Rede vor der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik am
Die außenpolitische Rolle der Länder als Gegenstand des Interesses der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik ist ein denkwürdiges Ereignis, mit anderen Worten: Balsam für das föderalistische Bundesverständnis der Länder, aber auch Balsam für das staatliche, das eigenstaatliche Selbstverständnis der Länder auf einem Felde, auf dem unsere bundesstaatlichen Strukturprobleme - diejenigen des Grundgesetzes, wie die der Verfassungswirklichkeit - besonders selten gründlich diskutiert werden. Der außenpolitische Alleinvertretretungsanspruch des Zentralstaats - ein Begriff, den ich in diesen Zusammenhang passender als den des "Bundes" - zeigt besonders auffällig den Verlust an echter Gleichordnung von Zentralstaat und Gliedstaaten. Der außenpolitische A1leinvertretungsanspruch des Zentralstaats ist ein steter Stachel im Selbstverständnis der Gliedstaaten, von manchen gelegentlich mit zusammengebissenen Zähnen als wirklich bitter empfunden. Und dieser Alleinvertretungsanspruch entspricht angesichts der zunehmenden Unschärfe der Abgrenzung zwischen Außen- und Innenpolitik vor allem in Europa nur noch begrenzt dem Geist unserer bundesstaatlichen Ordnung von 1949.
Daß die Gliedstaaten in Deutschland von der außenpolitischen Vertretung ihrer Interessen abgeschnitten sind, geht erst auf die Weimarer Reichsverfassung zurück. Der ewige Fürstenbund, als der sich Deutschland 1871 konstituierte, also das zweite Reich, sah hingegen durchaus außenpolitische Vertretung der Gliedstaaten vor. Dies galt selbstverständlich erst recht für die souveränen deutschen Staaten, die der Wiener Kongreß hinterlassen hatte. Dies galt in der Realität auch für die weitergehende Verselbständigung deutscher Territorialherrschaften durch den Westfälischen Frieden. Hindernisse für außenpolitische Aktivitäten der Gliedstaaten bestanden erst wieder durch die Weimarer Reichsverfassung und heute auch durch das Grundgesetz.
Diese Hinweise zeigen, daß die Frage, wieweit die außenpolitische Rolle deutscher Gliedstaaten eigentlich gehen soll, eine Funktion des Verständnisses unseres Föderalismus ist. Dabei kann sehr wohl der Verdacht aufkommen, es gehe den Regierungen der deutschen Länder in erster Linie im Glanz und Außenwirkung, um Profilierung statt Politik, um eine Art "Duodez"-Föderalismus mit außenpolitischen Mitteln. Eine solche Grundlage für außenpolitische Bedürfnisse der Länder trüge naturgemäß nicht. Bei sachgerechter Diskussion der außenpolitischen Rolle der Länder stellt sich die Frage nach der Legitimation, nach der inhaltlichen Begründung derartiger außenpolitischer Bedürfnisse. In diesen Zusammenhang möchte ich zunächst einen Blick zurück werfen, denn das wechselhafte Selbstverständnis deutscher Staatlichkeit in Spannungsverhältnis zwischen Zentralstaat und Gliedstaaten kann nicht losgelöst von den Ursprüngen, den Wurzeln des deutschen Föderalismus beurteilt werden.
"Die Diskussion des Deutschen Bundestages bewies, daß der Föderalismus in Deutschland erneut in die Verteidigung seines Lebensrechtes gedrängt ist", sagte ein ehemaliger bayerischer Ministerpräsident. Es war nicht Franz Josef Strauß im Jahre 1988, sondern Hans Ehard im Jahre 1954, fünf Jahre nach Gründung dieser Bundesrepublik. Oder, "wir erschienen, wenn wir von Helmut Schmidt gebeten wurden als die Duodezfürsten, die gelegentlich mit dem schlechten Gewissen lebten, den Weltökonom mehr am Regieren zu hindern, als ihn hierin zu unterstützen", sagte Bernhard Vogel 1990 rückblickend.
Beide Zitate zeigen, daß der Föderalismus in Deutschland offenbar eine besondere Bedeutung hat. Wenn man sich in Europa umschaut und nach Eigenstaatlichkeiten regionaler Körperschaften sucht, dann findet man dies bestätigt. Den echten Föderalismus gibt es nur im deutschen Kultur- und Geschichtsraum, in Deutschland, in der Schweiz, in Österreich wird auch in Flandern, also in europäischen Landschaften, die alle auf das Heilige Römische Reich Deutscher Nation zurückgehen. Im übrigen haben, deswegen vielleicht nicht einmal merkwürdig, sich auch die Menschen in der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik 53 Jahre nach der Auflösung der Länder im Jahre 1937 geradezu mit Naturgesetzmäßigkeit auf die deutschen Länder als die eigentlich heimatliche Identifikation schaffende staatliche Struktur besonnen. Für sie war es eine Struktur, die gewahrt bleiben müsse, wenn der Rest in Wegfall gerät. Solche Beobachtungen kann man oft in unserer Geschichte machen, für die Zeit nach der napoleonischen Besetzung, für die Zeit nach dem Dreißigjährigen Krieg. Wann immer die deutsche Zentralgewalt darniederlag, die Länder blieben intakt.
