworden. Die Länder praktizieren weitgehend "Vollzugsföderalismus". Für diese Entwicklung waren folgende Faktoren bestimmend:

-Der Bund hat von seinen Zuständigkeiten einen umfassenden Gebrauch gemacht und sie in der Regel voll ausgeschöpft. So sind die Gesetzgebung der Landtage und der Normenwettbewerb zwischen den Ländern um die bessere Lösung, den das Grundgesetz ursprünglich wollte, verdorrt.

Kehrseite und Gegenleistung war die immer weiter um sich greifende kompensatorische Mitwirkung der Länder, und zwar der Landesregierungen, über den Bundesrat an der Gesetzgebung des Bundes. Infolge der Ausführung der Bundesgesetze in Länderverwaltung sind entgegen den ursprünglichen Erwartungen nicht 30, sondern etwa 60% der Bundesgesetze zustimmungspflichtig - hier fängt die Lähmung an.

-Die als Schutz für die Länderparlamente gedachte Bedürfnisklausel des Artikels 72 a.F. war praktisch wirkungslos geworden. Das Vorliegen eines solchen Bedürfnisses sei - so hat das Bundesverfassungsgericht schon 1953 in einer weitreichenden Fehleinschätzung entschieden - eine Angelegenheit des gesetzgeberischen Ermessens. Die konkurrierende wurde ausgeübt wie die ausschließliche Gesetzgebungskompetenz des Bundes. Diese Weichenstellung hat der Verfassunggeber 1994 mit der Einführung der Erforderlichkeitsklausel in Art. 72 II und ihrer Justitiabilität in Art. 93 I Nr. 2 a korrigieren wollen. Das Bundesverfassungsgericht hat diese Entwicklung gerade akribisch nachgezeichnet (NJW 2003,41,50 ff) und wie folgt zusammengefasst:

"In der Grundgesetzänderung kann eine klare Anweisung des verfassungändernden Gesetzgebers an das BVerfG gesehen werden, seine bisherige, als korrekturbedürftig bewertete Rechtsprechung zu ändern."

Die gesetzliche Schlagseite aus 50 Jahren -und als Kehrseite die umfassende Mitwirkung der Landesregierungen bei der Bundesgesetzgebung -ist aber da. Die Auszehrung des kompetitiven Föderalismus ist vollendete Tatsache. Politische Folge: Wer zu Hause nichts mehr zu gestalten hat, den zieht es magisch auf die Felder der Welt-, der Europa- und der Bundespolitik. Wenigstens da wollen alle wichtig sein. Schon sind wir bei Vermischung, unklarer Verantwortung und dem Risiko der Blockade. Der Schritt von 1994 reichte zur Reparatur nicht aus. Eine sachgerechte Aufgabenverteilung zwischen Bund und Ländern für die Gesetzgebung und die Wiedereinsetzung der Eigenverantwortung beider Ebenen muss ein Hauptziel einer Effizienzreform des Grundgesetzes sein. Der Kompetenzkatalog zwischen Bund und

Ländern muß in seiner Gesamtheit
durchgesehen und sachgerecht entflochten
werden.

Auch die Neuabstimmung der nationalstaatlichen Kompetenzverteilung auf die inzwischen europäischen Kompetenzen ist überfällig. Zwei Beispiele: Können sechzehn Landesregierungen das nationale deutsche Kulturerbe, Sprache, Bildung, Forschung, wirklich mit Aussicht auf Erfolg gegenüber den Institutionen der Europäischen Union wahren, ausbauen, notfals verteidigen? Oder muss man endlich ehrlich sein und einräumen: Im Hinblick auf die Vielfalt der europäischen Kulturen und die globale Wissenskonkurrenz des 21. Jahrhunderts kann das nur noch der deutsche Nationalstaat leisten! Natürlich ein Sakrileg, eine Revolution. Ein umgekehrtes Beispiel: Wirtschaftsordnung ist heute nicht Berlin, sondern Brüssel. Wozu brauchen die Wirtschafts- und Verkehrsminister der Länder, die sich mit regionalen Auswirkungen der europäischen Rahmenbedingungen auseinandersetzen müssen - die können in Bayern und Niedersachsen ganz verschienen sein und vor allem Interessenkonflikte zwischen Ländern nach sich ziehen - die Mediatisierung oder die Schiedsrichterrolle des zuständigen Bundesministers, der mit der Wirtschaftsordnung gar nichts mehr zu tun hat? Neuabstimmung muss keine Einbahnstraße sein.

Hinzu kommen sollte der tatsächliche Rückbau der flächendeckend ausgeübten konkurrierenden Gesetzgebung des Bundes, die Wiedereinsetzung des Landesgesetzgebers anhand eines den Namen verdienenden enumerativen Katalogs ausschließlicher Gesetzgebung der Länder. Zuständigkeiten können zurückübertragen werden, wenn sie von den Ländern wirksam erfüllt werden können, wenn der föderative Wettbewerb gestärkt und die Gleichwertigkeit der Lebensbedingungen nicht gefährdet wird. Die Bertelsmann-Kommission zur Entflechtung hat außerdem Konkurrierende Ländergesetze mit Widerspruchsrecht des Bundes vorgeschlagen. Experimentierfreudige Landtage können bei Erfolg die Innovationskraft des ganzen Landes verbessern; bei Mißerfolg ist der Schaden begrenzt und muss selbst ausgelöffelt werden. Wettbewerb.

VIII

In der föderativen Struktur des Grundgesetzes und der Reformschwäche der Gesetzgebung kommt dem Bundesrat eine Schlüsselposition zu. Um seine Struktur, Zusammensetzung und Aufgabenstellung wurde im Parlamentarischen Rat seinerzeit besonders lange gerungen: Senatslösung wie in den USA versus Bundesratsmodell. Der Bundesrat als ein "Parlament der Regierungen" hat am Bedeutungsgewinn der Exekutive und des Bundes partizipiert. Die Auszehrung der Landesgesetzgebung und damit des Wettbewerbsföderalismus, der Eigenverantwortung und des Ansporns geht einher mit einer weiteren negativen Kehrseite, der umfassenden Mitwirkung der Ländergesamtheit, nämlich aller Landesregierungen an der Bundespolitik. Zwar ist der Einfluß der Parteien auf den Bundesrat im alltäglichen Regelfall deutlich geringer als auf den Bundestag. Dies hat sich oft als versachlichende Brücke erwiesen. Im Alltag zählen nicht Parteiprogramme, sondern regionale Eigeninteressen. In allen Fällen öffentlicher parteipolitischer Kontroversen allerdings nehmen alle Zentralen ihre Ministerpräsidenten im Bundesrat als Geisel -lähmende Wirkung des Verbundföderalismus im Zeichen ausufernder Parteiendemokratie. Das Grundgesetz sieht bei einer Fülle von Gegenständen der Gesetzgebung entweder ein Einspruchsrecht des Bundesrates oder seine Zustimmung vor. Alle Zustimmungsgesetze bedürfen der absoluten Mehrheit von 35 Stimmen. Enthaltungen wirken deshalb wie Gegenstimmen. Keine 35 Stimmen, und das gesamte Gesetz ist hin oder kommt am Ende unkenntlich aus dem Vermittlungsverfahren heraus. Regierungs-wie Oppositionsparteien bemühen sich deshalb, das Verhalten ‡ihrer— Landesminister und der jeweiligen Landesregierungen im Bundesrat zu koordinieren. Jede Bundesregierung hat es deshalb schwer, im Bundesrat eine berechenbare Mehrheit zustande zu bringen. Nicht immer beruhen Kompromisse nur auf sachgerechten Erwägungen, oft sind sie gut gepolstert, kommen einigen zugute und alle teuer zu stehen. Große Konsensrunden erbringen oft kleine, teure Ergebnisse. Großer Dissens erzwingt parteipolitische Blockade -wenn auch mit schlechtem Gewissen. Dagegen gibt es taugliche Mittel. Die Gesetzgebung sollte Zug um Zug mit der obengenannten Neuabstimmung der Kompetenzverteilung auch im Gesetzgebungsverfahren entflochten werden - durch deutliche Reduzierung der Zustimmungsfälle und nicht zuletzt durch die Beschränkung der Auswirkungen einer Versagung der Zustimmung auf diejenigen Regelungsteile, die die Zustimmungspflicht auslösen. Schließlich muss es ein Ende haben, dass sich Enthaltungen als NEIN auswirken. Damit die Bundesebene, wenn ihr die Kompetenz zukommt, ihre Gestaltungsvorstellungen realisieren und allein verantworten kann.