"Das deutsche Volk, einig in seinen Stämmen", so beginnt die Weimarer Reichsverfassung, auf das Jahr genau 10 Jahrhunderte nach der Krönung Heinrichs I., eines deutschen Stammeskönigs. "Das deutsche Volk, einig in seinen Stämmen", welch ein Nachhall eines Jahrtausends an Geschichte und damit auch welch eine emotionale Befindlichkeit; geschichtliche Kontinuität als politischer Faktor.
Trotz dieser Geschichte ist unser Föderalismus nicht Selbstzweck. Der Föderalismus ist heute Ausdruck funktionaler Gewaltenteilung, einer anderen Gewaltenteilung als derjenigen zwischen Legislative, Exekutive und Judikative. Er ist Ausdruck funktionaler Gewaltenteilung zwischen Zentralstaat und Gliedstaat. Vor allem aber ist er staatliche Heimat seiner Bürger, staatliche Gestalt der Identifikation seiner Bürger mit ihrer engeren Heimat. Er ist also Ausdruck der Polarität zwischen Einheit und Vielfalt, zwischen Nation und Region, und was die Interessen betrifft, zwischen Hemd und Rock. Das Hemd ist einem ja näher als der Rock. Der schöne deutsche Satz, "der Kaiser ist weit", gilt aus der Sicht vieler Landeshauptstädte auch heute noch.
Blicken wir aber nicht nur in die Vergangenheit, sondern auch in die Gegenwart und in die Zukunft. Ich möchte diese Blickrichtung mit drei Fragen begleiten, mit Fragen an die außenpolitische Legitimation des Handelns der Bundesregierung und auch von Landesregierungen. Die Frage nach der Gestaltung des staatlichen Einigungsprozesses zwischen der Bundesrepublik West und der DDR paßt vielleicht nicht ganz hierher, aber sie schärft das Bewußtsein. War dies eigentlich lupenrein und zweifelsfrei allein ein völkerrechtlicher Vorgang, von dem die Länder nach Artikel 32 des GG mit Recht vollständig ausgeschlossen werden durften?
Die Bundesregierung hat diesen Prozeß seit dem 9. November 1989 bis zum 3. Oktober 1990 so betrieben. War die deutsche Einigung ein völkerrechtlicher Vorgang? Ich finde, die Frage stellen, heißt sie verneinen. Es war ein Zusammenwachsen deutscher Landschaften, Regionen, jahrhundertealter Länder, die ja durch anderen als demokratischen Willen des deutschen Volkes voneinander geschieden waren. Dieses Zusammenwachsen ist nichts weniger als ein völkerrechtlicher Vorgang. Die Bundesregierung hat allerdings mit dieser Begründung die Länder nachhaltig von grundgesetzgemäßer Mitwirkung an der Gestaltung des Prozesses ausgeschlossen. Erst als mit dem 3. Oktober die Deutsche Demokratische Republik als zentralistischer Staat in Wegfall geraten war, behandelte die Bundesregierung, das handelnde Organ unseres gemeinsamen Zentralstaates, das Territorium dieser weggefallenen DDR, da es um die Lasten geht, als eine Summe von Gliedstaaten. Da ist plötzlich nach der Phase der Gestaltung, bei Eintritt irr die Lastentragung die Ebene im Föderalismus geändert worden. Da jeder das vorher wußte, bestreite ich, daß es wirklich allein ein völkerrechtlicher Vorgang war. Ich denke, daß man das auch von Grundgesetzes wegen bestreiten körnte, wenn man die damaligen verfassungsrechtlichen Vorgänge und die Verträge nüchtern und difierenziert auf den Punkt prüft. In der Wirklichkeit man allerdings einräumen, daß man der Bundesregierung nur begrenzt einen Vorwurf machen kann, denn angesichts des Fehlens des horizontalen Anprechpartners für die 11 westlichen Landesregierungen gab es für den Föderalismus im sich einigenden Deutschland ein objektives Problem.
Die zweite Frage: Ist der Weg hin zu einer Europäischen Union, ist die Gestaltung des westeuropäischen Wirtschaftsraums, Sozialraums, Umweltraums durch die EG-Kommission und die Ministerräte nur noch eine Angelegenheit von Außenpolitik? Werden nicht in dramatischer Weise innere Angelegenheiten unserer bundesstaatlichen Ordnung direkt über die Köpfe der Gliedstaaten hinweg, die ja nach unserem Grundgesetz die Träger von ausschließlichen Verfassungskompetenzen sind, beeinflußt?
Dies geschieht sogar über die Grenze der sogenannten Unanstastbarkeiten des Artikels 79, Absatz 3 unseres Grundgesetzes, zu denen ja die bundesstaatliche Ordnung gehört, hinweg. Müßte da nicht doch eine unmittelbar eigene Vertretung der Länder, jedenfalls in ihrem ausschließlichen Kompetenzbereich geboten sein? Diese Fragen Lassen aus meiner Sicht Zweifel an der sauberen Unterscheidbarkeit, jedenfalls in Europa, zwischen Außen- und Innenpolitik aufkommen.