Wenn es eine Reformdebatte um den Bundesrat selbst gibt, hielte ich für falsch, den Parteiendruck auszusparen, der von den Bundestagsfraktionen und Parteizentralen ausgeht. Unsere Demokratie darf nicht immer wegschauen, wenn auf offener Bühne das freie Mandat oder die landespolitische Legitimation einer Regierung an die Partei-Kandare genommen wird. Grundgesetz, Wahlrecht und Parteienrecht müssen dem bestehenden innerparteilichen Nominierungsmonopol kleiner einflußreicher Funktionärsgruppen hinter den Kulissen entgegentreten. Denn davon gehen Anpassungsdruck und Disziplinierung aus. Der Diskussion um die Wahl der Bundesratsmitglieder durch die Landtage stehe ich ablehnend gegenüber. Wenn es um die Wahl von lediglich drei bis sechs Menschen eines Landes in den Bundesrat geht, dann doch gleich durch die Bürger selbst. Und dann sind wir beim amerikanischen Senat. Den Vorschlag Bundeskanzler Schröders, die Wahltermine zusammenzulegen, sehe ich nicht als realisierbar an. Keinem Landtag kann man das Recht zur Selbstauflösung abschneiden, wenn die Landespolitik keinen anderen Ausweg kennt. Die Wahltermine würden bald wieder auseinander fallen. Nein, die Bundestagsparteien machen Landtags- und Kommunalwahlkämpfe selbst zum Test für die Bundespolitik - und beklagen sich hinterher über mangelnde Rückenfreiheit durch zu viele Wahlen. Überlegenswert ist jedoch in bestimmten Grenzen die Flexibilisierung der Wahlperioden. Dann kommt es von selbst zu Mehrfachwahlen am selben Tag -schon wegen des gemeinsamen Interesses aller Länder an höherer Mobilisierung und Wahlbeteiligung.

IX

Ein besonders schwieriges Kapitel einer Verfassungsreform wird die Änderung der Finanzverfassung sein, die zum Kern der bundesstaatlichen Ordnung gehört, aber besonders schwer zu reformieren ist. Denn beim Geld hört bekanntlich nicht nur die Freundschaft, sondern auch schon mal die Bundestreue und die Parteifarbe auf.

Die Mitfinanzierung von Länderaufgaben durch den Bund selbst im westlichen Bundesgebiet, die Gemeinschaftsaufgaben, Investitionshilfen, Ergänzungszuweisungen des Bundes, Sonderergänzungzuweisungen, durch das BVerfG vorgeschriebene weitere Zuweisungen wegen extremer Haushaltsnotlage an das Saarland und Bremen bis 2004 heben in der Regel jeden Anreizes der Länder zur Selbsthilfe auf. Verzerrung kraft Gesetzes. Jede Ebene benötigt eine aufgabenkongruente eigene Finanzausstattung, die sie aus der Abhängigkeit und Anonymität der Mischsysteme, aus der Abhängigkeit intransparenter Verteilungsverhandlungen und verdeckter Geschäfte zu Lasten Dritter hinter den Kulissen befreit. Diese Forderung darf nicht mißverstanden werden: Armut kommt von der Poverte. Ist die Decke überall zu kurz, bleibt das auch bei Einnahmeautonomie und Trennsystem so. Die Finanzbeziehungen in allen Stufen sind aber vom Prüfstein des "kooperativen Föderalismus" zu einem Stein des Anstoßes geworden, wie Normenkontrollverfahren in Karlsruhe immer wieder zeigen. Länder und Gemeinden haben keine nennenswerten autonomen Einnahmen mehr. Außerdem hat der Bund auf der Aufgabenseite oftmals Gesetze erlassen, deren Ausführung die Länder und Gemeinden Geld kostet - Gesetzgebung zu Lasten Dritter, ungesund. Stark betroffen sind dadurch die Gemeinden. Sie sind es ja, in denen das Leben der Bürger stattfindet. Und sie sind stets die letzten, die die Hunde beißen -der Bundesund ihr jeweiliger Landesgesetzgeber. Konnexität zwischen Aufgaben, Ausgaben und Einnahmen auf der Gemeindeebene entspricht der Forderung nach eigenstaatlichen Einnahmen der beiden staatlichen Ebenen. Einkommensteuer, Körperschaftsteuer, Umsatzsteuer als größte Einnahmeträger, alle diese Steuerarten sind Gemeinschaftssteuern von Bund und Ländern, fließen in einen Topf und müssen hinterher zerlegt und verteilt werden. Leise bilaterale Sonderkontakte sind die Regel, divide et impera. Der Bundesfinanzminister bemüht sich um ein Mehrheitspaket, so billig wie möglich.Gemeinschaftssteuern, Gemeinschaftsaufgaben, Gemeinschaftsgesetzgebung, das widerspricht transparenter demokratischer Verantwortung, es widerspricht jedem Leistungsanreiz, es muss geändert werden.