Drittens, die Frage nach dem zukünftigen Wirken von Europäischer Union, Zentralstaat oder Nationalstaaten und Regionen oder Gliedstaaten. Wo liegt die sachgerechte Abgrenzung zwischen zentralen europäischen Gestaltungsmöglichkeiten, zwischen nationalen Gestaltungsresiduen und zwischen den Rechten der Länder und Regionen? Das ist eine Regelungsaufgabe von allerhöchster Relevanz, eine Aufgabe der demokratischen Gestaltung der Zukunft und zwar sowohl ökonomisch als auch kulturell. Wer jetzt im Zuge der europäischen Regierungskonferenzen auf eine entscheidend verbesserte Mitgestaltung des europäischen Einigungsprozesses durch die deutschen Länder verzichtet, muß wissen, daß er im Ergebnis die Europäisierung der nationalstaatlichen Kompetenzen, die "Nationalisierung" bewirkt. Die Kompetenzen der Gliedstaaten bzw. Regionen haben eine irreversible Aushöhlung ihrer regionalen gliedstaatlichen Autonomie, die doch den beschriebenen Jahrtausend deutscher Geschichte und auch dem Grundgesetz entspricht, zu befürchten. Ein solcher Prozeß, eine solche Fehlsteuerung würde langfristig dramatische Auswirkungen auf die regionalen Identitäten in Europa zeitigen. Dies wäre besonders für uns Deutsche von Bedeutung, denn niemand, kein anderes Volk so sehr wie das unsrige, hat über Jahrhunderte so unterschiedliche, durch unterschiedliche Nachbarschaften bewirkte regionale kulturelle Identitäten ausgebildet wie das deutsche Volk. Natürlich ist deshalb auch heute schon die außenpolitische Wahrung eigener regionaler, partikularer gliedstaatlicher Lebensinteressen eine Forderung von hohem Rang für die deutschen Länder. Eine Forderung, die die Ebene des Bundesrates naturgemäß sprengt. Eine Frage von hohem Rang für jedes Land. Es bestehen nämlich sehr wohl Sonderinteressen regionaler Art, für deren Wahrung der Zentralstaat, wenn überhaupt, nur geringes Interesse aufbringt. Davon könnte ich als Hamburger ein Lied singen.
Es liegt auf der Hand, daß derartige Lebensinteressen die Landesregierungen geradezu zwingen, im Ausland selbst initiativ und aktiv zu werden, auch wenn dies auf allerhöchstes Unbehagen, vielleicht sogar auf Ungnade des Auswärtigen Amtes stößt. Alle diese Fragen stellen sich aus meiner Sicht in neuer Schärfe, angesichts der Unsicherheit über die Rolle des geeinten Deutschland in der Welt und in Europa, angesichts der verblassenden Bedeutung der Nationalstaaten in Europa. Für die Bundesrepublik bedeutet das die nachlassende Bedeutung des Zentralstaates im europäischen Einigungsprozeß und die tastende Suche der Regionen, in unseren Falle der Inder, nach ihrer neuen Rolle in der Europäisierung und Internationalisierung der fiktionalen Gestaltungsprozesse. Im einzelnen: Die Europäische Gemeinschaft ist nicht nur eine politische und eine Wirtschaftsgemeinschaft, sie ist auch eine Rechtsgemeinschaft. Sie verfügt über ein System der Normsetzung und über ein rechtsprechendes Organ, das die Beachtung dieser Normen gewährleistet. Die nach Artikel 189 des EWG-Vertrages verabschiedeten Rechtsakte haben unmittelbare Gültigkeit. Die nationalen Parlamente, also auch der Bundestag und der Bundesrat gemeinsam, vermögen an der Verbindlichkeit solcher EG-Rechtsakte nichts zu ändern, im Gegenteil, sie sind parlamentarisch verpflichtet, Richtlinien in innerstaatliche Normen umzusetzen. Das ist so, weil die Mitgliedstaaten mit der Zustimmung oder dem Beitritt zur EG sich entschieden haben, Teile ihrer Souveränität auf die Gemeinschaft zu übertragen. Diese staatlich-institutionelle Verlagerung findet eine in der politischen Wirklichkeit wichtige Ergänzung durch die zunehmende Organisation der Parteien in europäischen Parteienbünden und auch die Organisation anderer gesellschaftlicher Kräfte auf der Ebene der EG und gelegentlich auch auf gesamteuropäischer Ebene. Dies sind Gewerkschaften, Industrieverbände, Jugendverbände usw. Es bildet sich somit eine Euopäisierung der Herrschafts-und Führungsstrukturen und auch der Einflußstrukturen heraus.
Wir erleben diesen schleichenden Prozeß mit, also machen wir doch nicht die Augen davor zu. Wir haben nicht nur die Frage zu stellen, sondern in der Realität zu beantworten, wessen Kompetenzen Schritt um Schritt ausgehöhlt werden, diejenigen des Zentralstaats, d.h. der nationalstaatlichen Ebene oder der regionalen, der gliedstaatlichen Ebene. Wir als Vertreter der deutschen Länder müssen in diesen Zusammenhang besonders wachsam sein, weil im Konzert der europäischen Beratungen naturgemäß die zentralistisch organisierten Partnerstaaten, und es sind viele, groß und einflußreich sind. Diejenigen Deutschen, die in Sonntagsreden den Föderalismus im Munde führen, ohne ihn konkret zu fördern, spielen diesen Kräften in die Hände. Als deutscher Zentralist braucht man das nicht zu bekennen, man braucht nur so zu tun, als merke man den Prozeß nicht. Der Wunsch der Länder nach stärkerer Teilhabe am europäischen Einigungsprozeß entspricht nach Auffassung aller Landesregierungen der Stellung der Länder in der grundgesetzlich vorgegebenen bundesstaatlichen Ordnung. Länder sind von der Verfassung als politische Machtfaktoren mit eigener Staatsqualität ausgestattet. Also wollen sie dementsprechend Einfluß auf das politische Geschehen ausüben, auch und gerade, wenn die Grenze zwischen innen und außen, zwischen national und europäisch fließend wird. Die Länder sehen sich allerdings angesichts des Artikels 24 des Grundgesetzes in der Gefahr, daß die zunehmende Europäisierung des Rechts weiter erhebliche Kompetenzverluste für die Länderebene bewirkt. Der europäische Gesetzgeber, die europäische Politik, der europäische Einigungsprozeß dringen immer mehr auch .in
Bereiche nationaler Politik, nationalen Rechts vor, die grundgesetzlich zu den Domänen der Länder zählen. Es stellt sich deshalb, geht dieser Prozeß so weiter, die Grundsatzfrage nach dem Fortbestand des deutschen Föderalismus.
Die Liste von Fällen, im denen ausschließliche Länderkompetenzen tangiert worden sind, ist uferlos. Ich nenne nur einige: Rundfunkrichtlinie, Richtlinie zur Behandlung kommunaler Abwässer, Mediaprogranm, Hochschuldiplomrichtlinie, Entschließung zur Gesundheitserziehung in Schulen, Aktionsprogramm Europa gegen den Krebs, Richtlinie zum Schutz der natürlichen Lebensräume usw. Wir alle wissen und wollen doch auch, daß das Betätigungsfeld der europäischen, demokratischen Institutionen und auch des europäischen Gesetzgebers, sich zur Schaffung neuer Kompetenzfelder noch ausweitet. Bei den derzeitigen Beratungen auf europäischer Ebene ist offensichtlich, daß die Außen- und Sicherheitspolitik nach dem völligen Ausfall einer einheitlichen europäischen Politik während des Golfkriegs ein Feld ist, das jetzt eine institutionalisierte europäische Politik statt eine Renationalisierung verlangt. Gerade wenn wir Deutsche den Weg der Renationalisierung beschritten, wüßte doch jeder, wie die Reaktionen in unseren europäischen Nachbarländern wären, und dies vielleicht gar nicht zu Unrecht.
Der bayerische Ministerpräsident hat kürzlich zurecht gegen die Absicht des Deutschen Bundestages, im Hinblick auf die östlichen Länder einen Kulturausschuß des Bundestages einzusetzen, protestiert. Aber die europäischen Institutionen sprechen über die Schaffung einer kulturpolitischen Kompetenz der Europäischen Gemeinschaft und dafür gelten die Bestimmungen des Artikel 24 GG.
Wenn diese Entwicklung so weiter geht, sehen die Länder sich in einem Spannungsverhältnis. Was Normenkontrollmöglichkeiten nach den Grundgesetz und dem Bundesverfassungsgerichtsgesetz betrifft, ist das ein sehr konkretes Spannungsverhältnis von Verfassungsrechtsqualität, nämlich das Spanungsverhältnis zwischen Artikel 24 und Artikel 79, Absatz 3, also der europäischen Einigung und jenen Unantastbarkeiten des Grundgesetzes, die nicht einmal einstimmig geändert werden könnten, sondern nur durch die Ablösung des Grundgesetzes, durch eine gänzlich andere deutsche Verfassung z. H´B. nach Artikel 146 GG. Wie ich sehe, will niemand eine vollständige Ablösung unseres Grundgesetzes, sondern eine Reform.
Es geht also darum, die Aushöhlung des Föderalismus zu erkennen und Auswege zu suchen. Was den europäischen Prozeß betrifft, so muß der Ausweg aus diesem Dilemma aus der Sicht der Länder darin gefunden werden, den Verlust an Mitentscheidungsrechten durch innerstaatliche Mitwirkung bei der Entscheidungsfindung zu kompensieren. Die Länder erheben auch die Forderung nach Änderung des Artikels 24 des Grundgesetzes, der ja in seiner gegenwärtigen Fassung den Bund ermöglicht, durch einfaches Gesetz Hoheitsrechte auf zwischenstaatliche Einrichtungen zu übertragen, auch solche, die in die ausschließliche Gesetzgebungskompetenz der Länder fallen.