Einige wenige Zahlen zu den Auswirkungen des Mischsystems im Westen unmittelbar vor der Einheit und für Hamburg im Haushaltsjahr 2001, dessen Abschluss vorliegt. Bezogen auf das jeweilige örtliche Gemeinschaftssteueraufkommen 1989 gleich 100 verblieben den Ländern 1989 zwischen 85,8 % (Schleswig-Holstein) und 47,8 (Baden œ Württemberg). Zwei Stadtstaaten fallen aus dem Rahmen: Hamburg verblieben unmittelbar vor der Einheit 30,3 %, West-Berlin "verblieben" 257,6%. Im horizontalen Länderfinanzausgleich liegen Hamburgs Leistungen seit 1970 pro Kopf vor Baden-Württemberg, weit vor Nordrhein-Westfalen, Bayern sowieso, nur hinter Hessen. Für eine Remedur geht es aber entgegen verbreiteter Auffassung gar nicht in erster Linie um den horizontalen Länderfinanzausgleich und also auch nicht um die darauf beschränkte sog. Einwohnerwertung. Sondern schon vertikal ist das System nicht in Ordnung, da fängt die Verzerrung an. Die Verteilung des stärksten Steuerträgers, der Umsatzsteuer erfolgt ohne jede Rücksicht auf das Kriterium der örtlichen Entstehung, also ohne jede Rücksicht auf die örtliche Wirtschaftsleistung. Die Lohnsteuerzerlegung führt dazu, dass jeder Pendler 100% seiner Lohnsteuer mitnimmt in seine Umlandgemeinde. Für die Arbeitsstätte mit ihren in der Regel hohen Infrastrukturkosten bleiben null Prozent - eine klare Bestrafung wirtschaftlicher Leistungsstärke. Gleichzeitig wundern wir uns über zu geringe Impulse für Investition, Innovation und Beschäftigung.

Wie sieht die Situation nach den Feststellungen der Finanzbehörde per Abschluss 2001 aus ? Die Bürger und Betriebe Hamburgs entrichteten 2001 insgesamt 38,1 Mrd. Euro Steuern -alle Steuerarten. Eine ungeheuer hohe pro Kopf-Leistung, durch die die Hamburger Steuerzahler großes Gewicht für das deutsche Steueraufkommen haben. Politisches Gewicht wird ihnen im Verhältnis dazu nicht zugebilligt. 38, 1 Mrd. An den Bund flossen davon 26,2 Mrd Euro. An die übrigen Länder 5,1 Mrd. Für den Hamburger Haushalt verblieben 6,3 Mrd Euro. Selbst beschränkt auf die Gemeinschaftssteuern, die 19,75 Mrd. Euro ausmachten, sind 6,3 Mrd ein konfiskatorisches Ergebnis, weniger als ein Drittel, mit großem Abstand eine singuläre Sonderstellung unter allen westlichen Ländern. Die Vertretbarkeit der Folgen muss man nicht lediglich an föderativen Verfassungsregeln messen, sondern die endlich auch an den Grundrechten der betroffenen Bürger - der steuerzahlenden wie der staatliche und kommunale Dienstleistungen nachfragenden Bürger Hamburgs. In beiden Eigenschaften sind sie Grundrechtsträger. Bei gleichem Sachverhalt (prosperierende Millionenstadt) werden Münchner und Kölner - nach kommunalem Finanzausgleich ihres Flächenlandes - weniger gemolken als Hamburger, bekommen aber mehr oder bessere Dienstleistung heraus, werden also ungleich behandelt. Nur eine Zahl noch: Hamburgs Anteil an dem bundesweiten Zerlegungsvorlumen für Lohn-, Zinsabschlagund Körperschaftssteuer belief sich auf 34%. Aber wir machen nur 2% der Bevölkerung aus. Etwas ist faul im Bundesstaate Deutschland.

Dass sich eine solche Schieflage der Finanzverteilung gegen die Mehrheit der begünstigten Nehmer schwerlich ändern lässt, liegt auf der Hand, seit der Einheit erst recht. Der dem BVerfG in seiner Not außerhalb des Grundgesetzes eingefallene Lösungsversuch œ Bundesrat voraus œ also eine Nehmermehrheit. Ratlosigkeit Karlsruhe, in Gesetzeskraft erwachsen. In dem Regelwerk des Grundgesetzes fehlt eine salvatorische Generalklausel, die im Hinblick auf das Nivellierungsverbot des BVerfG eine Untergrenze definiert. Sie könnte etwa lauten:

die neue Normebene eines sog.
Maßstäbegesetzes œ ist einerseits der
Regelungsqualität nach materielles
Verfassungsrecht, formell jedoch nur
Gesetzesrecht. Es setzt die einfache
Gesetzgebungsmehrheit in Bundestag und

»Der einem jedem Land nach Durchführung aller Stufen der Zerlegung, Verteilung und Ausgleiche gem. Art. 106 und 107 verbleibende Anteil an seinem örtlichen Gemeinschaftssteueraufkommen darf X Prozent nicht unterschreiten.« Natürlich darf erst recht die Rangfolge der Länder netto nicht plötzlich anders sein als brutto. So würden das Gebot der Schaffung gleichwertiger Lebensverhältnisse und das Verbot der Nivellierung von Leistungsunterschieden verfassungsgemäß endlich unter einen Hut gebracht. Ich spreche mich also, wenn alle Reformbemühungen ausgehen, wie das Hornburger Schießen, als ultima ratio für die Einführung einer abstrakt-generellen Untergrenze des einem Land verbleibenden Anteils des örtlichen Gemeinschaftssteueraufkommens aus. Klar, daß die Beteiligten sich nicht auf einen VomHundert-Satz einigen können. Mit Hilfe der Verfassungsnotwendigkeit, begründete Maßstäbe zu entwickeln, müßte jetzt eine Annäherung leichter geworden sein. Plausibel wäre ein Satz, der sich nicht zu weit von dem Halbteilungsgrundsatz entfernt, also 50 plus minus X. Wer deutlich mehr als die Hälfte der Früchte seiner Wirtschaftskraft abgeben muss, verliert die Lust an Arbeit und Erfolg und legt sich auf die Bärenhaut. Das schadet auf lange Sicht allen am meisten. Die Folgen lassen sich in Deutschland feststellen.

Wir brauchen den Mut zu einer deutlicheren wirtschaftskraftbezogenen Spreizung der verbleibenden Einnahmen. Allein quantitative Kriterien zur Messung der Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse führen als Einwand in die Irre. Einerseits bestehen auch im Westen seit alters her große Unterschiede, etwa zwischen dem Raum München und dem bayerischen Wald, Hannover und Ostfriesland, Hamburg und der schleswig-holsteinischen Westküste. Und andererseits hat eine vergleichende Untersuchung Miegels über Ostfriesland und den mittleren Neckarraum schon vor langer Zeit frappierende Ergebnisse über Quantität und Qualität des Lebensstandards und der Zufriedenheit festgestellt.

Aus meiner Sicht müsste insgesamt ein entscheidender Schritt in Richtung einer Wiederherstellung der Einnahmeautonomie der Ebenen getan werden - mehr Trenn-, als Mischsystem. Lösungen wären denkbar durch mehr eigene Steuerquellen jedes Landes, Reduzierung der Gemeinschaftssteuern, sachgerechte Zerlegungskriterien und stärker wirtschaftskraftbezogene Kriterien der Umsatzsteuerverteilung. Im Westen könnten so Gemeinschaftsaufgaben, Investitionshilfen, Ergänzungszuweisungen des Bundes weitgehend entfallen. Es liegt auf der Hand, dass diejenigen, die sich an den Goldenen Zügel des Bundes gewöhnt haben, solche Überlegungen als existenzbedrohlich ansehen und in jeder Weise bekämpfen. Für die Finanzierung der Landes-und Gemeindeaufgaben Ost hingegen wird man sicherlich noch auf weitere 20 Jahre eine solidarische Sonderregelung benötigen. Jedoch sollte sie als befristete Ausnahme gekennzeichnet und nicht in das generelle Regelwerk integriert werden.