Der Bundesrat strebt zur Stärkung des föderativen Grundgefüges der Republik eine Änderung dieser Vorschrift an. Es ist im März d.J. nun zum zweiten Mal ein Gesetzentwurf eingebracht worden, mit dem die Länder erreichen wollen, über den Bundesrat stärker und in verfassungsrechtlich abgesicherter Form an neuen Integrationsschritten der europäischen Einigung beteiligt zu werden. Im einzelnen würde das bedeuten: Der Bund soll Hoheitsrechte auf zwischenstaatliche Einrichtungen nur noch durch Gesetz mit Zustimmung des Bundesrates übertragen dürfen. In Angelegenheiten dieser Einrichtungen sollen den Ländern bei der Willensbildung des Bundes Mitwirkungsrechte eingeräumt werden und, soweit die im Grundgesetz festgelegten Zuständigkeiten der Länder oder wesentliche Länderinteressen berührt werden, soll die Möglichkeit einer wesentlichen Einflußnahme der Länder vorgesehen werden. Die Länder haben ferner im Rahmen des Ratifizierungsverfahrens zur Einheitlichen Europäischen Akte im Jahre 1986 erreicht, daß eine Verbesserung der bis dahin unzureichend vorhandenen innerstaatlichen Länderbeteiligung bei Maßnahmen der Europäischen Gemeinschaft durchgesetzt werden konnte. Das Ergebnis findet sich in Artikel 2 des Zustimmungsgesetzes zur Einheitlichen Europäischen Akte. Darin ist die Bundesregierung verpflichtet, den Bundesrat umfassend und zum frühestmöglichen Zeitpunkt über Vorhaben zu unterrichten, die für die Länder von Interesse sein könnten. Soweit ein Gemeinschaftsvorhaben ausschließliche Kompetenzen der Länder betrifft, hat die Bundesregierung dem Bundesrat vor ihrer Zustimmung Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben. Diese Stellungnahme muß sie auf europäischer Ebene berücksichtigen und kann nur aus unabweisbaren außen- und integrationspolitischen Gründen, was immer das sein mag, davon abweichen. Ob unabweisbare integrationspolitische Gründe vorliegen, kann sich aus dem Verlauf einer Nachtsitzung ergeben. Das ist also immerhin eine Art Anker für die Wahrung des Föderalismus im europäischen Einigungsprozeß. Die politische Realität lehrt, daß eine solche Maxime der Wirklichkeit umso eher entspricht, desto weniger die Bundesregierung der automatischen Zustimmung des Bundesrates sicher sein kann. Insofern sitzt dieser Anker nur so fest im Grund wie die Kraft des Bundesrates es erzwingt.
In der Praxis des Bundesrates haben alle diese Rechte quantitativ erhebliche Bedeutung erlangt. In der letzten Legislaturperiode hat der Bundesrat im zweiten Durchgang 369 Gesetze beraten, im gleichen Zeitraum aber 769 EG-Vorhaben. Das macht quantitativ deutlich, wohin sich die Schwergewichte der Veränderung verlagert haben - auf die europäische Ebene. Ich bin der Auffassung, daß die meisten dieser Stellungnahmen der Bundesregierung in Brüssel nützlich gewesen sind und vertrete mit großem Nachdruck die Auffassung, daß die ursprünglichen Befürchtungen, der Bundesregierung würden durch die innerstaatliche Mitwirkung des Bundesrates die Hände gebunden, die Bremser seien am Werk, der Entscheidungsprozeß werde verzögert, sich nicht bewahrheitet haben. Es gibt zügige Beratungen und einen konstruktiven Dialog. Die Mitglieder des Bundesrates sowie alle Länderregierungen können mit einem gewissen Selbstbewußtsein darauf hinweisen, daß sie durch die größere Problemnähe der Regionen und ihre Erfahrung bei der Administration von Bundesrecht inhaltlich zur Bereicherung des innerstaatlichen Diskussionsergebnisses beigetragen haben. Im Vorfeld der EG-Regierungskonferenzen, die gegenwärtig sehr konkret an einer qualitativen Reform der europäischen Einigung arbeiten, hat der Bundesrat vier Forderungen beschlossen:
justitiable Bestimmung in den Vertrag einfügen, denn jede grundsätzliche Entscheidung für die Subsidiarität ist nur soviel wert wie die Aktivlegitimation der
Betroffenen gegeben ist.
Der klassische Nationalstaat ist für die Erfüllung der großen übergeordneten Aufgaben, wie Sicherheitspolitik und Umweltpolitik, zu klein geworden. Diese Aufgaben müssen auf europäischer Ebene wahrgenommen werden. Je eher, desto besser. Hingegen ist der Nationalstaat für die Erfüllung der bürgernahen staatlichen, nichtkommunalen Aufgaben wie Schule, Bildung, Kultur, und - darauf lege ich großen Wert, da es über die Strukturverteilung des Grundgesetzes hinausgeht - regionale Wirtschafts- und Sozialpolitik, zu weit. Auch die Europäische Gemeinschaft ist dafür eine viel zu abgehobene Ebene, eine zu entfernte Ebene, eine die dazu neigt, vom grünen Tisch an Fragestellungen heranzugehen, die regional differenzierter Beantwortung bedürfen. Sie ist übrigens eine Ebene, die staatlich verstanden, dem Satz "Leistung muß sich wieder lohnen" widerspricht, eine Ebene nämlich, die mit ihren schematischen, gleichmacherischen, die Regionen alle über einen Kamm scherenden Lösungen den Anreiz für eigene langfristige Strukturpolitik minimiert. Ob das der Wettbewerbsfähigkeit des geeinten Deutschland auf Dauer gut bekommt, mögen Sie selbst beurteilen. Meine Auffassung ist - Nein.
Dies ist kein rückwärts gerichtetes romantisierendes Konzept, um in die deutsche Kleinstaaterei zurückzufallen. Es sollte auch kein Mißverständnis darüber entstehen, daß diese Thesen alle unterschiedslos auf die derzeitige Zahl von 16 Ländern anwendbar seien. Diese Zahl ist nicht naturgegeben und auch nicht gottgewollt, aber jedenfalls mit unserem gegenwärtigen Grundgesetz fast nicht zu ändern. Auch diese Voraussetzung kann man im Rahmen der Verfassungsdiksussion - und das wird auch geschehen -kritisch betrachten.
Wenn wir den Blick auf einige unserer Nachbarländer richten, auch auf solche, die über ein ausgebautes System von Föderalismus nicht verfügen, so stellen wir fest, daß die Strukturprobleme, auf deren Lösung Föderalismus eine Antwort ist, sich auch in diesen Staaten unübersehbar zuspitzen. Jugoslawien ist ein Beispiel, die UdSSR ist ein weiteres. Die Auflösung des belgischen Zentralstaates zugunsten einer Aufteilung in Flandern, Wallonien und Brüssel ist ein Beispiel dafür, daß es auch in zentralistisch organisierten europäischen Nachbarstaaten virulente Entwicklungen dieser Art gibt. National werden sie allerdings meist "unter dem Deckel" gehalten, sei es im Vereinigten Königreich, sei es in der Französischen Republik, sei es im spanischen Königreich. Zentralistische Regierungen haben nun einmal keinerlei Interesse daran, die regionale Frage aufkommen zu lassen, denn sie fürchten, der Antworten dann nicht Herr zu werden.
Unsere Bemühungen zielen ab auf die Schaffung von politisch handelnden, demokratisch legitimierten regionalen Körperschaften dort, wo sie regional sinnvoll sind. Dies gilt auch für außerhalb der Bundesrepublik und für die Schaffung von Mechanismen der horizontalen und vertikalen Zusammenarbeit. Bei diesen Mechanismen muß es auf die Kongruenz von Kompetenz , Verantwortung und Finanzierung, eine wichtige, aber schwer erreichbare Rahmenbedingung , die auch unter den obwaltenden Bedingungen des Grundgesetzes für die Bundesrepublik nicht erfüllt sind. Diese Kongruenz besteht nicht. Diese Mechanismen sollten aus der Sicht der Länder Eingang in die vertraglichen Grundlagen der Europäischen Gemeinschaft, der Europäischen Union finden, tun den föderalen Charakter der Gemeinschaft auch für beitrittswillige östliche Nachbarländer deutlich zu machen. Sowohl die Österreicher als auch die sich in intensiven Diskussionen befindlichen Tschechoslowaken werden doch wissen wollen, in welche Strukturen sie hineingeraten. Die Frage ist auch deswegen dringend zu beantworten, weil wir doch alle der Meinung sind, daß die Strukturen, die für die Europäische Union erarbeitet werden, mit großer Wahrscheinlichkeit ausgedehnt werden können, zunächst europaweit und vielleicht später KSZE-weit.
Abgesehen von diesen Erwägungen stellt sich zusätzlich die Frage nach der Rolle der Länder bei der Wahrung ihrer Interessen mit Mitteln klassischer Außenpolitik, mit denen sie allerdings der Bundesregierung, dem Bundesaußenminister ins Gehege kommen können. In der 40jährigen Geschichte unserer Bundesrepublik erinnern wir uns alle an Ministerpräsidenten einzelner Länder, für die diese Beschreibung eine milde Untertreibung war. Die Grundregel unserer Verfassung ist Art. 32, der die Pflege der Beziehung zu auswärtigen Staaten zur Sache des Bundes erklärt. Das scheint logisch, ist aber vor dem Hintergrund früherer Verfassungen keine Selbstverständlichkeit.
Die Reichsverfassung von 1871 habe ich bereits erwähnt. Nach ihr stand die Vertretung auswärtiger Angelegenheiten sowohl dem Reich als auch den Staaten zu. Sie konnten zur Wahrung ihrer Partikularinteressen selbst auswärtige Beziehungen anknüpfen. Sie konnten ohne Vermittlung des Reichs diplomatischen Verkehr pflegen. Es war ihnen erlaubt, sich eigener diplomatischer Einrichtungen zu bedienen. Erst durch die Weimarer Verfassung ist dieses Recht beendet worden. Die Weimarer Reichsverfassung war ja bekanntlich ungleich zentralistischer als die Verfassung von 1871, allerdings auch zentralistischer als das Grundgesetz. Dieses Prinzip allerdings erfährt einige Durchbrechungen zugunsten der Länder. Artikel 32 Abs. 2 sieht ein Anhörungsrecht für die Länder vor, soweit besondere Verhältnisse berührt werden. Von noch größerer Bedeutung ist Absatz 3 dieses Artikels, nämlich die Kompetenz, mit Zustimmung der Bundesregierung eigene Verträge abzuschließen, soweit die Länder für die Gesetzgebung zuständig sind.
Entsprechungen finden sich auch in anderen föderalen Ordnungen, z.B. in der Schweiz. Dort bleibt den Kantonen die Befugnis eingeräumt, Verträge über mancherlei Gegenstände selbst abzuschließen. Eine solche Zuständigkeitsverteilung liegt sehr wohl in der Logik und auch in der konsequenten Ausprägung des föderativen Prinzips. Jedenfalls wenn man sich immer wieder vor Augen hält, daß dieses keine Subordination der Gliedstaaten unter den Zentralstaat vorsieht, sondern daß beide gleichgeordnet den Gesamtstaat ausmachen und durch funktionale Aufgabenverteilung voneinander unterschieden sind. Diese idealtypische Vorstellung der Väter und Mütter des Grundgesetzes von 1949 ist heute durch die Verfassungswirklichkeit, insbesondere aber auch durch innenparteiliche Hackordnungen, durchbrochen. Das kann man in beiden großen Parteien in der Geschichte der Bundesrepublik real beobachten. Eine nicht gelöste verfassungsrechtliche Streitfrage besteht darin, ob die den Ländern aufgrund Artikel 32,3 GG zustehende Vertragsabschlußkompetenz eine ausschließliche Kompetenz der Länder darstellt.