X

Der Zusammenhang von eigenstaatlicher

Finanzausstattung und objektiver oder
subjektiver Existenzbedrohung zieht
zwangsläufig die Frage der

Länderneugliederung nach sich. Es muss aber um eine Diskussion gehen, die nicht schlau auf partikulare Mitnahmeeffekte angelegt ist. Auch nicht schnurstracks auf Vergrößerung von Gliedstaaten als Selbstzweck. (1871 umfasste Preußen 65 Prozent des Kaiserreichs und 62 Prozent der Bevölkerung.) Größe muss nicht gleich Stärke sein. Es darf allein um sachgerechte Kriterien zur Verbesserung der Funktionsfähigkeit des Gesamtstaats, Zentrale und Gliedstaaten, gehen. Wollen wir wettbewerbsfähiger werden oder nicht? Wollen wir Deutsche mit unseren vielen Nachbarn europäisch wettbewerbsfähige Regionen haben oder nicht? Das Grundgesetz bietet keine Grundlage für solche Strategien. Aus der Muss-Vorschrift des Artikels 29 zur Länderneugliederung wurde 1976 durch Verfassungsänderung eine bloße Kann-Bestimmung. Damals war bereits klar: Das Grundgesetz lässt sich leichter ändern als die Ländergrenzen. Dem Zusammenschluss der länder Baden, Württemberg-Baden und Württemberg-Hohenzollern lag eine Sonderbestimmung zugrunde: Art. 118. Inzwischen wollen die Länder ihre Kirchtürme längst alle behalten, besonders Bremen. Ausnahme Berlin und Brandenburg, die für 2009 einen zweiten Anlauf versuchen, aber beide an Krücken. Der Bundesrat hat 1990 auf bremische Anregung in einer Entschließung festgelegt: Niemals! Ich habe damals widersprochen: "Heute ist nicht der Tag, die Frage nach der europäischen Perspektive der Zahl 16 aufzuwerfen. Wenn die Grundlagen für die Selbstbehauptung der Länder gefestigt sind, dann wird diese Frage neu gestellt werden. Dessen bin ich sicher."

Wir brauchen eine Neufassung des Artikels 29, die eine Neugliederung anhand sachgerechter ökonomischer, infrastruktureller und historisch-kultureller Kriterien durch berechenbare demokratische Verfahren zulässt, ohne dass traditionsreiche Einheiten unter die Räuber fallen. Bürgerzustimmung braucht man heute dazu. Auch freiwillige bilaterale Zusammenschlüsse sollten möglich werden. Vorbild könnte die Fassung des Grundgesetzes von 1949 sein. Damals hieß es:

Das Bundesgebiet ist unter Berücksichtigung der landsmannschaftlichen Verbundenheit, der geschichtlichen und kulturellen Zusammenhänge, der wirtschaftlichen Zweckmäßigkeit und des sozialen Gefüges durch Bundesgesetz neu zu ordnen. Die Neugliederung soll Länder schaffen, die nach

Größe und Leistungsfähigkei die ihnen
obliegenden Aufgaben wirksam erfüllen
können.

Oder der Wortlaut der Weimarer Reichsverfassung, Art. 18:

Die Gliederung des Reichs in Länder soll unter möglichster Berücksichtigung des Willens der beteiligten Bevölkerung der wirtschaftlichen und kulturellen Höchstleistung des Volkes dienen. Die Änderung des Gebiets von Ländern und die Neubildung von Ländern innerhalb des Reichs erfolgen durch verfassungsänderndes Reichsgesetz.

Dahinter bleibt die Verhinderungsfassung des Art. 29 heute weit zurück. Das Grundgesetz sollte ferner nicht als Hindernis gegen institutionalisierte Zusammenarbeit von Ländern - sektoral oder regional -wirken können. Stichwort: Verfassungswidrigkeit einer dritten Ebene.