Im Lindauer Abkommen wird ausdrücklich festgestellt, daß die beiderseitigen unterschiedlichen Rechtsauffassungen zwischen Bund und Ländern aufrechterhalten bleiben.
Die Mitwirkung der Länder bei Kulturabkommen ist von besonderer Bedeutung und macht einen Schwerpunkt der Arbeit der Ständigen Vertragskommission aus, die durch das Lindauer Abkommen gegründet wurde. Darüber hinaus geht es heute in erster Linie um Fragen des Umweltschutzes, der Gewässerschutz z.B. ist bekanntlich Ländersache. Ich machte auch auf das Rheinanliegerabkommen hinweisen, auf die Vereinbarung über die internationale Kommission zum Schutz der Elbe, die mir natürlich besonders am Herzen liegt. Ein Fall allerdings verdient aus der Sicht der Länder besondere Erwähnung.. Es ist der Vertrag vom 3. Oktober 1990, geschlossen von den damals noch auf wenige Stunden 11 deutschen Ländern und der französischen Republik. Dieser Vertrag ist aus Sicht der Länder bei der eben erwähnten Streitfrage ein Durchbruch, ein Präjudiz, das für die Staatspraxis als Maßstab künftiger verfassungsgerichtlicher Rechtsprechung von Bedeutung werden kann, denn die Länder ohne den Bund haben diesen Staatsvertrag mit der französischen Republik in Berlin abgeschlossen. Als distanzierter Betrachter von Bürokratien weise ich darauf hin, daß in unseren 40 Jahren Bundesrepublik die Bürokratie, wie so vieles, auch dieses Problem auf die Spitze getrieben hat. Ließ die ganze Streitfrage in den 50er Jahren die Beamten in Bonn und in den Landesministerien noch relativ gelassen, so ist sie danach immer weiter zugespitzt worden. Der Senat der Freien und Hansestadt Hamburg, in deren Territorium ja bekanntlich ein exterritorialer Hafen der tschechoslowakischen Republik liegt, und zwar als Folge des Versailler Vertrages, hat über diesen Hafen im Januar 1957 etwa im Zeitpunkt des Abschlusses der Römischen Verträge einen Staatsvertrag zwischen Hamburg und der Tschechoslowakei geschlossen. Kein Bund und kein Gott und kein Niemand hat sich darum geschert, und nach dem Vertrag richten sich beide Vertragspartner bis heute.
Es liegt auf der Hand, daß nach Wegfall der europäischen Teilung dem hamburgischen Bürgermeister ungemein an einer solchen kreativen Gestaltungsmöglichkeit gelegen sein muß. Was könnte man tun, weg man im Freihafen sogar Steuerprivilegien aussprechen könnte, welcher Run der Investoren würde einsetzen. Das ist eine wunderbare Vorstellung.
Kernstück der Befugnisse des Bundesrates ist sein Zustimmungsrecht nach Artikel 59 Abs. 2 des Grundgesetzes. Von 1949 hat der Bundesrat 1210 Verträge mit auswärtigen Staaten behandelt und passieren lassen. Seine tatsächliche Mitwirkungsmöglichkeit allerdings reduziert sich auf nachgehende parlamentarische Kontrolle. Auch diese Restriktion ist keineswegs zwingend . Der Senat der USA z.B. hat durch die Verfassung das Recht, vor Abschluß eines völkerrechtlichen Vertrages durch den US-Präsidenten gehört zu werden. Er kann daher Einfluß auf die inhaltliche Ausgestaltung eines abzuschließenden völkerrechtlichen Vertrages nehmen. Der Bundesrat kann das nicht. Dies ist eine Folge der Grundentscheidung der Jahre 1948/49 zu dem Bundesratsprinzip, darüber soll man nicht lamentieren. Dieser Artikel 59 Abs. 2 ändert nichts daran, daß es sich dabei nicht um Teilhabe der Länder handelt, sondern ums parlamentarische Kontrolle durch ein Bundesorgan, das allerdings durch Länder besetzt wird, wohingegen die Mitwirkung der Länder selbst in Ausübung ihrer jeweils eigenen ungeteilten Staatsgewalt nicht stattfindet. Gleichwohl hat der Bundesrat politisch in einigen Fällen erheblichen Einfluß genommen. Das war sowohl bei dem deutschfranzösischen Zusammenarbeitsvertrag von 1963 der Fall, wie auch bei den Ostverträgen.
Es gibt sogar einen Fall, in dem ein Ministerpräsident, zugleich Präsident des Bundesrates, unter Inkaufnahme des Scheiterns seiner Koalition im Land und unter Einsatz seiner Landesrichtlinienkompetenz letztlich die Zustimmungsfähigkeit eines völkerrechtlichen Vertrages erzwungen hat, Reinhold Maier beim Zustandekommen der Westverträge Anfang der 50er Jahre. Ich habe Zweifel, ob ein solcher Kraftakt in der heutigen bundespolitischen Realität einem einzelnen Ministerpräsidenten eines der Länder noch möglich wäre. Die zunehmende Verflechtung der internationalen Interessen, die Intensivierung der Zusammenarbeit über nationale Grenzen hinaus, führen heute naturgemäß dazu, daß die Mitglieder der Landesregierungen ihrerseits in vielfältiger Weise in die Aufgaben außenpolitischer Kooperation einbezogen werden. Eine Fülle von Gremien wäre zu nennen, von der NATO-Parlamentarierversammlung bis zur KSZE-Parlamentarierversammlung. Ich erspare mir die Aufzählung im einzelnen.