Ergebnis: Verfassungsänderung anhand Weimarer und Bonner Kriterien mit demokratisch berechenbaren Verfahren. Denn Schutz gegen Kannibalismus aufgrund von Interessen statt Sachgerechtigkeit braucht man auch.

Allein Art. 29 Abs. 4 GG sieht einen - übrigens den einzigen - Fall eines Volksbegehrens vor. Seine Wirkung beschränkt sich aber auf durch Landesgrenzen zerschnittete Teile eines einheitlichen Wohnungs- und Siedlungsraums, Beispiel: Mainz-Kastell auf der Wiesbadener Seite - oder Groß-Hamburg. Zehn Prozent der zum Bundestag Wahlberechtigten können den Zusammenschluss ihres Raums unter eine Landeszugehörigkeit verlangen. Der Bundestag muss binnen zweier Jahre durch Gesetz entscheiden. Aber danach müssen alle beteiligten Bevölkerungsteile dem Bundestag durch Volksabstimmung zustimmen - eine Verhinderungsregelung, denn welches Parlament begibt sich schon in Gefahr, um darin umzukommen. (Trotzdem wäre es spannend zu sehen, was passiert, wenn sich die Freitagsgesellschaft mit ihrer publizistischen Durchlagskraft an die Spitze einer solchen Initiative zwischen Wedel, Pinneberg und Ahrensburg, Buxtehude und Buchholz setzte).

Als kleinen Exkurs buchstabieren wir einmal durch, was aus Bremen und was aus Hamburg würde, gingen sie in ihrer Nachbarschaft auf. Bremen würde kreisfreie niedersächsische Stadt. Bremerhaven mit der Kolumbuskaje würde niedersächsische Stadt. Die bremischen Häfen fielen an Niedersachsen. Hannover bliebe Hauptstadt. Finis Bremensis, eine Horrorvorstellung für die stolzen Hanseaten an der Weser. Ich verstehe ihre Lage, und also ihre Haltung - jedenfalls bis zur Zahlungsunfähigkeit.

In Hamburg war Sichtweise und Historie stets unverkrampfter. Hamburg hat in dieser Sache bereits vier Verfassungsgerichtsprozesse geführt, allerdings nicht in Karlsruhe, sondern in Wetzlar -die sog. Immedietätsprozesse vor dem Reichskammergericht während des Heiligen Römischen Reichs. Die maßgebliche hamburgische Leitschnur war pragmatischpfeffersäckisch: Wo liegt unser Vorteil.

Erstritten wird, was nützlich ist. Drei Mal war das die Reichsunmittelbarkeit, Freiheit von den umliegenden Landesherren, klares Partikularinteresse. Aber ein Mal war es auch das Gegenteil, der Versuch, die Reichslasten los zu werden. Sehen wir die Sache ähnlich nüchtern, ergibt sich für Hamburg heute ein völlig anderes Bild als im Falle Bremens. Das ganze Hamburg hat 3 bis 3,5 Millionen Einwohner, das politische nur die Hälfte. Die Umland-Hamburger nehmen einen Zerlegungssaldo von 1,5 Mrd Euro jährlich mit. Die Mühseligen und Beladenen der kleinen und mittleren norddeutschen Städte und Gemeinden suchen die Anonymität Hamburgs und beziehen Sozialhilfe in der Regel nicht in ihrer Kleinstadt, sondern gehen da hin, wo sie keiner kennt. An beiden Faktoren gehen wir kaputt. Hinzu kommt die Verzerrung der langfristigen Siedlungsentwicklung durch die Auswirkungen politischer Grenzen. Das Umland hat bei den Arbeitsplätzen deshalb so zugelegt, weil viele Hamburger Unternehmen attraktiven Ansiedlungsangeboten der Umlandkommunen gefolgt sind. Das funktioniert natürlich nur deshalb, weil diese Kommunen im Windschatten Hamburgs mit seiner großen Wirtschaftskraft und seiner metropolen Infrastruktur segeln. Überholte Ländergrenzen und eine fehlende nationale Großstadtpolitik machen es so gut wie unmöglich, diese sogenannte Suburbanisierung auszugleichen. Kooperation "als ob" ist demgegenüber ein

schönes Wort. Selbst beste Absichten
scheitern an den nicht zur Disposition
bilateraler Vereinbarungen stehenden

finanziellen Verteilungsregeln. Schon der legendäre Oberbaudirektor Fritz Schumacher stellte 1932 fest:

"Für das Planen mag ein Zustand, als ob keine Grenzen vorhanden sind, genügen. Sobald beim Ausführen finanzielle Fragen in Betracht kommen, bleibt jede Grenze das, was sie immer war, eine Macht, die in wirklich schwierigen Fällen das Vorzeichen des Interesses umkehrt. Dagegen ist kein guter Wille und keine Erkenntnis."

Deshalb Neugliederung. Anders als Bremen behielte Hamburg seine Häfen, bliebe das einzige Oberzentrum, würde unweigerlich -jedenfalls wenn es ehrlich zugeht und die Argumente in der Sache Berlin/Bonn ernst gemeint waren - Hauptstadt Norddeutschlands. Hamburg käme also nicht in die Lage Bremens, sondern Münchens. Die Kraft der Fläche stünde hinter der Metropole; die Hauptstadt als Lokomotive zöge das ganze Land. Unverzichtbare Voraussetzungen gibt es aber: Die Finanzverfassung und die entsprechenden Gesetze müßten sicherstellen, daß der Schuß nicht nach hinten losgeht. Das ist gegenwärtig nicht sichergestellt, wie ich aus der geschichtslosen internen Diskussion um Berlin-Brandenburg, erster Versuch, noch sehr genau erinnere. Und es dürfte nicht lediglich das Territorium sein, das die Nordelbische Kirche zusammengefügt hat, denn deren Zusammenschluss und heutigen Zustand kann man wohl nur eingeschränkt als gelungen ansehen. Damit die Balance zwischen den zusammenwachsenden Teilen stimmt, müßten -anhand der örtlichen Ausrichtung von Lebensgewohnheiten und Arbeitsstätten -die Unterelbe-Region von unserem alten Amt Ritzebüttel über Stade bis Lüneburg, also die nördliche Lüneburger Heide dazukommen, soweit sie nicht auf Hannover, sondern auf Hamburg ausgerichtet ist, Schleswig-Holstein, Mecklenburg, wohl auch die West-Prignitz aus Brandenburg - falls die Bürger sich damit identifizieren mögen. Ohne Identifikation geht es nicht.

Bundesweit kann Länderneugliederung nur ohne partikulare Vorbedingungen gehen. Alle öffentlichen Vorschläge im Januar 2003, die Bayern, Baden-Württemberg, Hessen und Nordrhein - Westfallen mit ihren heutigen Grenzen von vornherein ausklammern, sehe ich sachwidrigen Versuch von Mitnahmeeffekten an. Es kann nur um europäisch wettbewerbsfähige Regionen gehen, mit natürlicher Wechselbeziehung zwischen Metropolkern und darauf ausgerichteter Fläche, kritisch überprüft anhand der landsmannschaftlichen Traditionen. Geht man so vor, ergäben sich sehr wohl auch Auswirkungen auf die vier genannten Flächenländer.

Schluss

Der deutsche Föderalismus steht vor einer Reform an Haupt und Gliedern, soll die Reformschwäche Deutschlands überwunden werden. Gemessen wird er daran, ob seine Institutionen die Interessen der Bürger effizient zu sichern vermögen und ob die Handlungsfähigkeit, die die Bürger verlangen, gegeben ist. Staatsaufbau und Staatsorganisation mögen langweilig erscheinen. Tatsächlich sind sie hochwichtig. Ihre Wirkungsweise kann über Wohl und Wehe eines Gemeinwesens entscheiden. Es geht nicht um die Einführung des Einheitsstaates. Der Föderalismus ist eigentlich sehr geeignet zur flexiblen Bewältigung komplexer werdender globaler Herausforderungen. Eine flache Hierarchie mit Ergebnisverantwortung der problemnächsten Ebene ist lernfähig-in Staat und Wirtschaft. Sie eignet sich besser, schnell und lösungsorientiert zu reagieren. Allerdings -ihre Regelwerke müssen stimmen.

Mit einer solchen Reform an Haupt und
Gliedern können wir uns international
behaupten.