Vor allem kommt es heute aus der Sicht der Länder angesichts der weltweiten Handelsverflechtung, der weltweiten Verflechtung von Märkten und Wettbewerb, der weltweiten Verflechtung ökologischer Probleme darauf an, eine neue Herausforderung, die an den Grenzen des deutschen Nationalstaates nicht endet, zu bestehen. Dies auch durch internationales politisches Handeln der Landesregierungen. Zur Lösung grenzüberschreitender gemeinsamer Problemstellungen hat sich in vielfältiger Weise eine internationale aber auch interregionale Kooperation der Länder und Regionen in der Verfassungswirklichkeit längst herausgebildet. Der Besuch des frisch ernannten stellvertretenden Ministerpräsidenten der Volksrepublik China als mein Gast in Hamburg, nachdem er vorher schon in drei anderen Landeshauptstädten und nicht nur in Bonn war, mag als ein Beispiel dienen. Weitere Beispiele bilden die Zusammenarbeit des Saarlandes mit Lothringen und Luxemburg in der Region Saar-Lor-Lux, oder die Zusammenarbeit der High-tech-Regionen Baden-Württemberg, Katalonien, Lombardei, Rhone-Alpes und Wales. Seit 1972 besteht die Arbeitsgemeinschaft der Alpenländer, in der deutsche Länder, Kantone und Staaten der Alpenregion die verschiedensten Sachbereiche behandeln. Im Norden unseres Landes werden die Anzeichen für den Versuch einer übernationalen Wiederbelebung des Wirtschaftsraums der Hanse, nicht mehr nur beschränkt auf große Städte, unübersehbar .
Die Freie und Hansestadt Hamburg befindet sich hier in einer Sonderlage. Unsere internationalen Interessen, also die einer Welthandelsstadt, sind nicht regionaler Natur. Unsere Funktion als Tor zur Welt für die Nachbarländer in Deutschland und die Nachbarstaaten im Osten Europas führt uns zu der Notwendigkeit, das gilt übrigens für den bremischen Senat ganz ähnlich, internationaler Beziehungen ohne große Rücksichtnahme auf Abgrenzungen des Grundgesetzes. Die offene Flanke für den Föderalismus, der Artikel 32 des Grundgesetzes mit dem Alleinvertretungsanspruch der Bundesregierung für außenpolitische Beziehungen, ist in der Verfassungswirklichkeit längst ausgehebelt. Daran werden alle jenen Länder, die ein begründetes Interesse an solchen Beziehungen haben müssen, auch festhalten. In der Verfassungswirklichkeit ist im übrigen der Widerspruch weniger dramatisch als er sich im Grundgesetz jetzt liest, denn es sind ja die Botschafter selbst, die die Länderdelegationen stets mit großer Sachkenntnis und Hilfsbereitschaft, aber auch mit flächendeckender Beobachtung und Berichterstattung dessen was da geschieht, begleiten. Ich denke nicht, daß das gegen den Willen der Bundesregierung ist. Die Länder haben also ein kompliziertes Beziehungsnetz, mit dem sie verwoben sind. Wirtschaftliche, gesellschaftliche, ökologische Dependenzen werden über nationale Grenzen hinweg wahrgenommen. Die Entwicklung neuer Formen internationaler Kontaktpflege zeigt, daß der klassische Begriff von Außenpolitik an Konturen verliert. Dies geschieht nicht nur, weil, was über Jahrhunderte die Botschafter taten, angesichts moderner Kommunikationsmöglichkeiten heute in der Regel von Regierungsmitgliedern selbst erledigt wird, sondern auch, weil die Beschränkung von Außenpolitik auf die zentralstaatliche Ebene nicht durchzuhalten ist. Verfassungswirklichkeit und Verfassungsrecht klaffen auseinander. Die Zeit ist reif für eine Neubestimmung des klassischen Verständnisses des Nationalstaats mit seiner Binnensicht der Abgrenzungsnotwendigkeiten zwischen Zentralstaat und Gliedstaaten. Die Zeit für eine Neubestimmung ist auch reif wegen der Suche nach unserer neuen deutschen Rolle in der Welt, wegen des Rückgangs der Lösungsfähigkeiten durch die Nationalstaaten, wegen der Suche aller europäischer Regionen von Katalonien bis Brandenburg, nach ihrer künftigen Rolle unter dem Dach des sich einigenden Europa und in der Konkurrenz zu ihrem jeweils eigenen Nationalstaat. So verstanden ist die heutige Fragestellung eine Funktion des deutschen tradierten Föderalismus in seinem Spannungsfeld, aber auch eine Funktion der Überwindung der europäischen Nationalstaaten und der Auflösung der Bedeutung nationalstaatlicher Grenzen in Europa. Alle Zusammenarbeitsmöglichkeiten von historischen, kulturellen, wirtschaftlichen Regionen, die in unserem gemeinsamen Haus Europa vor dem Aufstieg der Nationalstaaten, und solange ist der gar nicht her, traditionell schon immer gemeinschaftlich und gutnachbarlich zusammengearbeitet hatten, werden jetzt wiederbelebt. Das ist die Chance der europäischen Regionen. Und das ist gut so!